Medizintourismus: Klinikprivileg rechtfertigt keine Patientenvermittlung
LG Stuttgart v. 22.11.2024 - 14 O 67/20
Der Sachverhalt:
Die Beklagte betreibt ein Klinikum, im streitgegenständlichen Zeitraum in Form eines kommunalen Eigenbetriebs, zwischenzeitlich in Form einer gemeinnützigen Kommunalanstalt. Die Klägerin ist Dienstleisterin im Bereich des Gesundheitswesens für die Betreuung ausländischer Patienten in Deutschland. Sie erbringt u.a. Übersetzungs- und Logistikdienstleistungen (wie Visa- oder Fahrdienste) für Patienten aus dem arabischen Raum, u.a. Kuwait, sowie Libyen.
Das Klinikum betrieb im streitgegenständlichen Zeitraum eine sog. "International Unit" ("IU"), die den intern bei der Beklagten anfallenden Verwaltungsaufwand, bspw. Rechnungswesen, im Zusammenhang mit ausländischen Patienten abwickelte. Die Parteien arbeiteten mehrere Jahre bei der Betreuung von internationalen Patienten zusammen. Sie haben einen Kooperationsvertrag 2011) sowie einen Kooperationsvertrag 2015) geschlossen. Gegenstand der Kooperationsverträge war die Behandlung von insbesondere kuwaitischen Patienten durch die Beklagte, die die Klägerin vor und während ihrer Behandlung betreuen sollte. Die Vorgänge bei der IU waren Gegenstand von Ermittlungsverfahren. Ein Strafverfahren gegen den Geschäftsführer der Klägerin wurde nach § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt.
Die Klägerin war der Ansicht, ihr stünde aus den Kooperationsverträgen noch eine weitere Vergütung zu. Ohne ihre umfangreichen Betreuungsleistungen für die Patienten, wäre eine Behandlung nicht möglich gewesen. So habe die Klägerin etwa Visaangelegenheiten, Zeitpläne und Termine koordiniert, sowie einen Dolmetscher- und Fahrservice angeboten. Zudem habe es eine 24-h-Hotline gegeben, über die die Patienten betreut worden seien. Die Beklagte war der Auffassung, beide Kooperationsverträge seinen nichtig, da sie Patientenvermittlung vorgesehen hätten, weshalb die Verträge sittenwidrig seien. Über die Verteilung gerade der kuwaitischen "Botschaftspatienten" auf deutsche Krankenhäuser sei von der Klägerin mit den zuständigen Mitarbeitern der Botschaft entschieden worden. Sie, die Beklagte, sei hieran nicht beteiligt gewesen.
Das LG hat die Klage und auch die Widerklage der Beklagten abgewiesen.
Die Gründe:
Der Klägerin steht kein Anspruch auf Zahlung von 119.000 € aus dem Kooperationsvertrag 2011 gegen die Beklagte zu, da dieser Vertrag nichtig ist. Zwar verstößt er nicht gegen ein gesetzliches Verbot i.S.v. § 134 BGB, er ist jedoch gem. § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig. Auf die Sittenwidrigkeit kann sich die Beklagte auch berufen. Das gilt auch für den Anspruch auf Zahlung von 475.031 € aus dem Kooperationsvertrag 2015.
Eine Vermittlung von Patienten an Krankenhäuser gegen eine vom Krankenhaus zu zahlende Provision ist in Ländern, deren Landeskrankenhausgesetze kein ausdrückliches Verbot der Patientenvermittlung enthalten, sittenwidrig. Die aus den Vermittlungsverboten für niedergelassene Ärzte folgende Wertung, dass eine Zuweisungsentscheidung ausschließlich am Wohl des Patienten und nicht am Gewinninteresse durch Vermittlungsprovisionen ausgerichtet sein soll, ist auf Kliniken übertragbar. Auch das sog. "Klinikprivileg" rechtfertigt keine Patientenvermittlung.
Darauf, ob die Zuweisungsentscheidung, welcher Patient wo behandelt wird, unmittelbar durch den Vermittler getroffen wird oder nur mittelbar, etwa indem der Vermittler Kontakte knüpft zwischen Kliniken und ausländischen Stellen, die ihre Zuweisungsentscheidung danach ausrichten, für welche Klinik der Vermittler tätig ist, kommt es für die Bewertung als sittenwidrig nicht an. Wird die Patientenvermittlung mit anderen Dienstleistungen für die Patienten, etwa Dolmetschen oder Unterstützung bei Visaangelegenheiten, gekoppelt, ist der Vertrag insgesamt nichtig, nicht nur der die Patientenvermittlung betreffende Teil. Ansonsten bestünde ein zu missbilligender Anreiz, die Patientenvermittlung über sonstige Tätigkeiten quer zu subventionieren. Auch eine bereicherungsrechtliche Wertersatzpflicht scheidet dann aus.
Eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung der auf die nichtigen Verträge geleisteten Zahlungen schied für die Beklagte, ebenso wie für die Klägerin wegen § 817 BGB aus.
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Landesrechtsprechung Baden-Württemberg
Die Beklagte betreibt ein Klinikum, im streitgegenständlichen Zeitraum in Form eines kommunalen Eigenbetriebs, zwischenzeitlich in Form einer gemeinnützigen Kommunalanstalt. Die Klägerin ist Dienstleisterin im Bereich des Gesundheitswesens für die Betreuung ausländischer Patienten in Deutschland. Sie erbringt u.a. Übersetzungs- und Logistikdienstleistungen (wie Visa- oder Fahrdienste) für Patienten aus dem arabischen Raum, u.a. Kuwait, sowie Libyen.
Das Klinikum betrieb im streitgegenständlichen Zeitraum eine sog. "International Unit" ("IU"), die den intern bei der Beklagten anfallenden Verwaltungsaufwand, bspw. Rechnungswesen, im Zusammenhang mit ausländischen Patienten abwickelte. Die Parteien arbeiteten mehrere Jahre bei der Betreuung von internationalen Patienten zusammen. Sie haben einen Kooperationsvertrag 2011) sowie einen Kooperationsvertrag 2015) geschlossen. Gegenstand der Kooperationsverträge war die Behandlung von insbesondere kuwaitischen Patienten durch die Beklagte, die die Klägerin vor und während ihrer Behandlung betreuen sollte. Die Vorgänge bei der IU waren Gegenstand von Ermittlungsverfahren. Ein Strafverfahren gegen den Geschäftsführer der Klägerin wurde nach § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt.
Die Klägerin war der Ansicht, ihr stünde aus den Kooperationsverträgen noch eine weitere Vergütung zu. Ohne ihre umfangreichen Betreuungsleistungen für die Patienten, wäre eine Behandlung nicht möglich gewesen. So habe die Klägerin etwa Visaangelegenheiten, Zeitpläne und Termine koordiniert, sowie einen Dolmetscher- und Fahrservice angeboten. Zudem habe es eine 24-h-Hotline gegeben, über die die Patienten betreut worden seien. Die Beklagte war der Auffassung, beide Kooperationsverträge seinen nichtig, da sie Patientenvermittlung vorgesehen hätten, weshalb die Verträge sittenwidrig seien. Über die Verteilung gerade der kuwaitischen "Botschaftspatienten" auf deutsche Krankenhäuser sei von der Klägerin mit den zuständigen Mitarbeitern der Botschaft entschieden worden. Sie, die Beklagte, sei hieran nicht beteiligt gewesen.
Das LG hat die Klage und auch die Widerklage der Beklagten abgewiesen.
Die Gründe:
Der Klägerin steht kein Anspruch auf Zahlung von 119.000 € aus dem Kooperationsvertrag 2011 gegen die Beklagte zu, da dieser Vertrag nichtig ist. Zwar verstößt er nicht gegen ein gesetzliches Verbot i.S.v. § 134 BGB, er ist jedoch gem. § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig. Auf die Sittenwidrigkeit kann sich die Beklagte auch berufen. Das gilt auch für den Anspruch auf Zahlung von 475.031 € aus dem Kooperationsvertrag 2015.
Eine Vermittlung von Patienten an Krankenhäuser gegen eine vom Krankenhaus zu zahlende Provision ist in Ländern, deren Landeskrankenhausgesetze kein ausdrückliches Verbot der Patientenvermittlung enthalten, sittenwidrig. Die aus den Vermittlungsverboten für niedergelassene Ärzte folgende Wertung, dass eine Zuweisungsentscheidung ausschließlich am Wohl des Patienten und nicht am Gewinninteresse durch Vermittlungsprovisionen ausgerichtet sein soll, ist auf Kliniken übertragbar. Auch das sog. "Klinikprivileg" rechtfertigt keine Patientenvermittlung.
Darauf, ob die Zuweisungsentscheidung, welcher Patient wo behandelt wird, unmittelbar durch den Vermittler getroffen wird oder nur mittelbar, etwa indem der Vermittler Kontakte knüpft zwischen Kliniken und ausländischen Stellen, die ihre Zuweisungsentscheidung danach ausrichten, für welche Klinik der Vermittler tätig ist, kommt es für die Bewertung als sittenwidrig nicht an. Wird die Patientenvermittlung mit anderen Dienstleistungen für die Patienten, etwa Dolmetschen oder Unterstützung bei Visaangelegenheiten, gekoppelt, ist der Vertrag insgesamt nichtig, nicht nur der die Patientenvermittlung betreffende Teil. Ansonsten bestünde ein zu missbilligender Anreiz, die Patientenvermittlung über sonstige Tätigkeiten quer zu subventionieren. Auch eine bereicherungsrechtliche Wertersatzpflicht scheidet dann aus.
Eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung der auf die nichtigen Verträge geleisteten Zahlungen schied für die Beklagte, ebenso wie für die Klägerin wegen § 817 BGB aus.
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