Kumulativer Erbteilserwerb bei Minderjährigenadoption
OLG Frankfurt a.M. v. 15.12.2021 - 21 W 170/21
Der Sachverhalt:
Die verwitwete und kinderlose Erblasserin ist 2016 ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung verstorben. Der Vater der Erblasserin war 1943, die Mutter 1979 vorverstorben. Aus der Ehe der Eltern der Erblasserin sind neben der Erblasserin ein 1974 verstorbener Bruder, Vater der Beteiligten zu 2) bis 5), eine 2009 verstorbene Schwester, Mutter des Beteiligten zu 6), eine 1981 verstorbene Schwester, zugleich Adoptivmutter des Beteiligten zu 1), sowie die 1975 verstorbene, leibliche Mutter des Beteiligten zu 1) hervorgegangen. Der 1960 geborene Beteiligte zu 1) ist einziges Kind seiner unverheiratet gebliebenen Mutter.
Die Adoptivmutter des Beteiligten zu 1) war bis zu ihrem Ableben im Jahre 1981 mit A. verheiratet. Nach ihrem Ableben ehelichte ihr Witwer im Jahre 1982 die Erblasserin. Er verstarb sodann im Jahre 1996. Im Jahr 1967 wurde der Beteiligte zu 1) durch seine Tante und deren damaligen Ehemann A., späterer Ehemann der Erblasserin, adoptiert. Das AG hat mit Schreiben an das Nachlassgericht vom 9.4.2021 mitgeteilt, dass dort Vorgänge nach Art. 12 § 2 Abs. 3 des Gesetzes über die Annahme als Kind und zur Änderung anderer Vorschriften (Adoptionsgesetz) vom 2.7.1976 (nachfolgend: AdoptG) mit Bezug auf die seinerzeitige Adoption des Beteiligten zu 1) nicht ermittelt werden konnten.
Am 16.3.2021 hat der Beteiligte zu 1) die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der ihn auf der Grundlage gesetzlicher Erbfolge als Miterben der Erblasserin zu ½, die Beteiligten zu 2) bis 5) als Miterben zu je 1/16 und den Beteiligten zu 5) als Miterben zu ¼ ausweisen soll. Die Beteiligten zu 2) bis 6) sind dem Erbscheinsantrag entgegengetreten, da auf die im Jahre 1967 erfolgte Adoption des Beteiligten zu 1) die Vorschriften der §§ 1754 ff. BGB in ihrer seit dem 1.1.1977 maßgeblichen Fassung nicht anwendbar seien. Das Nachlassgericht hat die zur Erteilung des vom Beteiligten zu 1) beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet.
Das OLG hat die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 2) bis 6) zurückgewiesen. Allerdings wurde die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Die Gründe:
Das Nachlassgericht ist zu Recht der Auffassung gewesen, dass der Beteiligte zu 1) sowohl den auf seine leibliche Mutter wie auch den auf seine Adoptivmutter entfallenden Erbteil von je ¼ nach der Erblasserin erlangt hat und damit in mehreren Stämmen zur Erbfolge nach der Erblasserin berufen worden ist. Für den Fall einer solchen mehrfachen Berufung ordnet § 1927 Satz 1 BGB an, dass der Erbe in Abweichung zu der von § 1924 Abs. 4 BGB angeordneten Gleichverteilung den in jedem dieser Stämme ihm zugefallenen Anteil beanspruchen kann. Eine solche mehrfache Berufung liegt nach zutreffender Auffassung insbesondere dann vor, wenn der jeweilige Erbprätendent als Minderjähriger von einem Geschwister seines leiblichen Elternteils adoptiert worden war und sodann nach dem Ableben beider Geschwister sowie ihrer Eltern ein weiteres Geschwisterkind, hier die Erblasserin, verstirbt.
Von einem Teil der Literatur wird für Fallgestaltungen der vorliegenden Art ein mehrfacher Erbantritt des Adoptivkinds abgelehnt (vgl. Erman/Lieder, 2020, § 1924 BGB Rn. 4) oder jedenfalls als zweifelhaft angesehen (vgl. Erman/Saar, BGB, 2020, § 1756 BGB Rn. 5). Dafür wird geltend gemacht, dass die von § 1924 Abs. 3 Satz 1 BGB für ein solches Eintrittsrecht des Adoptivkinds in den Stamm seines vorverstorbenen leiblichen Etlernteils vorausgesetzte Verwandtschaftsbeziehung zu dem leiblichen Elternteil durch §§ 1755, 1756 BGB n.F. gerade abgeschnitten worden sei. Nach der Gegenauffassung erbt das Adoptivkind gem. § 1756 Abs. 1 BGB nach Ableben der leiblichen und der Adoptiveltern nicht nur aus dem Stamm der Adoptiveltern, sondern in der von § 1927 Satz 1 BGB für einen mehrfachen Erbteilserwerb geforderten Weise zugleich auch aus dem Stamm des leiblichen Elternteils.
Der Senat folgt letzterer Ansicht. Es überzeugt in der Sache nicht, wenn für einen Ausschluss des Adoptivkinds von einem kumulativen Erbteilserwerb aus dem Stamm seiner leiblichen und seiner Adoptiveltern geltend gemacht wird, dass dies gegen die von § 1924 Abs. 4 BGB angeordnete Gleichbehandlung der jeweiligen Stämme verstoße. Denn insoweit beruht die Bevorzugung des Adoptivkinds in erster Linie auf der in § 1927 Satz 1 BGB enthaltenen Entscheidung des Gesetzgebers, dass einem in zwei Stämmen gleichzeitig berechtigten Erben die Erbteile aus beiden Stämmen zustehen sollen. Es wird auch von Vertretern derjenigen Auffassung, die einen mehrfachen Erbteilserwerb des Adoptivkinds aus dem Stamm seiner Adoptiveltern und seiner leiblichen Eltern für Fälle der vorliegenden Art als unbillig oder unsachgerecht ansehen, nicht in Frage gestellt, dass der Gesetzgeber bei Schaffung des § 1756 Abs. 1 Satz 1 BGB eine kumulative Erbberechtigung gerade auch selbst in Kauf genommen hat.
Die Rechtsbeschwerde war gem. § 70 Abs. 2 FamFG zuzulassen. Die Auslegung des § 1756 Abs. 1 Satz 1 BGB für Fallgestaltungen der vorliegenden Art ist in der Literatur umstritten und - soweit ersichtlich - bislang noch kein Gegenstand einer veröffentlichten Entscheidung gewesen.
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Die verwitwete und kinderlose Erblasserin ist 2016 ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung verstorben. Der Vater der Erblasserin war 1943, die Mutter 1979 vorverstorben. Aus der Ehe der Eltern der Erblasserin sind neben der Erblasserin ein 1974 verstorbener Bruder, Vater der Beteiligten zu 2) bis 5), eine 2009 verstorbene Schwester, Mutter des Beteiligten zu 6), eine 1981 verstorbene Schwester, zugleich Adoptivmutter des Beteiligten zu 1), sowie die 1975 verstorbene, leibliche Mutter des Beteiligten zu 1) hervorgegangen. Der 1960 geborene Beteiligte zu 1) ist einziges Kind seiner unverheiratet gebliebenen Mutter.
Die Adoptivmutter des Beteiligten zu 1) war bis zu ihrem Ableben im Jahre 1981 mit A. verheiratet. Nach ihrem Ableben ehelichte ihr Witwer im Jahre 1982 die Erblasserin. Er verstarb sodann im Jahre 1996. Im Jahr 1967 wurde der Beteiligte zu 1) durch seine Tante und deren damaligen Ehemann A., späterer Ehemann der Erblasserin, adoptiert. Das AG hat mit Schreiben an das Nachlassgericht vom 9.4.2021 mitgeteilt, dass dort Vorgänge nach Art. 12 § 2 Abs. 3 des Gesetzes über die Annahme als Kind und zur Änderung anderer Vorschriften (Adoptionsgesetz) vom 2.7.1976 (nachfolgend: AdoptG) mit Bezug auf die seinerzeitige Adoption des Beteiligten zu 1) nicht ermittelt werden konnten.
Am 16.3.2021 hat der Beteiligte zu 1) die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der ihn auf der Grundlage gesetzlicher Erbfolge als Miterben der Erblasserin zu ½, die Beteiligten zu 2) bis 5) als Miterben zu je 1/16 und den Beteiligten zu 5) als Miterben zu ¼ ausweisen soll. Die Beteiligten zu 2) bis 6) sind dem Erbscheinsantrag entgegengetreten, da auf die im Jahre 1967 erfolgte Adoption des Beteiligten zu 1) die Vorschriften der §§ 1754 ff. BGB in ihrer seit dem 1.1.1977 maßgeblichen Fassung nicht anwendbar seien. Das Nachlassgericht hat die zur Erteilung des vom Beteiligten zu 1) beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet.
Das OLG hat die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 2) bis 6) zurückgewiesen. Allerdings wurde die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Die Gründe:
Das Nachlassgericht ist zu Recht der Auffassung gewesen, dass der Beteiligte zu 1) sowohl den auf seine leibliche Mutter wie auch den auf seine Adoptivmutter entfallenden Erbteil von je ¼ nach der Erblasserin erlangt hat und damit in mehreren Stämmen zur Erbfolge nach der Erblasserin berufen worden ist. Für den Fall einer solchen mehrfachen Berufung ordnet § 1927 Satz 1 BGB an, dass der Erbe in Abweichung zu der von § 1924 Abs. 4 BGB angeordneten Gleichverteilung den in jedem dieser Stämme ihm zugefallenen Anteil beanspruchen kann. Eine solche mehrfache Berufung liegt nach zutreffender Auffassung insbesondere dann vor, wenn der jeweilige Erbprätendent als Minderjähriger von einem Geschwister seines leiblichen Elternteils adoptiert worden war und sodann nach dem Ableben beider Geschwister sowie ihrer Eltern ein weiteres Geschwisterkind, hier die Erblasserin, verstirbt.
Von einem Teil der Literatur wird für Fallgestaltungen der vorliegenden Art ein mehrfacher Erbantritt des Adoptivkinds abgelehnt (vgl. Erman/Lieder, 2020, § 1924 BGB Rn. 4) oder jedenfalls als zweifelhaft angesehen (vgl. Erman/Saar, BGB, 2020, § 1756 BGB Rn. 5). Dafür wird geltend gemacht, dass die von § 1924 Abs. 3 Satz 1 BGB für ein solches Eintrittsrecht des Adoptivkinds in den Stamm seines vorverstorbenen leiblichen Etlernteils vorausgesetzte Verwandtschaftsbeziehung zu dem leiblichen Elternteil durch §§ 1755, 1756 BGB n.F. gerade abgeschnitten worden sei. Nach der Gegenauffassung erbt das Adoptivkind gem. § 1756 Abs. 1 BGB nach Ableben der leiblichen und der Adoptiveltern nicht nur aus dem Stamm der Adoptiveltern, sondern in der von § 1927 Satz 1 BGB für einen mehrfachen Erbteilserwerb geforderten Weise zugleich auch aus dem Stamm des leiblichen Elternteils.
Der Senat folgt letzterer Ansicht. Es überzeugt in der Sache nicht, wenn für einen Ausschluss des Adoptivkinds von einem kumulativen Erbteilserwerb aus dem Stamm seiner leiblichen und seiner Adoptiveltern geltend gemacht wird, dass dies gegen die von § 1924 Abs. 4 BGB angeordnete Gleichbehandlung der jeweiligen Stämme verstoße. Denn insoweit beruht die Bevorzugung des Adoptivkinds in erster Linie auf der in § 1927 Satz 1 BGB enthaltenen Entscheidung des Gesetzgebers, dass einem in zwei Stämmen gleichzeitig berechtigten Erben die Erbteile aus beiden Stämmen zustehen sollen. Es wird auch von Vertretern derjenigen Auffassung, die einen mehrfachen Erbteilserwerb des Adoptivkinds aus dem Stamm seiner Adoptiveltern und seiner leiblichen Eltern für Fälle der vorliegenden Art als unbillig oder unsachgerecht ansehen, nicht in Frage gestellt, dass der Gesetzgeber bei Schaffung des § 1756 Abs. 1 Satz 1 BGB eine kumulative Erbberechtigung gerade auch selbst in Kauf genommen hat.
Die Rechtsbeschwerde war gem. § 70 Abs. 2 FamFG zuzulassen. Die Auslegung des § 1756 Abs. 1 Satz 1 BGB für Fallgestaltungen der vorliegenden Art ist in der Literatur umstritten und - soweit ersichtlich - bislang noch kein Gegenstand einer veröffentlichten Entscheidung gewesen.
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