27.10.2020

Mietminderung wegen Lärm und Erschütterungen von einer benachbarten Baustelle

Lärm und Erschütterungen von einer benachbarten Baustelle können im Hinblick auf den mietvertraglichen vereinbarten Nutzungszweck einen Mangel der Mietsache begründen, ohne dass es auf Abwehr- oder Entschädigungsansprüche des Vermieters gegen den Bauherren nach § 906 BGB ankommt (Abgrenzung zum Urteil des BGH vom 29.4.2020 - VIII ZR 31/18).

KG Berlin v. 17.9.2020 - 8 U 1006/20
Der Sachverhalt:
Die Kläger haben vom beklagten Teileigentümer Gewerberäume zur Nutzung als "Thai-Massagesalon" gemietet. Ab März 2018 ließ die Streithelferin auf dem Nachbargrundstück das vorhandene Gebäude abreißen und ein neues Gebäude errichten. Das LG hat die Klage auf Mietrückzahlung iHv 7.000 € und auf Feststellung einer Mietminderung um 20 % während der Abriss- und Neubauarbeiten abgewiesen.

Die Berufung der Kläger vor dem KG hatte ganz überwiegend Erfolg. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Die Klage auf Mietrückzahlung für den Zeitraum bis März 2019 ist insgesamt begründet und der zulässige Antrag auf Feststellung einer Mietminderung während der Abriss- und Neubauarbeiten am Nachbargebäude ist teilweise begründet. Die von den Klägern geschuldete Miete ist wegen des benachbarten Bauvorhabens gemäß § 536 BGB gemindert gewesen.

Das Mietobjekt wurde von dem Bauvorhaben gravierend betroffen: Für den erkennenden Senat steht außer Frage, dass die Mieträume Lärm, Schmutz und Erschütterungen einer Großbaustelle durch den unmittelbar (Wand an Wand) angrenzenden Abriss und Neubau in erheblicher Weise ausgesetzt waren. Zwar können typische Baustellenemissionen nicht schlicht unterstellt werden (vgl. BGH v. 29.4.2020 - VIII ZR 31/18 - Rn. 62). Indes wird von den Klägern in zweiter Instanz unbestritten vorgetragen und durch Fotos substantiiert, dass die Abrissarbeiten zu Rissen in Wänden und Decke des Mietobjekts führten, die sich durch die Tiefbauarbeiten vergrößerten. Die Streithelferin rügt erfolglos die Verspätung dieses Vorbringens, denn Unstreitiges ist stets zu berücksichtigen (vgl. BGH v. 8.5.2018 - XI ZR 538/17 - Rn. 25). Die Risse belegen, dass der Bau zu Erschütterungen im Mietobjekt geführt hat, und sind auch Indiz für eine starke Lärmbelastung.

Aufgrund dieser Beeinträchtigungen durch das Bauvorhaben und insbesondere durch den Baulärm von Abriss-, Tiefbau- und Rohbauarbeiten wurde die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch im Sinne von § 536 Abs. 1 BGB nicht unerheblich gemindert.

Erhebliche Nutzungsbeeinträchtigungen durch Lärm können nach der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH ohne weiteres einen Mangel einer gemieteten Wohnung darstellen.

Einem Mangel im Sinne von § 536 BGB steht auch nicht nach Treu und Glauben entgegen, dass es sich um Umwelteinwirkungen handelt, die nicht vom Vermieter verursacht worden sind. Gebrauchsbeschränkungen aufgrund von Beschaffenheit oder Lage des Mietobjekts fallen in seinen Risikobereich. Eine Mietminderung setzt kein Verschulden auf Seiten des Vermieters voraus, sondern der Mieter kann selbst dann mindern, wenn der Vermieter nicht über die Möglichkeit zur Beseitigung des Mangels verfügt.

Hier ist von Immissionen durch die Baustelle, insbesondere Lärm und auch Erschütterungen auszugehen, die deutlich über das in einer Nebenstraße der Berliner City übliche Maß hinausgehen. Als entscheidend sieht der erkennende Senat an, dass diese Einwirkungen der im Mietvertrag vereinbarten Nutzung als "Thai-Massagesalon" sehr abträglich sind, insbesondere einem Entspannungseffekt der Massagebehandlungen. Die vertragsgemäße Nutzung ist insoweit schwerer betroffen, als es bei den meisten Einzelhandelsgeschäften der Fall wäre, und mindestens vergleichbar wie bei einer Wohn- oder Büronutzung. Die Tauglichkeit der gemieteten Räume zum vertragsgemäßen Gebrauch ist unter Berücksichtigung des vereinbarten Nutzungszwecks und des Grundsatzes von Treu und Glauben nach der Verkehrsanschauung deutlich gemindert.

Im Übrigen hält es der erkennende Senat für bedenklich, dass der VIII. Zivilsenat des BGH im Urteil vom 29.4.2020 - VIII ZR 31/18 - im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung einen Mangel der Mietsache aufgrund nachträglich erhöhter Geräuschimmissionen durch einen Dritten grundsätzlich verneint, wenn der Vermieter sie gemäß § 906 BGB ohne eigene Abwehr- oder Entschädigungsmöglichkeit als unwesentlich oder ortsüblich hinnehmen muss:

§ 906 BGB ist eine sachenrechtliche Vorschrift, die auf das Mietverhältnis der Parteien zweifelsfrei nicht anwendbar ist. Sie soll bei der Nutzung eines Grundstücks im Verhältnis zu benachbarten Grundstücken auftretende Konflikte in einen vernünftigen Ausgleich bringen und begründet zu diesem Zweck unter bestimmten Voraussetzungen eine Pflicht zur Duldung von Immissionen.

Die von den Klägern geltend gemachte Minderung um 20 % "während der Abriss- und Neubauarbeiten am Nachbargebäude" ist für den Zeitraum der Abriss-, Tiefbau- und Rohbauarbeiten berechtigt.

Bei einem Bauvorhaben in unmittelbarer Nachbarschaft sind keine überzogenen Anforderungen an den Vortrag zur Begründung einer Mietminderung zu stellen. Lärmprotokolle und Vortrag zu konkreten Lärmquellen sind nicht erforderlich. Ein Mieter muss nicht darlegen, wann an welchem Tag zu welcher Stunde welches Geräusch aus welcher Richtung in welcher Lautstärke kam und welches Ausmaß die Verschmutzung täglich einnahm, sondern bei Beeinträchtigungen durch ein Bauvorhaben kann unter Berücksichtigung des jeweiligen Ausmaßes eine feste Minderungsquote für die Dauer des Bauvorhabens zugesprochen werden.
Justiz Berlin-Brandenburg online
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