Ordnungsgemäße Begründung einer Entscheidung durch Bezugnahme auf Entscheidung zwischen denselben Parteien
BGH v. 29.9.2022 - I ZB 15/22
Der Sachverhalt:
Der Antragsteller und die Antragsgegner zu 2) bis 5) gründeten im Mai 2004 eine Gemeinschaftspraxis als GbR (nachfolgend: Gemeinschaftspraxis). Wenige Monate später schieden die Antragsgegner zu 2) und 3) aus der Gemeinschaftspraxis aus und gründeten andernorts eine weitere Gemeinschaftspraxis als GbR. Der Antragsteller und die Antragsgegner zu 2) bis 5) schlossen am 26.11.2004 einen Kooperationsvertrag, mit dem sie die Antragsgegnerin zu 1), eine weitere GbR (nachfolgend: Kooperationsgesellschaft), errichteten und die Zusammenarbeit der Gemeinschaftspraxen regelten. Der Kooperationsvertrag enthält u.a. die folgende Bestimmung:
"§ 10 Schiedsgerichtsvereinbarung
Alle Streitigkeiten aus diesem Vertrag oder über seine Gültigkeit, die zwischen den Gesellschaftern entstehen, werden unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges vom Schiedsgericht endgültig entschieden. Die Schiedsgerichtsvereinbarung ist in einem gesonderten Vertrag niedergelegt."
Eine in einem gesonderten Vertrag niedergelegte Schiedsgerichtsvereinbarung besteht nicht.
Der Antragsteller kündigte die Gemeinschaftspraxis und die Kooperationsgesellschaft ordentlich zum Ende des Jahres 2010. Im Dezember 2014 leiteten die Antragsgegner ein Schiedsverfahren gegen den Antragsteller ein, in dem sie ihn auf Entschädigung der Kooperationsgesellschaft in Anspruch nehmen. Der Antragsteller rügte die Zuständigkeit des Schiedsgerichts und war nicht bereit, einen Vorschuss für die Durchführung des Schiedsverfahrens aufzubringen. Auf die Klage der Antragsgegner verurteilte das LG den Antragsteller im Jahr 2018 zur Einzahlung eines Vorschusses. Die gegen das Urteil des LG eingelegte Berufung nahm der Antragsteller nach einem Hinweisbeschluss des OLG zurück, in dem dieses mitteilte, die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückweisen zu wollen (§ 522 Abs. 2 Satz 1 und 2 ZPO; nachfolgend: Hinweisbeschluss).
Nach mündlicher Verhandlung vom 25.8.2021 erklärte sich das Schiedsgericht mit Zwischenentscheid vom 6.10.2021 für zuständig. Der Antragsteller beantragte beim OLG, den Zwischenentscheid aufzuheben und festzustellen, dass die ordentliche Gerichtsbarkeit für das dem Zwischenentscheid zugrundeliegende Verfahren zuständig ist. Das OLG legte dies als Antrag auf Feststellung der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts aus und wies den Antrag zurück. Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist der Beschluss des OLG nicht wegen mangelnder Begründung aufzuheben, weil das OLG zur Begründung seiner Entscheidung teilweise Bezug auf einen Hinweisbeschluss in einem früheren Berufungsverfahren zwischen den Parteien genommen hat, der zur Rücknahme der Berufung geführt hat.
Nach § 547 Nr. 6 ZPO ist eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen, wenn sie entgegen den Bestimmungen der ZPO nicht mit Gründen versehen ist; die Vorschrift gilt nach § 576 Abs. 3 ZPO entsprechend im Rechtsbeschwerdeverfahren. Nach der Rechtsprechung des BGH reicht die Bezugnahme auf eine Entscheidung, die zwischen denselben Parteien - auch an demselben Tag - ergangen ist, für eine ordnungsgemäße Begründung aus. Dies gilt auch bei Bezugnahme auf einen Hinweisbeschluss gem. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO in einem früheren Berufungsverfahren zwischen denselben Parteien, der zur Rücknahme der Berufung geführt hat. Ebenso zulässig ist die Bezugnahme auf eine nicht zwischen denselben Parteien ergangene Entscheidung, sofern sie Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Nach diesem Maßstab leidet der Beschluss des OLG nicht an einem Begründungsmangel. Das OLG hat in seiner Begründung auf einen Beschluss verwiesen, der zwischen denselben Parteien in einem früheren Verfahren ergangen ist und den die Antragsgegner zudem als Abschrift zur Akte des vorliegenden Verfahrens gegeben haben. Damit ist gewährleistet, dass sich die Parteien des vorliegenden Verfahrens Kenntnis von den Gründen des in Bezug genommenen Beschlusses verschaffen konnten und der im Verfahren vor dem OLG unterlegene Antragsteller auf dieser Grundlage eine Entscheidung über die Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens treffen konnte. Ob der in Rede stehende Beschluss durch die Berufungsrücknahme in entsprechender Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO wirkungslos geworden ist, ist für die Erreichung der genannten Zwecke, denen das Begründungserfordernis dient, ohne Bedeutung. Der Durchführung einer mündlichen Verhandlung bedurfte es bereits deswegen nicht, weil der in Bezug genommene Beschluss zwischen den Parteien des vorliegenden Verfahrens ergangen ist.
Im Übrigen hat das OLG § 10 des Kooperationsvertrags in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgelegt. Die Rechtsbeschwerde rügt insbesondere ohne Erfolg, § 10 des Kooperationsvertrags enthalte nach Wortlaut und Systematik der Klausel keine Schiedsvereinbarung, sondern setze das Bestehen einer gesonderten Schiedsvereinbarung voraus, die im Streitfall nicht abgeschlossen worden sei. Schließlich dringt die Rechtsbeschwerde auch nicht mit ihrer Auffassung durch, das OLG habe die Reichweite der Schiedsbindung rechtsfehlerhaft verkannt.
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Der Antragsteller und die Antragsgegner zu 2) bis 5) gründeten im Mai 2004 eine Gemeinschaftspraxis als GbR (nachfolgend: Gemeinschaftspraxis). Wenige Monate später schieden die Antragsgegner zu 2) und 3) aus der Gemeinschaftspraxis aus und gründeten andernorts eine weitere Gemeinschaftspraxis als GbR. Der Antragsteller und die Antragsgegner zu 2) bis 5) schlossen am 26.11.2004 einen Kooperationsvertrag, mit dem sie die Antragsgegnerin zu 1), eine weitere GbR (nachfolgend: Kooperationsgesellschaft), errichteten und die Zusammenarbeit der Gemeinschaftspraxen regelten. Der Kooperationsvertrag enthält u.a. die folgende Bestimmung:
"§ 10 Schiedsgerichtsvereinbarung
Alle Streitigkeiten aus diesem Vertrag oder über seine Gültigkeit, die zwischen den Gesellschaftern entstehen, werden unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges vom Schiedsgericht endgültig entschieden. Die Schiedsgerichtsvereinbarung ist in einem gesonderten Vertrag niedergelegt."
Eine in einem gesonderten Vertrag niedergelegte Schiedsgerichtsvereinbarung besteht nicht.
Der Antragsteller kündigte die Gemeinschaftspraxis und die Kooperationsgesellschaft ordentlich zum Ende des Jahres 2010. Im Dezember 2014 leiteten die Antragsgegner ein Schiedsverfahren gegen den Antragsteller ein, in dem sie ihn auf Entschädigung der Kooperationsgesellschaft in Anspruch nehmen. Der Antragsteller rügte die Zuständigkeit des Schiedsgerichts und war nicht bereit, einen Vorschuss für die Durchführung des Schiedsverfahrens aufzubringen. Auf die Klage der Antragsgegner verurteilte das LG den Antragsteller im Jahr 2018 zur Einzahlung eines Vorschusses. Die gegen das Urteil des LG eingelegte Berufung nahm der Antragsteller nach einem Hinweisbeschluss des OLG zurück, in dem dieses mitteilte, die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückweisen zu wollen (§ 522 Abs. 2 Satz 1 und 2 ZPO; nachfolgend: Hinweisbeschluss).
Nach mündlicher Verhandlung vom 25.8.2021 erklärte sich das Schiedsgericht mit Zwischenentscheid vom 6.10.2021 für zuständig. Der Antragsteller beantragte beim OLG, den Zwischenentscheid aufzuheben und festzustellen, dass die ordentliche Gerichtsbarkeit für das dem Zwischenentscheid zugrundeliegende Verfahren zuständig ist. Das OLG legte dies als Antrag auf Feststellung der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts aus und wies den Antrag zurück. Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist der Beschluss des OLG nicht wegen mangelnder Begründung aufzuheben, weil das OLG zur Begründung seiner Entscheidung teilweise Bezug auf einen Hinweisbeschluss in einem früheren Berufungsverfahren zwischen den Parteien genommen hat, der zur Rücknahme der Berufung geführt hat.
Nach § 547 Nr. 6 ZPO ist eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen, wenn sie entgegen den Bestimmungen der ZPO nicht mit Gründen versehen ist; die Vorschrift gilt nach § 576 Abs. 3 ZPO entsprechend im Rechtsbeschwerdeverfahren. Nach der Rechtsprechung des BGH reicht die Bezugnahme auf eine Entscheidung, die zwischen denselben Parteien - auch an demselben Tag - ergangen ist, für eine ordnungsgemäße Begründung aus. Dies gilt auch bei Bezugnahme auf einen Hinweisbeschluss gem. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO in einem früheren Berufungsverfahren zwischen denselben Parteien, der zur Rücknahme der Berufung geführt hat. Ebenso zulässig ist die Bezugnahme auf eine nicht zwischen denselben Parteien ergangene Entscheidung, sofern sie Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Nach diesem Maßstab leidet der Beschluss des OLG nicht an einem Begründungsmangel. Das OLG hat in seiner Begründung auf einen Beschluss verwiesen, der zwischen denselben Parteien in einem früheren Verfahren ergangen ist und den die Antragsgegner zudem als Abschrift zur Akte des vorliegenden Verfahrens gegeben haben. Damit ist gewährleistet, dass sich die Parteien des vorliegenden Verfahrens Kenntnis von den Gründen des in Bezug genommenen Beschlusses verschaffen konnten und der im Verfahren vor dem OLG unterlegene Antragsteller auf dieser Grundlage eine Entscheidung über die Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens treffen konnte. Ob der in Rede stehende Beschluss durch die Berufungsrücknahme in entsprechender Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO wirkungslos geworden ist, ist für die Erreichung der genannten Zwecke, denen das Begründungserfordernis dient, ohne Bedeutung. Der Durchführung einer mündlichen Verhandlung bedurfte es bereits deswegen nicht, weil der in Bezug genommene Beschluss zwischen den Parteien des vorliegenden Verfahrens ergangen ist.
Im Übrigen hat das OLG § 10 des Kooperationsvertrags in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgelegt. Die Rechtsbeschwerde rügt insbesondere ohne Erfolg, § 10 des Kooperationsvertrags enthalte nach Wortlaut und Systematik der Klausel keine Schiedsvereinbarung, sondern setze das Bestehen einer gesonderten Schiedsvereinbarung voraus, die im Streitfall nicht abgeschlossen worden sei. Schließlich dringt die Rechtsbeschwerde auch nicht mit ihrer Auffassung durch, das OLG habe die Reichweite der Schiedsbindung rechtsfehlerhaft verkannt.
Kommentierung | ZPO
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