Nachbarwände können von beiden Nachbarn in Richtung auf das eigene Grundstück benutzt werden
BGH v. 12.11.2021 - V ZR 25/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Eigentümer eines mit einem Reihenhaus bebauten Grundstücks, der Beklagte Mieter des auf dem angrenzenden Grundstück leicht versetzt gelegenen Reihenhauses. Die Außenwand des klägerischen Hauses, die teilweise die Grundstücksgrenze überschreitet, ragt gartenseitig über das von dem Beklagten genutzte Haus hinaus. Auf der seiner Terrasse zugewandten Seite dieses freistehenden Teils der Außenwand bohrte der Beklagte ohne Zustimmung des Klägers Löcher in den Putz, um darauf einen Kabelkanal für die Stromleitung zu seiner Markise zu verschrauben.
Der Kläger forderte den Beklagten mit anwaltlichem Schreiben erfolglos auf, den ursprünglichen Zustand der Wand wiederherzustellen. Mit seiner Klage begehrt der Kläger Entfernung der Stromleitung nebst Kabelkanal, die Verschließung und Überstreichung der Bohrlöcher sowie die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten.
Das AG wies die Klage ab; das LG gab ihr statt. Die Revision des Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Revision des Beklagten bleibt ohne Erfolg. Allerdings lässt sich der Beseitigungsanspruch des Klägers nicht mit der von dem LG gegebenen Begründung bejahen.
Rechtsfehlerhaft ist die Ansicht des LG, der Beklagte wäre zur ausgeübten Nutzung auch dann nicht befugt, wenn es sich bei der Wand um eine gemeinschaftliche Grenzeinrichtung handelte. Eine Nachbarwand kann von jedem der beiden Nachbarn in Richtung auf sein eigenes Grundstück benutzt werden; deshalb darf ein freiliegender Teil in Richtung auf das eigene Grundstück beispielsweise gestrichen, bepflanzt oder zur Verlegung von Leitungen genutzt werden, soweit die Mitbenutzung des anderen Nachbarn nicht beeinträchtigt wird. An der Benutzung der Wand in Richtung auf sein eigenes Grundstück ist der Kläger indes in keiner Weise gehindert. Weder ist festgestellt, dass die Bohrlöcher die Abdichtung der Hauswand verletzten und so die Gefahr von Feuchtigkeitsschäden begründeten, noch bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Stabilität der Wand angegriffen wäre oder diese aus anderen Gründen ihre Funktion als Abschlusswand für das Gebäude nicht mehr (vollständig) erfüllen könnte. Die Revisionserwiderung verweist auch nicht auf Vorbringen des Klägers zu einer nach § 922 BGB maßgeblichen Beeinträchtigung, sondern wendet sich ausschließlich gegen eine Einordnung der Wand als Grenzeinrichtung i.S.v. § 921 BGB.
Die angefochtene Entscheidung stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar. Es handelt sich bei der Wand nicht um eine Grenzeinrichtung i.S.v. § 921 BGB. Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Nachbarwand sind nicht erfüllt. Gebäude oder Gebäudeteile sind grundsätzlich keine Grenzeinrichtungen; eine Ausnahme bildet nur die sog. Nachbarwand nach dem Anbau. Eine Nachbarwand ist eine auf der gemeinsamen Grundstücksgrenze errichtete Mauer, die zum wechselseitigen Anbau bestimmt ist. Bestand bei der Errichtung eine beiderseitige Verabredung der Nachbarn oder wenigstens eine einseitige Erwartung des Erbauers, dass der Nachbar die Mauer für den Bau seines Hauses benutzen kann, wird die Mauer mit dem Anbauen von dem überbauten Grundstück aus eine gemeinschaftliche Grenzeinrichtung. Ein Anbau in diesem Sinne liegt jedoch nur vor, wenn die Wand dadurch (auch) zu einem wesentlichen Bestandteil des an ihr errichteten Nachbargebäudes wird. Die Zweckbestimmung der Wand muss sich auf einen solchen Anbau richten. Nur dann handelt es sich um eine Nachbarwand, die zur gemeinsamen Grenzeinrichtung wird und an der die Nachbarn Miteigentum erwerben, sobald ein Anbau auf beiden Seiten und im Einverständnis beider Nachbarn erfolgt.
Werden Reihen- oder Doppelhäuser durch einen zweischaligen Wandaufbau, also durch zwei separate Wände geschieden, handelt es sich nicht um eine Nachbarwand, sondern um zwei Grenzwände. Dies gilt auch, wenn die Grundstücksgrenze eine oder beide Wände schneidet und insoweit ein Überbau vorliegt. Für die sachenrechtliche Beurteilung ist zudem unerheblich, ob die Wände in einer solchen Stärke und Ausführung errichtet worden sind, dass sie jeweils für sich genommen den bauordnungsrechtlichen Vorschriften oder anerkannten Regeln der Technik für eine freistehende Gebäudeaußenwand genügen. Nach diesen Maßstäben ist die Wand des klägerischen Gebäudes keine Nachbarwand.
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Der Kläger ist Eigentümer eines mit einem Reihenhaus bebauten Grundstücks, der Beklagte Mieter des auf dem angrenzenden Grundstück leicht versetzt gelegenen Reihenhauses. Die Außenwand des klägerischen Hauses, die teilweise die Grundstücksgrenze überschreitet, ragt gartenseitig über das von dem Beklagten genutzte Haus hinaus. Auf der seiner Terrasse zugewandten Seite dieses freistehenden Teils der Außenwand bohrte der Beklagte ohne Zustimmung des Klägers Löcher in den Putz, um darauf einen Kabelkanal für die Stromleitung zu seiner Markise zu verschrauben.
Der Kläger forderte den Beklagten mit anwaltlichem Schreiben erfolglos auf, den ursprünglichen Zustand der Wand wiederherzustellen. Mit seiner Klage begehrt der Kläger Entfernung der Stromleitung nebst Kabelkanal, die Verschließung und Überstreichung der Bohrlöcher sowie die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten.
Das AG wies die Klage ab; das LG gab ihr statt. Die Revision des Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Revision des Beklagten bleibt ohne Erfolg. Allerdings lässt sich der Beseitigungsanspruch des Klägers nicht mit der von dem LG gegebenen Begründung bejahen.
Rechtsfehlerhaft ist die Ansicht des LG, der Beklagte wäre zur ausgeübten Nutzung auch dann nicht befugt, wenn es sich bei der Wand um eine gemeinschaftliche Grenzeinrichtung handelte. Eine Nachbarwand kann von jedem der beiden Nachbarn in Richtung auf sein eigenes Grundstück benutzt werden; deshalb darf ein freiliegender Teil in Richtung auf das eigene Grundstück beispielsweise gestrichen, bepflanzt oder zur Verlegung von Leitungen genutzt werden, soweit die Mitbenutzung des anderen Nachbarn nicht beeinträchtigt wird. An der Benutzung der Wand in Richtung auf sein eigenes Grundstück ist der Kläger indes in keiner Weise gehindert. Weder ist festgestellt, dass die Bohrlöcher die Abdichtung der Hauswand verletzten und so die Gefahr von Feuchtigkeitsschäden begründeten, noch bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Stabilität der Wand angegriffen wäre oder diese aus anderen Gründen ihre Funktion als Abschlusswand für das Gebäude nicht mehr (vollständig) erfüllen könnte. Die Revisionserwiderung verweist auch nicht auf Vorbringen des Klägers zu einer nach § 922 BGB maßgeblichen Beeinträchtigung, sondern wendet sich ausschließlich gegen eine Einordnung der Wand als Grenzeinrichtung i.S.v. § 921 BGB.
Die angefochtene Entscheidung stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar. Es handelt sich bei der Wand nicht um eine Grenzeinrichtung i.S.v. § 921 BGB. Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Nachbarwand sind nicht erfüllt. Gebäude oder Gebäudeteile sind grundsätzlich keine Grenzeinrichtungen; eine Ausnahme bildet nur die sog. Nachbarwand nach dem Anbau. Eine Nachbarwand ist eine auf der gemeinsamen Grundstücksgrenze errichtete Mauer, die zum wechselseitigen Anbau bestimmt ist. Bestand bei der Errichtung eine beiderseitige Verabredung der Nachbarn oder wenigstens eine einseitige Erwartung des Erbauers, dass der Nachbar die Mauer für den Bau seines Hauses benutzen kann, wird die Mauer mit dem Anbauen von dem überbauten Grundstück aus eine gemeinschaftliche Grenzeinrichtung. Ein Anbau in diesem Sinne liegt jedoch nur vor, wenn die Wand dadurch (auch) zu einem wesentlichen Bestandteil des an ihr errichteten Nachbargebäudes wird. Die Zweckbestimmung der Wand muss sich auf einen solchen Anbau richten. Nur dann handelt es sich um eine Nachbarwand, die zur gemeinsamen Grenzeinrichtung wird und an der die Nachbarn Miteigentum erwerben, sobald ein Anbau auf beiden Seiten und im Einverständnis beider Nachbarn erfolgt.
Werden Reihen- oder Doppelhäuser durch einen zweischaligen Wandaufbau, also durch zwei separate Wände geschieden, handelt es sich nicht um eine Nachbarwand, sondern um zwei Grenzwände. Dies gilt auch, wenn die Grundstücksgrenze eine oder beide Wände schneidet und insoweit ein Überbau vorliegt. Für die sachenrechtliche Beurteilung ist zudem unerheblich, ob die Wände in einer solchen Stärke und Ausführung errichtet worden sind, dass sie jeweils für sich genommen den bauordnungsrechtlichen Vorschriften oder anerkannten Regeln der Technik für eine freistehende Gebäudeaußenwand genügen. Nach diesen Maßstäben ist die Wand des klägerischen Gebäudes keine Nachbarwand.
- Kurzbeitrag: Nachbarrecht (MDR 2022, R28)
- Aufsatz: Abwehr- und Selbsthilferechte bei Beeinträchtigungen von Bäumen, Sträuchern und Hecken auf dem Nachbargrundstück (Fellner, MDR 2021, 905)
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