Nutzungsentschädigung für Vermieter nach Auszug von Flüchtlingen?
OLG Hamm v. 2.3.2022 - 11 U 84/21
Der Sachverhalt:
Die klagende GbR verlangte von der beklagten Stadt Zahlung einer Nutzungsentschädigung für sechs Wohnungen, welche die Beklagte zuvor zur Unterbringung von Flüchtlingen beschlagnahmt hatte. Streitgegenständlich ist ein nach der Beschlagnahme liegender Zeitraum, in dem die Wohnungen instandgesetzt werden mussten.
Nach Fertigstellung des Gebäudes im Jahr 2013 nutzte die Klägerin die Wohnungen im EG und 1. OG zunächst als Boardinghouse zur Vermietung an Monteure und Handelsreisende. Die Wohnungen im Dachgeschoss wurden zu Wohnzwecken vermietet. Da die Nutzung der im EG und 1. OG gelegenen Wohnungen eine bauordnungsrechtlich illegale Nutzung darstellte, wurde im September 2014 ein ordnungsbehördliches Verfahren eingeleitet. Nach Ablehnung der Nutzungsänderung im April 2015 einigten sich die Parteien anlässlich der sog. Flüchtlingskrise im Jahr 2015 eine entgeltliche Unterbringung von Flüchtlingen in den sechs Wohnungen. Nach dem Auszug der Bewohner befand sich das streitgegenständliche Objekt in einem stark abgewohnten und teilweise zerstörten Zustand.
In der Folgezeit bestand Uneinigkeit zwischen den Parteien über die Frage, welche Unternehmen mit den auszuführenden Arbeiten beauftragt werden sollten. Die Klägerin beabsichtigte, wegen der noch nicht abgelaufenen Verjährungsfrist von fünf Jahren seit Übergabe des Objekts diejenigen Firmen zu beauftragen, die das Gebäude ursprünglich errichtet hatten, um nicht den Verlust von Gewährleistungsrechten befürchten zu müssen. Im Dezember 2016 wurde der Klägerin sodann eine Genehmigung zur Nutzung des Objektes als Mehrfamilienhaus erteilt. Die Beklagte sagte zu, alle weiteren Renovierungs- und Materialkosten vorbehaltlich einer Prüfung im Einzelfall zu übernehmen, eine Nutzungsausfallentschädigung werde jedoch nicht gezahlt.
Sodann beauftragte die Klägerin die Renovierung der Wohnungen. Die Kosten von 293.000 € übernahm die Beklagte. Ende 2017 machte die Klägerin gegen die Beklagte offene Vergütungsansprüche aus dem Beschlagnahmezeitraum sowie Ansprüche auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung für die Zeit vom 1.9.2016 bis zum jeweiligen Fertigstellungstermin der einzelnen Wohnungen i.H.v. 288.647,58 € geltend.
Das LG hat die Beklagte unter Abweisung im Übrigen zur Zahlung von 8.044 € als Entschädigung verurteilt. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG das Urteil abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin weitere 18.482 € zu zahlen.
Die Gründe:
Der zuerkannte Anspruch folgt aus § 39 Abs. 1 a) i.V.m. § 40 OBG NRW. Danach kann jemand den Schaden, den er infolge einer Inanspruchnahme als Nichtstörer durch Maßnahmen der Ordnungsbehörden erleidet, unter den weiteren Voraussetzungen des § 40 OBG NRW ersetzt verlangen. Und im vorliegenden Fall war die Klägerin durch die Beklagte als Nichtstörerin gem. § 19 OBG NRW durch die an sie gerichteten Beschlagnahmeanordnungen in Anspruch genommen.
Gem. § 39 Abs. 1 a) i.V.m. § 40 Abs. 1 S. 2 OBG ist die Beklagte zum Ersatz derjenigen Vermögensschäden verpflichtet, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der zu entschädigenden Maßnahme stehen. Zu den ersatzfähigen unmittelbaren Vermögensschäden gehört gem. § 40 Abs. 1 S. 2 OBG NRW auch der entgangene Gewinn in Form des Ausfalls eines gewöhnlichen Nutzungsentgelts. Für darüber hinausgehende Vermögensnachteile oder mittelbare Vermögensschäden ist gem. § 40 Abs. 1 S. 2 OBG NRW eine Entschädigung nur dann zu leisten, wenn und soweit dies zur Abwendung unbilliger Härten geboten erscheint.
Die Unmittelbarkeit i.S.d. § 40 Abs. 1 S. 2 OBG NRW wird in diesem Zusammenhang nicht in einem formalen Sinne verstanden, sondern betrifft die Zurechenbarkeit der hoheitlichen Maßnahme. Nach der Nutzung von Wohnungen als Erstunterkunft zur Unterbringung von Flüchtlingen, die den Wohnraum mangels anderweitiger Unterbringungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten in der Regel sehr intensiv nutzen und auch Sorgfaltsanforderungen im Umgang mit der Wohnung und ihrem Inventar nicht immer einhalten, ist damit zu rechnen, dass die Wohnungen einer grundlegenden Instandsetzung bedürfen. Dies ist regelmäßig die Folge einer besonders intensiven Nutzung.
Da die erforderlichen Renovierungsmaßnahmen üblicherweise erst nach der Beendigung der Unterbringung erfolgen können und die Wohnungen während der Instandsetzungsarbeiten nicht für eine Vermietung zur Verfügung stehen, ist damit auch das Risiko eines Mietausfallschadens für den Zeitraum notwendiger Abstimmungs- und Renovierungsmaßnahmen bereits in der hoheitlichen Maßnahme angelegt. Zu ersetzen ist insofern gem. § 40 Abs. 1 S. 2 OBG NRW das "gewöhnliche Nutzungsentgelt". Als gewöhnliches Nutzungsentgelt, das als Gegenleistung für die Überlassung der Wohnungen gezahlt wird, kann die Klägerin nur einen Betrag ersetzt verlangen, der sich an der ortsüblichen Vergleichsmiete für Mietwohnungen orientiert.
Abzüglich der bereits gezahlten Beträge ist der Senat hier auf weitere 18.482 € gekommen. Die Gewährung einer höheren Nutzungsausfallentschädigung ist auch nicht zur Abwendung unbilliger Härten i.S.d. § 40 Abs. 1 S. 2 OGB NRW geboten.
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Justiz NRW
Die klagende GbR verlangte von der beklagten Stadt Zahlung einer Nutzungsentschädigung für sechs Wohnungen, welche die Beklagte zuvor zur Unterbringung von Flüchtlingen beschlagnahmt hatte. Streitgegenständlich ist ein nach der Beschlagnahme liegender Zeitraum, in dem die Wohnungen instandgesetzt werden mussten.
Nach Fertigstellung des Gebäudes im Jahr 2013 nutzte die Klägerin die Wohnungen im EG und 1. OG zunächst als Boardinghouse zur Vermietung an Monteure und Handelsreisende. Die Wohnungen im Dachgeschoss wurden zu Wohnzwecken vermietet. Da die Nutzung der im EG und 1. OG gelegenen Wohnungen eine bauordnungsrechtlich illegale Nutzung darstellte, wurde im September 2014 ein ordnungsbehördliches Verfahren eingeleitet. Nach Ablehnung der Nutzungsänderung im April 2015 einigten sich die Parteien anlässlich der sog. Flüchtlingskrise im Jahr 2015 eine entgeltliche Unterbringung von Flüchtlingen in den sechs Wohnungen. Nach dem Auszug der Bewohner befand sich das streitgegenständliche Objekt in einem stark abgewohnten und teilweise zerstörten Zustand.
In der Folgezeit bestand Uneinigkeit zwischen den Parteien über die Frage, welche Unternehmen mit den auszuführenden Arbeiten beauftragt werden sollten. Die Klägerin beabsichtigte, wegen der noch nicht abgelaufenen Verjährungsfrist von fünf Jahren seit Übergabe des Objekts diejenigen Firmen zu beauftragen, die das Gebäude ursprünglich errichtet hatten, um nicht den Verlust von Gewährleistungsrechten befürchten zu müssen. Im Dezember 2016 wurde der Klägerin sodann eine Genehmigung zur Nutzung des Objektes als Mehrfamilienhaus erteilt. Die Beklagte sagte zu, alle weiteren Renovierungs- und Materialkosten vorbehaltlich einer Prüfung im Einzelfall zu übernehmen, eine Nutzungsausfallentschädigung werde jedoch nicht gezahlt.
Sodann beauftragte die Klägerin die Renovierung der Wohnungen. Die Kosten von 293.000 € übernahm die Beklagte. Ende 2017 machte die Klägerin gegen die Beklagte offene Vergütungsansprüche aus dem Beschlagnahmezeitraum sowie Ansprüche auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung für die Zeit vom 1.9.2016 bis zum jeweiligen Fertigstellungstermin der einzelnen Wohnungen i.H.v. 288.647,58 € geltend.
Das LG hat die Beklagte unter Abweisung im Übrigen zur Zahlung von 8.044 € als Entschädigung verurteilt. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG das Urteil abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin weitere 18.482 € zu zahlen.
Die Gründe:
Der zuerkannte Anspruch folgt aus § 39 Abs. 1 a) i.V.m. § 40 OBG NRW. Danach kann jemand den Schaden, den er infolge einer Inanspruchnahme als Nichtstörer durch Maßnahmen der Ordnungsbehörden erleidet, unter den weiteren Voraussetzungen des § 40 OBG NRW ersetzt verlangen. Und im vorliegenden Fall war die Klägerin durch die Beklagte als Nichtstörerin gem. § 19 OBG NRW durch die an sie gerichteten Beschlagnahmeanordnungen in Anspruch genommen.
Gem. § 39 Abs. 1 a) i.V.m. § 40 Abs. 1 S. 2 OBG ist die Beklagte zum Ersatz derjenigen Vermögensschäden verpflichtet, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der zu entschädigenden Maßnahme stehen. Zu den ersatzfähigen unmittelbaren Vermögensschäden gehört gem. § 40 Abs. 1 S. 2 OBG NRW auch der entgangene Gewinn in Form des Ausfalls eines gewöhnlichen Nutzungsentgelts. Für darüber hinausgehende Vermögensnachteile oder mittelbare Vermögensschäden ist gem. § 40 Abs. 1 S. 2 OBG NRW eine Entschädigung nur dann zu leisten, wenn und soweit dies zur Abwendung unbilliger Härten geboten erscheint.
Die Unmittelbarkeit i.S.d. § 40 Abs. 1 S. 2 OBG NRW wird in diesem Zusammenhang nicht in einem formalen Sinne verstanden, sondern betrifft die Zurechenbarkeit der hoheitlichen Maßnahme. Nach der Nutzung von Wohnungen als Erstunterkunft zur Unterbringung von Flüchtlingen, die den Wohnraum mangels anderweitiger Unterbringungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten in der Regel sehr intensiv nutzen und auch Sorgfaltsanforderungen im Umgang mit der Wohnung und ihrem Inventar nicht immer einhalten, ist damit zu rechnen, dass die Wohnungen einer grundlegenden Instandsetzung bedürfen. Dies ist regelmäßig die Folge einer besonders intensiven Nutzung.
Da die erforderlichen Renovierungsmaßnahmen üblicherweise erst nach der Beendigung der Unterbringung erfolgen können und die Wohnungen während der Instandsetzungsarbeiten nicht für eine Vermietung zur Verfügung stehen, ist damit auch das Risiko eines Mietausfallschadens für den Zeitraum notwendiger Abstimmungs- und Renovierungsmaßnahmen bereits in der hoheitlichen Maßnahme angelegt. Zu ersetzen ist insofern gem. § 40 Abs. 1 S. 2 OBG NRW das "gewöhnliche Nutzungsentgelt". Als gewöhnliches Nutzungsentgelt, das als Gegenleistung für die Überlassung der Wohnungen gezahlt wird, kann die Klägerin nur einen Betrag ersetzt verlangen, der sich an der ortsüblichen Vergleichsmiete für Mietwohnungen orientiert.
Abzüglich der bereits gezahlten Beträge ist der Senat hier auf weitere 18.482 € gekommen. Die Gewährung einer höheren Nutzungsausfallentschädigung ist auch nicht zur Abwendung unbilliger Härten i.S.d. § 40 Abs. 1 S. 2 OGB NRW geboten.
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