Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Einlegung eines unstatthaften Rechtsbehelfs
BGH v. 11.1.2022 - VIII ZB 37/21
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist Mieterin einer Wohnung der Klägerin in Duisburg. Wegen rückständiger Miete und Nebenkosten i.H.v. insgesamt rd. 6.800 € nebst Zinsen erwirkte die Klägerin einen Vollstreckungsbescheid. In dem auf den Einspruch der Beklagten durch das AG bestimmten Termin sind weder diese noch deren Rechtsbeistand erschienen. Das AG verwarf daher den Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid durch ein zweites Versäumnisurteil.
Hiergegen legte die Beklagte fristgerecht Berufung ein. Diese verwarf das LG - nach einem entsprechenden Hinweis - mit Beschluss vom 8.6.2021 als unzulässig, da die Voraussetzungen des § 514 Abs. 2 ZPO, mithin das Nichtvorliegen eines Falls schuldhafter Säumnis, durch die Beklagte mit ihrer Berufung nicht schlüssig dargelegt worden seien.
Gegen diesen, ihrem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am 15.6.2021 zugestellten Beschluss, erhob die Beklagte am 17.6.2021 beim Berufungsgericht Anhörungsrüge. Das Berufungsgericht wies die Beklagte mit Verfügung vom 20.7.2021, dem Prozessbevollmächtigten am 23.7.2021 zugegangen, darauf hin, dass die Anhörungsrüge wegen der gegen den Beschluss vom 8.6.2021 eröffneten Rechtsbeschwerde nicht statthaft sein dürfte.
Mit am 5.8.2021 beim BGH eingegangenem Schriftsatz legte die Beklagte gegen den (die Berufung als unzulässig verwerfenden) Beschluss des LG vom 8.6.2021 Rechtsbeschwerde ein, begründet diese und beantragte, ihr wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Der BGH wies den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück und verwarf die Rechtsbeschwerde der Beklagten als unzulässig.
Die Gründe:
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Sie wurde nicht innerhalb der mit der Zustellung des die Berufung verwerfenden Beschlusses des Landgerichts beginnenden und am 15.7.2021 endenden Monatsfrist (§ 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO) eingelegt. Die erhobene Gehörsrüge hindert den Eintritt der formellen Rechtskraft nicht. Der Beklagten ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren (§ 233 ZPO), da sie nicht ohne Verschulden an der Einhaltung dieser Fristen gehindert war. Ihr zweitinstanzlicher Prozessbevollmächtigter, dessen Verschulden der Beklagten zuzurechnen ist (§ 85 Abs. 2 ZPO), hat die Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde (§ 575 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO) schuldhaft verstreichen lassen.
Zu den unübertragbaren Aufgaben eines Rechtsanwalts gehört es, Art und Umfang des gegen eine gerichtliche Entscheidung einzulegenden Rechtsmittels zu bestimmen. Dabei wird vom Rechtsanwalt, an den insoweit hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen sind, die Kenntnis des Rechtsmittelsystems der Zivilprozessordnung erwartet. Zugleich ist es seine Aufgabe, alle gesetzlichen Anforderungen an die Zulässigkeit des danach bestimmten Rechtsmittels in eigener Verantwortung zu prüfen und dafür Sorge zu tragen, dass dieses Rechtsmittel innerhalb der jeweils gegebenen Rechtsmittelfrist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Dem ist der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nicht gerecht geworden. Denn statt eine Rechtsbeschwerde durch einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt einlegen zu lassen hat er gegen den die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss des LG eine unstatthafte Anhörungsrüge erhoben.
Nach § 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ist die Anhörungsrüge nur statthaft, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Endentscheidung nicht gegeben ist. Diese Voraussetzung lag hier (offensichtlich) nicht vor. Denn gegen einen Beschluss des Berufungsgerichts, mit welchem die Berufung - wie hier - gegen ein zweites Versäumnisurteil der Vorinstanz als unzulässig verworfen wird, ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO die Rechtsbeschwerde statthaft. Auch dies muss einem Rechtsanwalt bekannt sein. Daher hätte der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Beklagten die rechtzeitige Beauftragung eines bei dem BGH zugelassenen Rechtsanwalts zur fristgerechten Einlegung einer solchen Rechtsbeschwerde veranlassen müssen, um auf diese Weise das angefochtene Urteil u.a. wegen der vermeintlichen Gehörsverletzungen zur Überprüfung zu stellen (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde entfällt das für die Fristversäumung ursächliche Verschulden des Instanzbevollmächtigten der Beklagten nicht wegen eines mitwirkenden Fehlers des Gerichts. Soweit die Rechtsbeschwerde meint, das Berufungsgericht habe die Beklagte zu spät auf die Unstatthaftigkeit der Anhörungsrüge hingewiesen und es versäumt, seinen Hinweis bereits so rechtzeitig vor Ablauf der Monatsfrist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde zu erteilen, dass für die Beklagte noch die Möglichkeit bestanden hätte, fristgerecht Rechtsbeschwerde einzulegen, wird verkannt, dass eine derartige Hinweis- und Fürsorgepflicht des Berufungsgerichts vorliegend nicht bestanden hat. Das Gericht, bei dem der unstatthafte Rechtsbehelf eingeht, ist grundsätzlich nicht verpflichtet, der Partei einen Hinweis so rechtzeitig zu erteilen, dass diese in die Lage versetzt wird, das eigentlich statthafte Rechtsmittel noch fristgerecht einzulegen.
Mehr zum Thema:
BGH online
Die Beklagte ist Mieterin einer Wohnung der Klägerin in Duisburg. Wegen rückständiger Miete und Nebenkosten i.H.v. insgesamt rd. 6.800 € nebst Zinsen erwirkte die Klägerin einen Vollstreckungsbescheid. In dem auf den Einspruch der Beklagten durch das AG bestimmten Termin sind weder diese noch deren Rechtsbeistand erschienen. Das AG verwarf daher den Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid durch ein zweites Versäumnisurteil.
Hiergegen legte die Beklagte fristgerecht Berufung ein. Diese verwarf das LG - nach einem entsprechenden Hinweis - mit Beschluss vom 8.6.2021 als unzulässig, da die Voraussetzungen des § 514 Abs. 2 ZPO, mithin das Nichtvorliegen eines Falls schuldhafter Säumnis, durch die Beklagte mit ihrer Berufung nicht schlüssig dargelegt worden seien.
Gegen diesen, ihrem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am 15.6.2021 zugestellten Beschluss, erhob die Beklagte am 17.6.2021 beim Berufungsgericht Anhörungsrüge. Das Berufungsgericht wies die Beklagte mit Verfügung vom 20.7.2021, dem Prozessbevollmächtigten am 23.7.2021 zugegangen, darauf hin, dass die Anhörungsrüge wegen der gegen den Beschluss vom 8.6.2021 eröffneten Rechtsbeschwerde nicht statthaft sein dürfte.
Mit am 5.8.2021 beim BGH eingegangenem Schriftsatz legte die Beklagte gegen den (die Berufung als unzulässig verwerfenden) Beschluss des LG vom 8.6.2021 Rechtsbeschwerde ein, begründet diese und beantragte, ihr wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Der BGH wies den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück und verwarf die Rechtsbeschwerde der Beklagten als unzulässig.
Die Gründe:
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Sie wurde nicht innerhalb der mit der Zustellung des die Berufung verwerfenden Beschlusses des Landgerichts beginnenden und am 15.7.2021 endenden Monatsfrist (§ 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO) eingelegt. Die erhobene Gehörsrüge hindert den Eintritt der formellen Rechtskraft nicht. Der Beklagten ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren (§ 233 ZPO), da sie nicht ohne Verschulden an der Einhaltung dieser Fristen gehindert war. Ihr zweitinstanzlicher Prozessbevollmächtigter, dessen Verschulden der Beklagten zuzurechnen ist (§ 85 Abs. 2 ZPO), hat die Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde (§ 575 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO) schuldhaft verstreichen lassen.
Zu den unübertragbaren Aufgaben eines Rechtsanwalts gehört es, Art und Umfang des gegen eine gerichtliche Entscheidung einzulegenden Rechtsmittels zu bestimmen. Dabei wird vom Rechtsanwalt, an den insoweit hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen sind, die Kenntnis des Rechtsmittelsystems der Zivilprozessordnung erwartet. Zugleich ist es seine Aufgabe, alle gesetzlichen Anforderungen an die Zulässigkeit des danach bestimmten Rechtsmittels in eigener Verantwortung zu prüfen und dafür Sorge zu tragen, dass dieses Rechtsmittel innerhalb der jeweils gegebenen Rechtsmittelfrist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Dem ist der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nicht gerecht geworden. Denn statt eine Rechtsbeschwerde durch einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt einlegen zu lassen hat er gegen den die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss des LG eine unstatthafte Anhörungsrüge erhoben.
Nach § 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ist die Anhörungsrüge nur statthaft, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Endentscheidung nicht gegeben ist. Diese Voraussetzung lag hier (offensichtlich) nicht vor. Denn gegen einen Beschluss des Berufungsgerichts, mit welchem die Berufung - wie hier - gegen ein zweites Versäumnisurteil der Vorinstanz als unzulässig verworfen wird, ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO die Rechtsbeschwerde statthaft. Auch dies muss einem Rechtsanwalt bekannt sein. Daher hätte der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Beklagten die rechtzeitige Beauftragung eines bei dem BGH zugelassenen Rechtsanwalts zur fristgerechten Einlegung einer solchen Rechtsbeschwerde veranlassen müssen, um auf diese Weise das angefochtene Urteil u.a. wegen der vermeintlichen Gehörsverletzungen zur Überprüfung zu stellen (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde entfällt das für die Fristversäumung ursächliche Verschulden des Instanzbevollmächtigten der Beklagten nicht wegen eines mitwirkenden Fehlers des Gerichts. Soweit die Rechtsbeschwerde meint, das Berufungsgericht habe die Beklagte zu spät auf die Unstatthaftigkeit der Anhörungsrüge hingewiesen und es versäumt, seinen Hinweis bereits so rechtzeitig vor Ablauf der Monatsfrist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde zu erteilen, dass für die Beklagte noch die Möglichkeit bestanden hätte, fristgerecht Rechtsbeschwerde einzulegen, wird verkannt, dass eine derartige Hinweis- und Fürsorgepflicht des Berufungsgerichts vorliegend nicht bestanden hat. Das Gericht, bei dem der unstatthafte Rechtsbehelf eingeht, ist grundsätzlich nicht verpflichtet, der Partei einen Hinweis so rechtzeitig zu erteilen, dass diese in die Lage versetzt wird, das eigentlich statthafte Rechtsmittel noch fristgerecht einzulegen.
- Rechtsprechung: BGH vom 29.9.2021, VII ZB 12/21 - Wiedereinsetzung: Rechtsanwaltspflichten bei gescheiterter Fax-Übermittlung (MDR 2022, 117)
- Rechtsprechung: BGH vom 26.8.2021, III ZB 9/21 - Wiedereinsetzung: RA-Pflichten bei Scheitern der Faxübermittlung (MDR 2021, 1482)
- Praxisrelevante Lösungen für alle Fragestellungen zum Zivilrecht bietet Ihnen unser umfassendes Aktionsmodul Zivilrecht (6 Module zum Arbeitsrecht, Erbrecht, Familienrecht, Miet- und WEG-Recht, Zivil- und Zivilverfahrensrecht) - jetzt 4 Wochen lang kostenlos testen.