23.01.2025

Nebenintervention wegen Gutachten: Rein wirtschaftliches Interesse des Insolvenzgläubigers

Das Interesse eines Insolvenzgläubigers, einen gegen den Insolvenzverwalter geltend gemachten Anspruch, die Herausgabe eines Gutachtens an die Insolvenzgläubiger zu unterlassen, abzuwehren, stellt auch dann nur ein rein wirtschaftliches und kein die Zulässigkeit der Nebenintervention begründendes rechtliches Interesse dar, wenn das Gutachten dazu dient, das Bestehen eines Anfechtungsanspruchs zu überprüfen. Ein Insolvenzgläubiger kann sich zur Begründung eines Interventionsinteresses nicht auf das Recht der Gläubigerversammlung auf Unterrichtung durch den Insolvenzverwalter stützen.

BGH v. 5.12.2024 - IX ZB 42/23
Der Sachverhalt:
Der Beklagte ist Verwalter in dem am 1.2.2017 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Dr. K. (Schuldner). Der Schuldner war Gesellschafter der Klägerin. Am Stammkapital der Klägerin waren der Schuldner mit 22.500 € (90 %) und die Geschäftsführerin der Klägerin mit 2.500 € (10 %) beteiligt. Mit Schreiben vom 23.2.2015 kündigte der Schuldner seine Geschäftsanteile zum 31.12.2015. Die Gesellschafterversammlung der Klägerin beschloss, die Geschäftsanteile des Schuldners zum 31.12.2015 einzuziehen. Die Klägerin zahlte an den Schuldner eine Abfindung von 22.500 € als nominalen Wert seiner Geschäftsanteile.

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners ließ der Beklagte von einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ein Wertgutachten zur Höhe des Abfindungsbetrages erstellen, um insbesondere das Bestehen von Insolvenzanfechtungsansprüchen zu prüfen. Die für die Bewertung erforderlichen Geschäftsunterlagen überließ die Klägerin nur unter der Bedingung einer Geheimhaltungsabrede. Der Beklagte sicherte der Klägerin daraufhin zu, die Unterlagen und das Gutachten nicht an Dritte herauszugeben. Am 29.9.2021 beschloss die Gläubigerversammlung, dass der Beklagte das eingeholte Gutachten vollständig offenzulegen habe. Der Beklagte legte gegen die seinen Antrag auf Aufhebung dieses Beschlusses ablehnende Entscheidung des Insolvenzgerichts sofortige Beschwerde ein.

In der Hauptsache nimmt die Klägerin den Beklagten auf Unterlassung der Herausgabe des Gutachtens über die Bewertung der Geschäftsanteile des Schuldners an der Klägerin nebst damit in Zusammenhang stehender Unterlagen in Anspruch. Die Streithelferin ist Insolvenzgläubigerin. Sie ist dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten beigetreten. Die Klägerin und der Beklagte haben die Zurückweisung der Nebenintervention beantragt.

Das LG ließ mit Zwischenurteil die Nebenintervention zu; das OLG wies sie zurück. Die Rechtsbeschwerde der Streithelferin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das OLG hat rechtsfehlerfrei ein rechtliches Interesse der Streithelferin am Beitritt auf Seiten des Beklagten gem. § 66 Abs. 1 ZPO verneint. Die Streithelferin steht weder zum Insolvenzverwalter als der unterstützten Partei noch zu dem Gegenstand des Rechtsstreits in einem Rechtsverhältnis, auf das die Entscheidung des Rechtsstreits durch ihren Inhalt oder ihre Vollstreckung unmittelbar oder auch nur mittelbar rechtlich einwirkt. Die Entscheidung über den streitgegenständlichen Unterlassungsanspruch hat auf den Umfang der Masse und die Quote der Streithelferin allenfalls mittelbare wirtschaftliche Auswirkungen.

Ein rechtliches Interesse i.S.d. § 66 Abs. 1 ZPO ergibt sich hier i.a. nicht daraus, dass eine Offenlegung des Gutachtens dazu führen kann, die Erfolgsaussichten eines die Masse mehrenden Anfechtungs- und Abfindungsanspruchs zu überprüfen. Für ein rechtliches Interesse eines Insolvenzgläubigers i.S.d. § 66 Abs. 1 ZPO genügt es nicht, dass der Erfolg des Rechtsstreits dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit gibt, ein Wertgutachten und damit zusammenhängende Auskünfte den Insolvenzgläubigern zu offenbaren. Die von der Klägerin begehrte Unterlassung hat keinen Einfluss darauf, ob und mit welchen Erfolgsaussichten der Beklagte Anfechtungs- und Abfindungsansprüche hinsichtlich des Geschäftsanteils des Schuldners an der Klägerin geltend machen kann.

Der Streitgegenstand des Unterlassungsprozesses ist mithin nicht geeignet, in rechtlicher Hinsicht den Umfang der Masse zu beeinflussen oder durch ein Obsiegen der unterstützten Partei die Insolvenzquote zu verbessern. Das Interesse der Streithelferin, durch eine Abweisung der gegen den Beklagten gerichteten Unterlassungsklage eine Offenlegung des Wertgutachtens vorzubereiten und so die Erfolgsaussichten für einen die Masse mehrenden Anfechtungs- und Abfindungsanspruch überprüfen zu können, ist ein rein wirtschaftliches Interesse und kein die Nebenintervention nach § 66 Abs. 1 ZPO rechtfertigendes rechtliches Interesse.

Ein rechtliches Interesse ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Vorgreiflichkeit für ein Auskunftsrecht nach § 79 Satz 1 InsO. Dieses Auskunftsrecht steht nur der Gläubigerversammlung zu. Hingegen folgen daraus keine Auskunftsrechte einzelner Insolvenzgläubiger. Da die Streithelferin auch i.Ü. weder über ein individuelles Recht auf Auskunft verfügt noch von Rechts wegen befugt ist, etwaige Rechte der Gläubigerversammlung aus § 79 Satz 1 InsO geltend zu machen, beeinflusst die Entscheidung in der Hauptsache ihre Rechtslage insoweit nicht. Damit kann dahinstehen, ob der von der Klägerin verfolgte Unterlassungsanspruch einen etwaigen Auskunftsanspruch der Gläubigerversammlung nach § 79 Satz 1 InsO begrenzt.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | ZPO
§ 66 Nebenintervention
Althammer in Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024
10/2023

Beratermodul Zöller Zivilprozessrecht
Die perfekte Basisausstattung zum Zivilprozessrecht finden Praktiker in diesem Modul. Mit neuen Kommentierungen zu digitalen Themen und topaktuellen Annotationen zu Gesetzesänderungen und wichtiger neuer Rechtsprechung. Inklusive LAWLIFT Dokumentautomation Zivilprozessrecht. Nutzen Sie ausgewählte Dokumente zur Bearbeitung mit LAWLIFT. Hier eingearbeitet die ersten Online-Aktualisierungen im Zöller zur Videokonferenztechnik (25.7.24). 4 Wochen gratis nutzen!

Kommentierung | InsO
§ 79 Unterrichtung der Gläubigerversammlung
Riedel in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023

Beratermodul Insolvenzrecht
Kombiniert bewährte Inhalte von C.F. Müller und Otto Schmidt zu Insolvenzrecht, Sanierung und Restrukturierung in einer Online-Bibliothek. Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO. Neuer Inhalt: Scholz GmbHG Kommentar. Enthält mit den §§ 15 ff., 135 InsO umfassende und neue Kommentierungen des Insolvenzrechts der GmbH. 4 Wochen gratis nutzen!
BGH online
Zurück