Keine Verwirkung nach 13 Jahren ohne Vollstreckungsversuch
BGH 9.10.2013, XII ZR 59/12Die Beklagte ist eine gewerbliche Vermieterin. Sie hatte in den Jahren 1993 und 1994 insgesamt fünf Vollstreckungstitel (Urteile und Kostenfestsetzungsbeschlüsse) gegen den Kläger und seinen Mitmieter erwirkt. Die Forderungen sind teilweise befriedigt; weitere Zahlungen sind streitig. Der Schuldner hatte zwar die vollständige Tilgung aller Schuldtitel behauptet, er verfüge jedoch über keine Unterlagen und Belege aus dem fraglichen Zeitraum mehr, da diese bereits vernichtet seien und auch von der Bank nicht mehr reproduziert werden könnten.
Der letzte Vollstreckungsversuch hatte in Form einer Wohnungsdurchsuchung im April 1995 stattgefunden. Danach ruhte die Angelegenheit, bis die Gläubigerin im Jahr 2008 ein Inkassounternehmen mit der Einziehung der Forderung beauftragte.
LG und OLG gaben der Klage, mit der der Schuldner die Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung und die Herausgabe der Titel verlangte, statt. Beide Instanzen gingen davon aus, dass die titulierten Ansprüche verwirkt seien. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH die Urteile auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Gründe:
Es fehlte insgesamt an einem für die Verwirkung erforderlichen Umstandsmoment.
Nach BGH-Rechtsprechung ist der Rechtsgedanke der Verwirkung, der auch im Miet- und Pachtrecht gilt, ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung aufgrund widersprüchlichen Verhaltens. Danach ist ein Recht verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde. Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalls.
Entgegen der Ansicht des OLG konnte nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger sich nach den gesamten Umständen darauf habe einrichten dürfen, dass die Beklagte ihre Rechte aus den Titeln nicht mehr geltend machen werde. Denn der Vertrauenstatbestand kann nicht durch bloßen Zeitablauf geschaffen werden. Hinzu kam, dass es sich hier um titulierte Ansprüche handelte. Und lässt ein Gläubiger seinen Anspruch durch Gerichtsurteil titulieren, gibt er bereits dadurch zu erkennen, dass er die Forderung durchsetzen will und sich dazu eines Weges bedient, der ihm dies grundsätzlich für die Dauer von 30 Jahren ermöglicht. Bei dieser Ausgangslage lag die Annahme, ein anschließendes Ruhen der Angelegenheit könne bedeuten, der Gläubiger wolle den Anspruch endgültig nicht mehr durchsetzen, umso ferner.
Daran änderte auch die Annahme des OLG, die Angelegenheit sei bei der Beklagten außer Kontrolle geraten und deshalb 13 Jahre lang unbeachtet geblieben, nichts. Denn das ist kein Umstand, aus dem ein Schuldner das Vertrauen gründen darf, ein titulierter Rechtsanspruch solle nicht mehr durchgesetzt werden. Da das OLG - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen zu der behaupteten Erfüllung der Schuld getroffen hatte, konnte der Senat nicht abschließend in der Sache entscheiden.
Linkhinweis:
- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BGH veröffentlicht.
- Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.