Nachträgliche Darlegung der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung eines Dokuments?
BGH v. 17.11.2022 - IX ZB 17/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger verlangt von dem Beklagten die Zahlung von Steuerberaterhonorar. Das LG wies die Klage ab. Gegen diese Entscheidung legte der Kläger Berufung ein. Das OLG verlängerte die Rechtsmittelbegründungsfrist antragsgemäß bis zum 10.1.2022. Am 8.1.2022 ging ein auf den 9.1.2022 datierter Schriftsatz des Klägers bei dem OLG auf dem Postweg ein, mit dem dieser seine Berufung begründete und eine erneute Verlängerung der Begründungsfrist zum Zwecke weitergehender Begründung beantragte. Das OLG wies ihn mit Verfügung vom 11.1.2022 darauf hin, dass sein Rechtsmittel unzulässig sein könnte, weil der Schriftsatz nicht elektronisch eingereicht worden sei. Zugleich gab das OLG ihm Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 4.2.2022.
Mit erneut nicht elektronisch eingereichtem, am 25.1.2022 beim OLG eingegangenen Schriftsatz vom 24.1.2022 machte der Kläger unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung seines Prozessbevollmächtigten sowie von Korrespondenz mit der Bundesnotarkammer geltend, es sei ihm nicht möglich gewesen, die Berufungsbegründung als elektronisches Dokument über das beA zu übermitteln. Die Bundesnotarkammer habe versäumt, die seinem Prozessbevollmächtigten überlassene beA-Basiskarte für die Versendung von Empfangsbekenntnissen zu programmieren, weshalb es auch nicht möglich gewesen sei, diese Karte um die Funktion der Übersendung von sonstigen Dokumenten zu erweitern. Bereits im Dezember 2021 hätten Gerichte seinem Prozessbevollmächtigten gegenüber moniert, dass Empfangsbekenntnisse von diesem nicht über das beA zurückgesandt worden seien. Auf Vorschlag der Bundesnotarkammer habe sein Prozessbevollmächtigter dann eine Mitarbeiterkarte gekauft, die er auch noch vor dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am 10.1.2022 erhalten habe. Hingegen seien ihm die zur Nutzung der Karte erforderliche PIN und PUK erst am 17.1.2022 zugegangen.
Das OLG verwarf die Berufung als unzulässig. Die Rechtsbeschwerde des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Eine Berufungsbegründung unter Nichteinhaltung der von § 520 Abs. 5 ZPO i.V.m. § 130d ZPO vorgeschriebenen Form ist unwirksam und wahrt die Rechtsmittelbegründungsfrist folglich nicht. Die Voraussetzungen des § 130d Satz 2 und Satz 3 Halbsatz 1 ZPO für eine in Abweichung von § 130d Satz 1 ZPO ausnahmsweise wirksame Übermittlung eines Schriftsatzes nach den allgemeinen Vorschriften sind nicht erfüllt.
Nach § 130d Satz 2 ZPO bleibt die Übermittlung eines Schriftsatzes nach den allgemeinen Vorschriften, mithin gem. §§ 129, 130 Nr. 6 ZPO in Schriftform oder per Fax, zulässig, wenn die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Nach § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO ist diese vorübergehende Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. Das OLG hat hier offengelassen, ob unter Zugrundelegung des Vortrags des Klägers eine nur vorübergehende technische Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument i.S.v. § 130d Satz 2 ZPO anzunehmen ist. Davon ist rechtsbeschwerderechtlich auszugehen.
Die Einreichung der Berufungsbegründung ist unwirksam, weil der Kläger bei Einreichung der Berufungsbegründung in Schriftform beim OLG am 8.1.2022 nicht gem. § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO zu den Voraussetzungen des § 130d Satz 2 ZPO vorgetragen und diese glaubhaft gemacht hat, obwohl ihm bereits zu diesem Zeitpunkt die Hinderungsgründe für eine Einreichung auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Weg bekannt und ihm zugleich eine sofortige Glaubhaftmachung dieser Gründe möglich war. In einem solchen Fall ist es ohne rechtliche Wirkung, wenn nachträglich die Voraussetzungen für eine Ersatzeinreichung dargelegt und glaubhaft gemacht werden.
Das Erfordernis des § 130d Satz 3 ZPO, die vorübergehende Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung eines Schriftsatzes bereits bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen, hat nach dem Willen des Gesetzgebers die Funktion, einen Missbrauch der Ausnahmeregelung in § 130d Satz 2 ZPO auszuschließen. Es seien aber Situationen denkbar, bei denen der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen. In diesem Fall sei die Glaubhaftmachung unverzüglich nachzuholen. Ein Wahlrecht, eine bei der Ersatzeinreichung sogleich mögliche Darlegung und Glaubhaftmachung zunächst zu unterlassen und diese erst später (unverzüglich) nachzuholen, besteht jedoch nicht.
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Aufsatz:
Ein Jahr beA-Pflicht
Klaus Bacher, MDR 2022, 1441
Kommentierung | ZPO
§ 130d Nutzungspflicht für Rechtsanwälte und Behörden
Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022
Auch nachzulesen im Aktionsmodul Zivilrecht
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Mit erneut nicht elektronisch eingereichtem, am 25.1.2022 beim OLG eingegangenen Schriftsatz vom 24.1.2022 machte der Kläger unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung seines Prozessbevollmächtigten sowie von Korrespondenz mit der Bundesnotarkammer geltend, es sei ihm nicht möglich gewesen, die Berufungsbegründung als elektronisches Dokument über das beA zu übermitteln. Die Bundesnotarkammer habe versäumt, die seinem Prozessbevollmächtigten überlassene beA-Basiskarte für die Versendung von Empfangsbekenntnissen zu programmieren, weshalb es auch nicht möglich gewesen sei, diese Karte um die Funktion der Übersendung von sonstigen Dokumenten zu erweitern. Bereits im Dezember 2021 hätten Gerichte seinem Prozessbevollmächtigten gegenüber moniert, dass Empfangsbekenntnisse von diesem nicht über das beA zurückgesandt worden seien. Auf Vorschlag der Bundesnotarkammer habe sein Prozessbevollmächtigter dann eine Mitarbeiterkarte gekauft, die er auch noch vor dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am 10.1.2022 erhalten habe. Hingegen seien ihm die zur Nutzung der Karte erforderliche PIN und PUK erst am 17.1.2022 zugegangen.
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Nach § 130d Satz 2 ZPO bleibt die Übermittlung eines Schriftsatzes nach den allgemeinen Vorschriften, mithin gem. §§ 129, 130 Nr. 6 ZPO in Schriftform oder per Fax, zulässig, wenn die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Nach § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO ist diese vorübergehende Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. Das OLG hat hier offengelassen, ob unter Zugrundelegung des Vortrags des Klägers eine nur vorübergehende technische Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument i.S.v. § 130d Satz 2 ZPO anzunehmen ist. Davon ist rechtsbeschwerderechtlich auszugehen.
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Das Erfordernis des § 130d Satz 3 ZPO, die vorübergehende Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung eines Schriftsatzes bereits bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen, hat nach dem Willen des Gesetzgebers die Funktion, einen Missbrauch der Ausnahmeregelung in § 130d Satz 2 ZPO auszuschließen. Es seien aber Situationen denkbar, bei denen der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen. In diesem Fall sei die Glaubhaftmachung unverzüglich nachzuholen. Ein Wahlrecht, eine bei der Ersatzeinreichung sogleich mögliche Darlegung und Glaubhaftmachung zunächst zu unterlassen und diese erst später (unverzüglich) nachzuholen, besteht jedoch nicht.
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