Kindesunterhalt: Berücksichtigung von auf Darlehen zur Finanzierung der selbstgenutzten Immobilie erbrachten Tilgungsleistungen
BGH v. 9.3.2022 - XII ZB 233/21
Der Sachverhalt:
Der Antragsteller macht als Träger der Unterhaltsvorschusskasse in der Rechtsbeschwerdeinstanz noch laufenden Kindesunterhalt aus übergegangenem Recht für die Zeit ab März 2021 gegen den Antragsgegner geltend.
Der Antragsgegner ist Vater seines im Januar 2004 geborenen Sohnes T und seiner im März 2006 geborenen Tochter L, die aus der geschiedenen Ehe mit der Kindesmutter hervorgegangen sind. Der Antragsteller erbringt für die beiden Kinder seit 2017 Unterhaltsvorschussleistungen. Der Antragsgegner ist als Produktionshelfer beschäftigt und bezieht aus dieser Tätigkeit ein mtl. Nettoeinkommen i.H.v. 1.770,95 €. Den elf Kilometer langen Weg zur Arbeitsstätte legt er mit dem Kraftfahrzeug zurück. Der Arbeitgeber zahlt vermögenswirksame Leistungen i.H.v. mtl.13,29 €. Im Jahr 2017 erwarb der Antragsgegner eine Wohnimmobilie zur Selbstnutzung, deren Wohnwert mit 350 € zu bemessen ist. Zur Finanzierung der Immobilie nahm er einen Kredit bei der D.-Bank über 60.000 € mit einer mtl. Darlehensrate von 215,50 € (Tilgungsanteil derzeit rd. 80 €) und einen weiteren Kredit bei der H.-Bank über 12.000 € mit einer mtl. Darlehensrate von 107 € (Tilgungsanteil derzeit rd. 50 €) auf. Der Antragsteller nahm den Antragsgegner für die Zeit ab März 2021 auf Erstattung künftiger Unterhaltsvorschussleistungen für die Kinder T und L i.H.v. jeweils 100 % des Mindestunterhalts der dritten Altersstufe abzgl. des vollen gesetzlichen Kindergelds (im Jahr 2021 je Kind 309 €) in Anspruch.
Das AG gab dem Antrag nur teilweise statt. Es bereinigte die Nettoerwerbseinkünfte des Antragsgegners um berufsbedingte Fahrtkosten sowie um die vermögenswirksamen Arbeitgeberleistungen und rechnete einen den gesamten Schuldendienst der Immobilienfinanzierung übersteigenden restlichen Wohnwert i.H.v. 27,50 € zu. Auf dieser Berechnungsgrundlage ermittelte das AG bei einem unterhaltsrechtlich zu berücksichtigenden Gesamteinkommen von 1.664,16 € eine Verteilungsmasse von 504 € und verpflichtete den Antragsgegner unter Abweisung des weitergehenden Antrags zur Erstattung von Unterhaltsvorschuss i.H.v. jeweils 252 € für die beiden Kinder T und L seit dem 1.3.2021 bis zu deren Volljährigkeit. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers wies das OLG zurück. Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen die Beurteilung des Beschwerdegerichts, dass die gesamten Zins- und Tilgungsleistungen auf die von dem Antragsgegner bedienten Immobilienkredite (322,50 €) als dem Wohnvorteil entgegenzurechnende Abzugspositionen zu berücksichtigen sind.
Es muss dem Umstand Rechnung getragen werden, dass durch die Zins- und Tilgungsleistungen, die der unterhaltspflichtige Selbstnutzer eines Eigenheims auf einen zu dessen Finanzierung aufgenommenen Kredit erbringt, ein einkommenserhöhender Wohnvorteil ermöglicht wird. Darauf hat der Senat bereits im Rahmen des Elternunterhalts und des Ehegattenunterhalts hingewiesen. Bis zur Höhe des Wohnwerts können die Kreditraten deshalb nicht nur mit dem Zinsanteil, sondern auch mit dem Tilgungsanteil berücksichtigt werden. Zwar handelt es sich bei der Tilgung des Immobilienkredits immer noch um eine Vermögensbildung, aber um eine solche, die nicht "zu Lasten" des Unterhaltsberechtigten geht, weil es ohne Zins und Tilgung den unterhaltsrechtlich zu seinen Gunsten berücksichtigten Wohnvorteil in Form einer ersparten Miete nicht gäbe. Diese grundlegenden Erwägungen gelten in gleicher Weise für den Kindesunterhalt.
Mit Recht hat das OLG davon abgesehen, die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit des Antragsgegners fiktiv durch eine Tilgungsstreckung und eine damit verbundene Herabsetzung der Tilgungsleistungen zu erhöhen. Allerdings ist es insbesondere bei der Gefährdung des Mindestunterhalts minderjähriger Kinder nicht generell ausgeschlossen, dem Unterhaltspflichtigen eine Obliegenheit zur Tilgungsstreckung aufzuerlegen. Das Argument, dass die gesamte Darlehensrate einschließlich des darin enthaltenen Tilgungsanteils durch den gegenzurechnenden Wohnvorteil kompensiert wird, zwingt lediglich dazu, dem Grunde nach neben den Zinszahlungen auch Tilgungsleistungen auf das Finanzierungsdarlehen anzuerkennen, ohne dass damit in jedem Fall etwas über die Höhe der unterhaltsrechtlich zu berücksichtigenden Tilgungsanteile ausgesagt wäre.
Nur eine völlige Aussetzung der Tilgungsleistungen ist dem Unterhaltspflichtigen im Rahmen der Interessenabwägung regelmäßig unzumutbar. Wird trotz vollständiger Kompensation des Schuldendienstes durch den gegenzurechnenden Wohnvorteil die Darlehenstilgung gestreckt und dadurch ein dem Unterhaltspflichtigen unterhaltsrechtlich zuzurechnender positiver Wohnwert erzeugt, bewirkt dies bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise freilich eine Herabsetzung des maßgeblichen Selbstbehalts, und zwar mit der Begründung, dass der Unterhaltspflichtige als Darlehensnehmer bei nunmehr herabgesetzten Tilgungsanteilen für die Deckung der Wohnbedürfnisse im eigenen Haus weniger Mittel aufwenden muss, als wenn er das gleiche Haus als Mieter bewohnen würde und dafür als Entgelt die objektive Marktmiete bezahlen müsste. Dies wird nur in Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden können, so etwa, wenn eine ungewöhnlich hohe Tilgung vereinbart oder das Eigenheim bereits weitgehend abgezahlt worden ist. Davon kann unter den hier obwaltenden Umständen nicht ausgegangen werden.
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Der Antragsgegner ist Vater seines im Januar 2004 geborenen Sohnes T und seiner im März 2006 geborenen Tochter L, die aus der geschiedenen Ehe mit der Kindesmutter hervorgegangen sind. Der Antragsteller erbringt für die beiden Kinder seit 2017 Unterhaltsvorschussleistungen. Der Antragsgegner ist als Produktionshelfer beschäftigt und bezieht aus dieser Tätigkeit ein mtl. Nettoeinkommen i.H.v. 1.770,95 €. Den elf Kilometer langen Weg zur Arbeitsstätte legt er mit dem Kraftfahrzeug zurück. Der Arbeitgeber zahlt vermögenswirksame Leistungen i.H.v. mtl.13,29 €. Im Jahr 2017 erwarb der Antragsgegner eine Wohnimmobilie zur Selbstnutzung, deren Wohnwert mit 350 € zu bemessen ist. Zur Finanzierung der Immobilie nahm er einen Kredit bei der D.-Bank über 60.000 € mit einer mtl. Darlehensrate von 215,50 € (Tilgungsanteil derzeit rd. 80 €) und einen weiteren Kredit bei der H.-Bank über 12.000 € mit einer mtl. Darlehensrate von 107 € (Tilgungsanteil derzeit rd. 50 €) auf. Der Antragsteller nahm den Antragsgegner für die Zeit ab März 2021 auf Erstattung künftiger Unterhaltsvorschussleistungen für die Kinder T und L i.H.v. jeweils 100 % des Mindestunterhalts der dritten Altersstufe abzgl. des vollen gesetzlichen Kindergelds (im Jahr 2021 je Kind 309 €) in Anspruch.
Das AG gab dem Antrag nur teilweise statt. Es bereinigte die Nettoerwerbseinkünfte des Antragsgegners um berufsbedingte Fahrtkosten sowie um die vermögenswirksamen Arbeitgeberleistungen und rechnete einen den gesamten Schuldendienst der Immobilienfinanzierung übersteigenden restlichen Wohnwert i.H.v. 27,50 € zu. Auf dieser Berechnungsgrundlage ermittelte das AG bei einem unterhaltsrechtlich zu berücksichtigenden Gesamteinkommen von 1.664,16 € eine Verteilungsmasse von 504 € und verpflichtete den Antragsgegner unter Abweisung des weitergehenden Antrags zur Erstattung von Unterhaltsvorschuss i.H.v. jeweils 252 € für die beiden Kinder T und L seit dem 1.3.2021 bis zu deren Volljährigkeit. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers wies das OLG zurück. Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen die Beurteilung des Beschwerdegerichts, dass die gesamten Zins- und Tilgungsleistungen auf die von dem Antragsgegner bedienten Immobilienkredite (322,50 €) als dem Wohnvorteil entgegenzurechnende Abzugspositionen zu berücksichtigen sind.
Es muss dem Umstand Rechnung getragen werden, dass durch die Zins- und Tilgungsleistungen, die der unterhaltspflichtige Selbstnutzer eines Eigenheims auf einen zu dessen Finanzierung aufgenommenen Kredit erbringt, ein einkommenserhöhender Wohnvorteil ermöglicht wird. Darauf hat der Senat bereits im Rahmen des Elternunterhalts und des Ehegattenunterhalts hingewiesen. Bis zur Höhe des Wohnwerts können die Kreditraten deshalb nicht nur mit dem Zinsanteil, sondern auch mit dem Tilgungsanteil berücksichtigt werden. Zwar handelt es sich bei der Tilgung des Immobilienkredits immer noch um eine Vermögensbildung, aber um eine solche, die nicht "zu Lasten" des Unterhaltsberechtigten geht, weil es ohne Zins und Tilgung den unterhaltsrechtlich zu seinen Gunsten berücksichtigten Wohnvorteil in Form einer ersparten Miete nicht gäbe. Diese grundlegenden Erwägungen gelten in gleicher Weise für den Kindesunterhalt.
Mit Recht hat das OLG davon abgesehen, die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit des Antragsgegners fiktiv durch eine Tilgungsstreckung und eine damit verbundene Herabsetzung der Tilgungsleistungen zu erhöhen. Allerdings ist es insbesondere bei der Gefährdung des Mindestunterhalts minderjähriger Kinder nicht generell ausgeschlossen, dem Unterhaltspflichtigen eine Obliegenheit zur Tilgungsstreckung aufzuerlegen. Das Argument, dass die gesamte Darlehensrate einschließlich des darin enthaltenen Tilgungsanteils durch den gegenzurechnenden Wohnvorteil kompensiert wird, zwingt lediglich dazu, dem Grunde nach neben den Zinszahlungen auch Tilgungsleistungen auf das Finanzierungsdarlehen anzuerkennen, ohne dass damit in jedem Fall etwas über die Höhe der unterhaltsrechtlich zu berücksichtigenden Tilgungsanteile ausgesagt wäre.
Nur eine völlige Aussetzung der Tilgungsleistungen ist dem Unterhaltspflichtigen im Rahmen der Interessenabwägung regelmäßig unzumutbar. Wird trotz vollständiger Kompensation des Schuldendienstes durch den gegenzurechnenden Wohnvorteil die Darlehenstilgung gestreckt und dadurch ein dem Unterhaltspflichtigen unterhaltsrechtlich zuzurechnender positiver Wohnwert erzeugt, bewirkt dies bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise freilich eine Herabsetzung des maßgeblichen Selbstbehalts, und zwar mit der Begründung, dass der Unterhaltspflichtige als Darlehensnehmer bei nunmehr herabgesetzten Tilgungsanteilen für die Deckung der Wohnbedürfnisse im eigenen Haus weniger Mittel aufwenden muss, als wenn er das gleiche Haus als Mieter bewohnen würde und dafür als Entgelt die objektive Marktmiete bezahlen müsste. Dies wird nur in Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden können, so etwa, wenn eine ungewöhnlich hohe Tilgung vereinbart oder das Eigenheim bereits weitgehend abgezahlt worden ist. Davon kann unter den hier obwaltenden Umständen nicht ausgegangen werden.
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