Nacherbe oder (Nach-)Vermächtnisnehmer?
LG Nürnberg-Fürth v. 27.7.2023, 8 O 4921/22
Der Sachverhalt:
Der 1910 geborene Erblasser ist 1989 verstorben. Zum Zeitpunkt seines Ablebens war der Erblasser in zweiter Ehe mit Frau HL verheiratet. Der Kläger war vom Erblasser adoptiert worden. Weitere Abkömmlinge hatte er nicht. Der Erblasser hatte am 30.1.1986 ein Testament verfasst, das folgenden Wortlaut aufwies:
Testament
Ich ... setze zu meinen Erben meine Ehefrau HL, geborene ... ein. Nach dem Tod des Letztversterbenden soll der noch vorhende Nachlass an unseren Sohn [= den Kläger, Anmerkung] fallen. Der überlebende Ehegatte ist berechtig, über den Nachlass frei zu verfügen und von allen Beschränkungen befreit, er ist jedoch nicht berechtigt, das Testament zu ändern.
Der Kläger hat mit Schreiben vom 10.12.1990 gegenüber HL seinen Pflichtteilsanspruch geltend gemacht hat und zur Berechnung zunächst auffordert, Auskunft über den Bestand des Nachlasses des Erblassers zu erteilen. Nach Einholung von zwei Sachverständigengutachten ergab sich ein Nettonachlass 2.596.836 DM und damit ein Pflichtteilsanspruch des Klägers i.H.v. 649.209 DM. Dieser wurde dem Kläger in der Folge ausbezahlt.
HL verstarb im Jahr 2020. Sie hatte kein Testament errichtet mit der Folge, dass gesetzliche Erbfolge eintrat. Sie wurde von den Beklagten zu gleichen Teilen beerbt. Der Kläger war der Ansicht, HL sei testamentarisch als befreite Vorerbin und er als Nacherbe eingesetzt worden. Die Beklagten seien Erben der Vorerbin und daher gem. § 2130 Abs. 1 BGB zur Herausgabe der Erbschaft in dem sich nach ordnungsgemäßer Verwaltung ergebenden Zustand verpflichtet. Nach § 260 Abs. 1 Alt. 1 BGB hätten die Beklagten ein aktuelles Bestandsverzeichnis vorzulegen und nach §§ 2130 Abs. 2, 259 Abs. 1 BGB seien sie zur Rechnungslegung verpflichtet. Bestehe Grund zu der Annahme, dass sie die Auskunft und Rechnungslegung nicht mit der erforderlichen Sorgfalt vorgenommen hätten, habe der Kläger Anspruch auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherungen nach § 259 Abs. 2 BGB und § 260 Abs. 2 BGB.
Das LG gab der Stufenklage auf erster Stufe statt.
Die Gründe:
Der Kläger hat gem. § 242 BGB als (Nach-)Vermächtnisnehmer Anspruch auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses nach dem Tod des Erblassers und die sich daran anschließende Verwaltung des Nachlasses.
Gegen eine Erbeinsetzung des Klägers sprach insbesondere der Umstand, dass die Ehefrau HL "von allen Beschränkungen befreit" werden sollte. Eine Befreiung des Vorerben ist allerdings nur in den Schranken des § 2136 BGB möglich. Anerkannt ist: Soweit der Erblasser über § 2136 BGB hinaus Befreiungen erteilt hat, kann sich durch Auslegung nach § 2084 BGB ergeben, dass in Wirklichkeit eine andere erbrechtliche Gestaltung gemeint war. Eine Vollerbeinsetzung der HL kombiniert mit der Annahme eines Nachvermächtnisses zugunsten des Klägers käme der beabsichtigten Stellung der Ehefrau als "superbefreite Vorerbin" am nächsten.
Gegenteiliges ergab sich auch nicht aus dem letzten Satz des Testaments, wonach der überlebende Ehegatte "nicht berechtigt [sei], das Testament zu ändern." Gegenstand einer bindenden Verfügung kann auch die Einsetzung eines (Nach-)Vermächtnisses sein. Dass das streitgegenständliche Testament in seinen Sätzen 2 - 4 daher wie ein Ehegattentestament formuliert ist, führt daher nicht zu einem anderen Ergebnis bei der oben vorgenommenen Auslegung.
Der Kläger hatte das Nachvermächtnis nicht ausgeschlagen. Verlangt der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteil, kann dies zwar prinzipiell eine schlüssige Ausschlagung darstellen. Ob dies der Fall ist, muss aber unter Abwägung der Umstände des Einzelfalles geklärt werden. Hierbei ist aber eine zurückhaltende Auslegung angezeigt, zumal § 2307 Abs. 2 BGB dem Erben die Klärung, ob der Pflichtteilsberechtigte Erfüllung des Vermächtnisses verlangt, leicht macht.
In der Gesamtschau konnte hier nicht von einer schlüssigen Ausschlagung des Vermächtnisses ausgegangen werden: Der Kläger ging von Anfang an davon aus, dass er testamentarisch als Nacherbe eingesetzt worden war. Es war daher aufgrund Fehlens anderweitiger Anhaltspunkte davon auszugehen, dass er sich über die Auswirkung der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs auf das Nachvermächtnis keine Gedanken gemacht hatte. Das Gericht ging daher davon aus, dass er keine positive Kenntnis davon hatte, dass er das Vermächtnis neben dem Pflichtteil nicht hat fordern können.
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Bayern.Recht
Der 1910 geborene Erblasser ist 1989 verstorben. Zum Zeitpunkt seines Ablebens war der Erblasser in zweiter Ehe mit Frau HL verheiratet. Der Kläger war vom Erblasser adoptiert worden. Weitere Abkömmlinge hatte er nicht. Der Erblasser hatte am 30.1.1986 ein Testament verfasst, das folgenden Wortlaut aufwies:
Testament
Ich ... setze zu meinen Erben meine Ehefrau HL, geborene ... ein. Nach dem Tod des Letztversterbenden soll der noch vorhende Nachlass an unseren Sohn [= den Kläger, Anmerkung] fallen. Der überlebende Ehegatte ist berechtig, über den Nachlass frei zu verfügen und von allen Beschränkungen befreit, er ist jedoch nicht berechtigt, das Testament zu ändern.
Der Kläger hat mit Schreiben vom 10.12.1990 gegenüber HL seinen Pflichtteilsanspruch geltend gemacht hat und zur Berechnung zunächst auffordert, Auskunft über den Bestand des Nachlasses des Erblassers zu erteilen. Nach Einholung von zwei Sachverständigengutachten ergab sich ein Nettonachlass 2.596.836 DM und damit ein Pflichtteilsanspruch des Klägers i.H.v. 649.209 DM. Dieser wurde dem Kläger in der Folge ausbezahlt.
HL verstarb im Jahr 2020. Sie hatte kein Testament errichtet mit der Folge, dass gesetzliche Erbfolge eintrat. Sie wurde von den Beklagten zu gleichen Teilen beerbt. Der Kläger war der Ansicht, HL sei testamentarisch als befreite Vorerbin und er als Nacherbe eingesetzt worden. Die Beklagten seien Erben der Vorerbin und daher gem. § 2130 Abs. 1 BGB zur Herausgabe der Erbschaft in dem sich nach ordnungsgemäßer Verwaltung ergebenden Zustand verpflichtet. Nach § 260 Abs. 1 Alt. 1 BGB hätten die Beklagten ein aktuelles Bestandsverzeichnis vorzulegen und nach §§ 2130 Abs. 2, 259 Abs. 1 BGB seien sie zur Rechnungslegung verpflichtet. Bestehe Grund zu der Annahme, dass sie die Auskunft und Rechnungslegung nicht mit der erforderlichen Sorgfalt vorgenommen hätten, habe der Kläger Anspruch auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherungen nach § 259 Abs. 2 BGB und § 260 Abs. 2 BGB.
Das LG gab der Stufenklage auf erster Stufe statt.
Die Gründe:
Der Kläger hat gem. § 242 BGB als (Nach-)Vermächtnisnehmer Anspruch auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses nach dem Tod des Erblassers und die sich daran anschließende Verwaltung des Nachlasses.
Gegen eine Erbeinsetzung des Klägers sprach insbesondere der Umstand, dass die Ehefrau HL "von allen Beschränkungen befreit" werden sollte. Eine Befreiung des Vorerben ist allerdings nur in den Schranken des § 2136 BGB möglich. Anerkannt ist: Soweit der Erblasser über § 2136 BGB hinaus Befreiungen erteilt hat, kann sich durch Auslegung nach § 2084 BGB ergeben, dass in Wirklichkeit eine andere erbrechtliche Gestaltung gemeint war. Eine Vollerbeinsetzung der HL kombiniert mit der Annahme eines Nachvermächtnisses zugunsten des Klägers käme der beabsichtigten Stellung der Ehefrau als "superbefreite Vorerbin" am nächsten.
Gegenteiliges ergab sich auch nicht aus dem letzten Satz des Testaments, wonach der überlebende Ehegatte "nicht berechtigt [sei], das Testament zu ändern." Gegenstand einer bindenden Verfügung kann auch die Einsetzung eines (Nach-)Vermächtnisses sein. Dass das streitgegenständliche Testament in seinen Sätzen 2 - 4 daher wie ein Ehegattentestament formuliert ist, führt daher nicht zu einem anderen Ergebnis bei der oben vorgenommenen Auslegung.
Der Kläger hatte das Nachvermächtnis nicht ausgeschlagen. Verlangt der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteil, kann dies zwar prinzipiell eine schlüssige Ausschlagung darstellen. Ob dies der Fall ist, muss aber unter Abwägung der Umstände des Einzelfalles geklärt werden. Hierbei ist aber eine zurückhaltende Auslegung angezeigt, zumal § 2307 Abs. 2 BGB dem Erben die Klärung, ob der Pflichtteilsberechtigte Erfüllung des Vermächtnisses verlangt, leicht macht.
In der Gesamtschau konnte hier nicht von einer schlüssigen Ausschlagung des Vermächtnisses ausgegangen werden: Der Kläger ging von Anfang an davon aus, dass er testamentarisch als Nacherbe eingesetzt worden war. Es war daher aufgrund Fehlens anderweitiger Anhaltspunkte davon auszugehen, dass er sich über die Auswirkung der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs auf das Nachvermächtnis keine Gedanken gemacht hatte. Das Gericht ging daher davon aus, dass er keine positive Kenntnis davon hatte, dass er das Vermächtnis neben dem Pflichtteil nicht hat fordern können.
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