Manipulation von Grundstücksversteigerungen durch irreführende Erklärungen
BGH v. 18.7.2024 - V ZB 43/23
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten sind geschiedene Eheleute und jeweils zur Hälfte Eigentümer eines Grundstücks, das mit einem noch nicht fertiggestellten Einfamilienhaus bebaut ist. Beide betreiben die Teilungsversteigerung. Der Verkehrswert des Grundstücks wurde auf 452.000 € festgesetzt.
In dem Versteigerungstermin im Oktober 2022 wurden bei der Feststellung des geringsten Gebots bestehenbleibende Rechte von 370.000 € und ein Bargebot von 10.211 € berücksichtigt. In dem Termin, in dem mehrere Bietinteressenten anwesend waren, wies der Beteiligte zu 1 auf seinen "bedingt" gestellten Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765a ZPO hin und legte Erinnerung gemäß § 766 ZPO ein. Er überreichte mehrere Mietverträge über Räumlichkeiten des Einfamilienhauses und erklärte, dort ein Gewerbe zu betreiben. Er wies zudem darauf hin, dass er pflegebedürftig und in den Pflegegrad III eingestuft sei. Er gab sodann ein Bargebot von 10.212 € ab. Anschließend wies sein Verfahrensbevollmächtigter noch während der Bietzeit auf die Pflicht des Erstehers zur Übernahme der dinglichen Zinsen der bestehen gebliebenen Grundschuld hin. Der Rechtspfleger erteilte den Hinweis, dass die Befreiung von der Zinsverpflichtung durch Hinterlegung des für die Grundschuldablösung erforderlichen Geldbetrags möglich sei. Weitere Gebote erfolgten nicht. Nach dem Ende der Bietzeit nahm der Beteiligte zu 1 seinen Vollstreckungsschutzantrag zurück. Das Vollstreckungsgericht hat wie von der Beteiligten zu 2 beantragt, dem Beteiligten zu 1 den Zuschlag versagt.
Die Beschwerde ist erfolglos geblieben. Der BGH hat nun auch die dagegen erhobene Rechtsbeschwerde zurückgewiesen.
Die Gründe:
Rechtsfehlerfrei geht das Beschwerdegericht davon aus, dass der Zuschlag auf das im Versteigerungstermin abgegebene Meistgebot zu Recht nach § 83 Nr. 6 ZVG versagt worden ist. Der Zuschlag ist nach § 100 Abs. 3 i.V.m. § 83 Nr. 6 ZVG zu versagen, wenn die Zwangsversteigerung oder ihre Fortsetzung aus sonstigen Gründen unzulässig ist. Eine Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens kann unzulässig sein, wenn diese gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens verstößt .
Ein Zuschlagsversagungsgrund kann nach § 83 Nr. 6 ZVG vorliegen, wenn ein Beteiligter durch unlauteres Verhalten in dem Zwangsversteigerungstermin andere Bietinteressenten von der Abgabe eines Gebots abhält, um das Grundstück selbst günstig zu erwerben. Das gilt auch für eine Manipulation der Bietstunde durch den mitbietenden Miteigentümer.
Die Grenze zu einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten kann überschritten sein, wenn der Miteigentümer, um das Grundstück selbst günstig zu ersteigern, durch sein Verhalten in dem Versteigerungstermin in manipulativer Weise in die Konkurrenz der Bieter eingreift, ohne dass das Versteigerungsgericht dem durch seine Verfahrensführung in hinreichender Weise entgegenwirken kann. Dem Miteigentümer müsste, weil er Meistbietender geblieben ist, der Zuschlag erteilt werden; sein Gebot ist wirksam (§ 71 ZVG). Weil er einen anderen Interessenten von der Abgabe eines höheren Gebots abgehalten hat, wäre der Zuschlag mit dem Gebot der fairen Verfahrensführung nicht vereinbar. Bei falschen oder die wahre Sachlage verzerrenden Erklärungen eines Miteigentümers im Teilungsversteigerungstermin, die in der tatrichterlichen Gesamtschau der protokollierten Vorgänge (§ 80 ZVG) die Annahme rechtfertigen, dass Bietinteressenten von der Abgabe von Geboten abgeschreckt werden sollen, damit der Miteigentümer das Grundstück selbst günstig ersteigern kann, kann die Fortsetzung des Versteigerungsverfahrens gegen das Gebot der fairen Verfahrensführung verstoßen. Der Zuschlag ist nach § 83 Nr. 6 ZVG zu versagen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich dieses Verhalten nachteilig auf die Abgabe von Geboten ausgewirkt hat.
Stellt das Gericht mit der in dem Verfahren der Zwangsversteigerung erreichbaren Sicherheit eine Manipulation des Versteigerungstermins fest, muss es dann, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich das manipulative Verhalten nachteilig ausgewirkt hat, den Zuschlag versagen. Die Kausalität der Manipulation muss nicht positiv festgestellt werden.
Davon geht auch das Beschwerdegericht aus und bejaht in einer rechtsfehlerfreien Gesamtwürdigung eine den Zuschlagsversagungsgrund nach § 83 Nr. 6 ZVG begründende Manipulation des Teilungsversteigerungstermins durch den Beteiligten zu 1. Dabei nimmt es an, dass die einzelnen Umstände jeweils für sich genommen für die Annahme einer Manipulation nicht ausreichen würden, die Gesamtschau aber diesen Schluss erlaubt. Die tatrichterliche Würdigung unterliegt nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht. Dieses kann lediglich prüfen, ob maßgebliche Rechtsbegriffe verkannt, Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt oder wesentliche Umstände nicht beachtet worden sind. Ein solcher Rechtsfehler liegt hier nicht vor.
Das Beschwerdegericht meint, auch ein - wie hier - zulässiger und nicht offensichtlich unbegründeter Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765a ZPO könne der Manipulation des Teilungsversteigerungstermins dienen. Nach Vernehmung des den Versteigerungstermin leitenden Rechtspflegers hat es im Rahmen seiner Gesamtwürdigung die Überzeugung gewonnen, dass es dem Beteiligten zu 1 mit dem Vollstreckungsschutzantrag ersichtlich darum gegangen sei, den potentiellen Bieterkreis zu verunsichern, indem er die Verlesung und Erörterung des Antrags in dem Versteigerungstermin eingefordert, einen bereits überholten früheren Vollstreckungsschutzantrag erneut überreicht und auf seinen anerkannten Pflegegrad verwiesen habe.
Ohne Rechtsfehler sieht das Beschwerdegericht eine weitere Manipulation des Teilungsversteigerungstermins in der von dem Beteiligten zu 1 eingelegten Erinnerung gemäß § 766 ZPO, mit der dieser die gewerbliche Nutzung des Objekts und die Untervermietung geltend gemacht sowie fünf Wohnraummietverträge und einen Geschäftsraummietvertrag vorgelegt hat, und den damit im Zusammenhang stehenden Erklärungen des Beteiligten zu 1.
Schließlich stellt das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei Anhaltspunkte dafür fest, dass sich das Verhalten des Beteiligten zu 1 nachteilig auf die Abgabe von Geboten durch andere Bietinteressenten ausgewirkt hat.
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BGH online
Die Beteiligten sind geschiedene Eheleute und jeweils zur Hälfte Eigentümer eines Grundstücks, das mit einem noch nicht fertiggestellten Einfamilienhaus bebaut ist. Beide betreiben die Teilungsversteigerung. Der Verkehrswert des Grundstücks wurde auf 452.000 € festgesetzt.
In dem Versteigerungstermin im Oktober 2022 wurden bei der Feststellung des geringsten Gebots bestehenbleibende Rechte von 370.000 € und ein Bargebot von 10.211 € berücksichtigt. In dem Termin, in dem mehrere Bietinteressenten anwesend waren, wies der Beteiligte zu 1 auf seinen "bedingt" gestellten Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765a ZPO hin und legte Erinnerung gemäß § 766 ZPO ein. Er überreichte mehrere Mietverträge über Räumlichkeiten des Einfamilienhauses und erklärte, dort ein Gewerbe zu betreiben. Er wies zudem darauf hin, dass er pflegebedürftig und in den Pflegegrad III eingestuft sei. Er gab sodann ein Bargebot von 10.212 € ab. Anschließend wies sein Verfahrensbevollmächtigter noch während der Bietzeit auf die Pflicht des Erstehers zur Übernahme der dinglichen Zinsen der bestehen gebliebenen Grundschuld hin. Der Rechtspfleger erteilte den Hinweis, dass die Befreiung von der Zinsverpflichtung durch Hinterlegung des für die Grundschuldablösung erforderlichen Geldbetrags möglich sei. Weitere Gebote erfolgten nicht. Nach dem Ende der Bietzeit nahm der Beteiligte zu 1 seinen Vollstreckungsschutzantrag zurück. Das Vollstreckungsgericht hat wie von der Beteiligten zu 2 beantragt, dem Beteiligten zu 1 den Zuschlag versagt.
Die Beschwerde ist erfolglos geblieben. Der BGH hat nun auch die dagegen erhobene Rechtsbeschwerde zurückgewiesen.
Die Gründe:
Rechtsfehlerfrei geht das Beschwerdegericht davon aus, dass der Zuschlag auf das im Versteigerungstermin abgegebene Meistgebot zu Recht nach § 83 Nr. 6 ZVG versagt worden ist. Der Zuschlag ist nach § 100 Abs. 3 i.V.m. § 83 Nr. 6 ZVG zu versagen, wenn die Zwangsversteigerung oder ihre Fortsetzung aus sonstigen Gründen unzulässig ist. Eine Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens kann unzulässig sein, wenn diese gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens verstößt .
Ein Zuschlagsversagungsgrund kann nach § 83 Nr. 6 ZVG vorliegen, wenn ein Beteiligter durch unlauteres Verhalten in dem Zwangsversteigerungstermin andere Bietinteressenten von der Abgabe eines Gebots abhält, um das Grundstück selbst günstig zu erwerben. Das gilt auch für eine Manipulation der Bietstunde durch den mitbietenden Miteigentümer.
Die Grenze zu einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten kann überschritten sein, wenn der Miteigentümer, um das Grundstück selbst günstig zu ersteigern, durch sein Verhalten in dem Versteigerungstermin in manipulativer Weise in die Konkurrenz der Bieter eingreift, ohne dass das Versteigerungsgericht dem durch seine Verfahrensführung in hinreichender Weise entgegenwirken kann. Dem Miteigentümer müsste, weil er Meistbietender geblieben ist, der Zuschlag erteilt werden; sein Gebot ist wirksam (§ 71 ZVG). Weil er einen anderen Interessenten von der Abgabe eines höheren Gebots abgehalten hat, wäre der Zuschlag mit dem Gebot der fairen Verfahrensführung nicht vereinbar. Bei falschen oder die wahre Sachlage verzerrenden Erklärungen eines Miteigentümers im Teilungsversteigerungstermin, die in der tatrichterlichen Gesamtschau der protokollierten Vorgänge (§ 80 ZVG) die Annahme rechtfertigen, dass Bietinteressenten von der Abgabe von Geboten abgeschreckt werden sollen, damit der Miteigentümer das Grundstück selbst günstig ersteigern kann, kann die Fortsetzung des Versteigerungsverfahrens gegen das Gebot der fairen Verfahrensführung verstoßen. Der Zuschlag ist nach § 83 Nr. 6 ZVG zu versagen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich dieses Verhalten nachteilig auf die Abgabe von Geboten ausgewirkt hat.
Stellt das Gericht mit der in dem Verfahren der Zwangsversteigerung erreichbaren Sicherheit eine Manipulation des Versteigerungstermins fest, muss es dann, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich das manipulative Verhalten nachteilig ausgewirkt hat, den Zuschlag versagen. Die Kausalität der Manipulation muss nicht positiv festgestellt werden.
Davon geht auch das Beschwerdegericht aus und bejaht in einer rechtsfehlerfreien Gesamtwürdigung eine den Zuschlagsversagungsgrund nach § 83 Nr. 6 ZVG begründende Manipulation des Teilungsversteigerungstermins durch den Beteiligten zu 1. Dabei nimmt es an, dass die einzelnen Umstände jeweils für sich genommen für die Annahme einer Manipulation nicht ausreichen würden, die Gesamtschau aber diesen Schluss erlaubt. Die tatrichterliche Würdigung unterliegt nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht. Dieses kann lediglich prüfen, ob maßgebliche Rechtsbegriffe verkannt, Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt oder wesentliche Umstände nicht beachtet worden sind. Ein solcher Rechtsfehler liegt hier nicht vor.
Das Beschwerdegericht meint, auch ein - wie hier - zulässiger und nicht offensichtlich unbegründeter Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765a ZPO könne der Manipulation des Teilungsversteigerungstermins dienen. Nach Vernehmung des den Versteigerungstermin leitenden Rechtspflegers hat es im Rahmen seiner Gesamtwürdigung die Überzeugung gewonnen, dass es dem Beteiligten zu 1 mit dem Vollstreckungsschutzantrag ersichtlich darum gegangen sei, den potentiellen Bieterkreis zu verunsichern, indem er die Verlesung und Erörterung des Antrags in dem Versteigerungstermin eingefordert, einen bereits überholten früheren Vollstreckungsschutzantrag erneut überreicht und auf seinen anerkannten Pflegegrad verwiesen habe.
Ohne Rechtsfehler sieht das Beschwerdegericht eine weitere Manipulation des Teilungsversteigerungstermins in der von dem Beteiligten zu 1 eingelegten Erinnerung gemäß § 766 ZPO, mit der dieser die gewerbliche Nutzung des Objekts und die Untervermietung geltend gemacht sowie fünf Wohnraummietverträge und einen Geschäftsraummietvertrag vorgelegt hat, und den damit im Zusammenhang stehenden Erklärungen des Beteiligten zu 1.
Schließlich stellt das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei Anhaltspunkte dafür fest, dass sich das Verhalten des Beteiligten zu 1 nachteilig auf die Abgabe von Geboten durch andere Bietinteressenten ausgewirkt hat.
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