Patientin fälscht Rezepte - Keine Haftung des Hausarztes
OLG Köln v. 16.12.2020 - 5 U 39/20
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist eine Beihilfekasse. Sie zahlte an die als städtische Beamtin beihilfeberechtigte B (im Folgenden: die Patientin) zwischen Mai 2008 und November 2013 rund 2 Mio. € aus. Dem lag zu Grunde, dass die Patientin sich von dem Beklagten, ihrem Hausarzt, Rezepte über das Medikament Gamunex hatte ausstellen lassen. Bei dem Medikament handelt es sich um ein unverändertes menschliches Immunglobulin G (IgG), das durch einen Arzt intravenös verabreicht werden muss. Eine Einzeldosis von 200 ml des Medikamentes hat einen Abgabepreis von ca. 26.000 €. Die Patientin hat, nachdem sie die ersten fünf Rezepte tatsächlich eingelöst hatte, in der Folgezeit jeweils den Stempel der Apotheke gefälscht und das so präparierte Rezept bei der Klägerin zur Erstattung eingereicht. Die Klägerin zahlte die Erstattungsbeträge auf das Konto der Patientin, diese verbrauchte das Geld für sich. Dieses Vorgehen praktizierte sie über Jahre.
Der Beklagte hatte die Rezepte ausgestellt, ohne die Patientin zuvor zu untersuchen, auch verkürzte er das Verschreibungsintervall im Laufe der Zeit ohne eine vorherige Untersuchung der Patientin. Er verabreichte das Medikament zu keinem Zeitpunkt selbst. Er stellte keine Überweisungen an einen Facharzt aus und erhielt keine Befundberichte oder Laborergebnisse von einem Facharzt.
Die Patientin wurde nach Entdeckung der Taten zu zwei Jahren Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt. Ein gegen den Beklagten gerichtetes Strafverfahren wurde nach § 153 a StPO nach Erfüllung der Zahlungsauflage endgültig eingestellt. Die Klägerin nahm den Beklagten auf Erstattung aller ihrerseits an die Patientin ausgekehrten offenstehenden Beträge in Anspruch. Sie war der Ansicht, sie habe einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 278 StGB sowie § 263 StGB. Zudem sei sie in den Schutzbereich des Behandlungsvertrages einbezogen. Sie meinte zudem, Privatrezepte seien Gesundheitszeugnisse i.S.d. § 278 StGB.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Vertragliche Ansprüche der Klägerin gegen den Beklagten bestünden nicht, insbesondere sei die Klägerin nicht in die Schutzwirkung des Behandlungsvertrages miteinbezogen. Auch die Berufung der Klägerin vor dem OLG blieb erfolglos.
Die Gründe:
Der Klägerin stehen keine vertraglichen Ansprüche gegen den Beklagten zu. Denn sie ist nicht Partei des zwischen dem Beklagten und der Patientin bestehenden Behandlungsvertrages gem. § 611 BGB geworden.
Dieser entwickelt auch keine Schutzwirkung für die Klägerin als Beihilfestelle. Der Behandlungsvertrag selbst ist seinem Zweck nach auf die medizinische Behandlung unter Wahrung des Facharztstandes zum Wohle der Gesundheit des Patienten gerichtet, und dient damit nicht in erster Linie den Belangen der Kostenträger. Im Falle von gesetzlich Versicherten können sich Pflichten des Arztes gegenüber Krankenkassen aus sozialrechtlichen Normen ergeben. Eine solche Normierung eventueller weitergehender Pflichten gibt es für die unterschiedlichen Kostenträger der behandelten Privatpatienten nicht. Für den Behandler würde daher die Einbeziehung dieser unterschiedlichen Dritten in den Schutzbereich des Vertrages eine unkalkulierbare Erweiterung des Vertragsinhaltes bedeuten.
Auch deliktische Ansprüche gegen den Beklagten stehen der Klägerin nicht zu. Zutreffend hat das LG einen Schadensersatzanspruch gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. mit einem Verstoß gegen § 278 StGB verneint. Das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse nach § 278 StGB ist kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB, da das Delikt für sich genommen nicht geeignet ist, fremde Vermögensinteressen zu schädigen. Rezepte sind auch keine Gesundheitszeugnisse i.S.d. § 278 StGB, da sie keine Auskunft über den Gesundheitszustand eines Patienten geben und nicht dem Nachweis einer bestimmten medizinischen Diagnose dienen. Insbesondere Rezepte, die ein breit anzuwendendes Medikament verschreiben, wie z.B. Kortison oder Ibuprofen, lassen auch keinen Rückschluss darauf zu, an welcher Erkrankung der Patient leidet.
Letztlich haben Ärzte auch keine Vermögensbetreuungspflicht hinsichtlich des Vermögens privater Versicherer oder der Beihilfekasse. Es fehlt schon an der erforderlichen engen, direkten Beziehung zwischen Arzt und Beihilfekasse oder Privatversicherer.
Justiz NRW
Die Klägerin ist eine Beihilfekasse. Sie zahlte an die als städtische Beamtin beihilfeberechtigte B (im Folgenden: die Patientin) zwischen Mai 2008 und November 2013 rund 2 Mio. € aus. Dem lag zu Grunde, dass die Patientin sich von dem Beklagten, ihrem Hausarzt, Rezepte über das Medikament Gamunex hatte ausstellen lassen. Bei dem Medikament handelt es sich um ein unverändertes menschliches Immunglobulin G (IgG), das durch einen Arzt intravenös verabreicht werden muss. Eine Einzeldosis von 200 ml des Medikamentes hat einen Abgabepreis von ca. 26.000 €. Die Patientin hat, nachdem sie die ersten fünf Rezepte tatsächlich eingelöst hatte, in der Folgezeit jeweils den Stempel der Apotheke gefälscht und das so präparierte Rezept bei der Klägerin zur Erstattung eingereicht. Die Klägerin zahlte die Erstattungsbeträge auf das Konto der Patientin, diese verbrauchte das Geld für sich. Dieses Vorgehen praktizierte sie über Jahre.
Der Beklagte hatte die Rezepte ausgestellt, ohne die Patientin zuvor zu untersuchen, auch verkürzte er das Verschreibungsintervall im Laufe der Zeit ohne eine vorherige Untersuchung der Patientin. Er verabreichte das Medikament zu keinem Zeitpunkt selbst. Er stellte keine Überweisungen an einen Facharzt aus und erhielt keine Befundberichte oder Laborergebnisse von einem Facharzt.
Die Patientin wurde nach Entdeckung der Taten zu zwei Jahren Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt. Ein gegen den Beklagten gerichtetes Strafverfahren wurde nach § 153 a StPO nach Erfüllung der Zahlungsauflage endgültig eingestellt. Die Klägerin nahm den Beklagten auf Erstattung aller ihrerseits an die Patientin ausgekehrten offenstehenden Beträge in Anspruch. Sie war der Ansicht, sie habe einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 278 StGB sowie § 263 StGB. Zudem sei sie in den Schutzbereich des Behandlungsvertrages einbezogen. Sie meinte zudem, Privatrezepte seien Gesundheitszeugnisse i.S.d. § 278 StGB.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Vertragliche Ansprüche der Klägerin gegen den Beklagten bestünden nicht, insbesondere sei die Klägerin nicht in die Schutzwirkung des Behandlungsvertrages miteinbezogen. Auch die Berufung der Klägerin vor dem OLG blieb erfolglos.
Die Gründe:
Der Klägerin stehen keine vertraglichen Ansprüche gegen den Beklagten zu. Denn sie ist nicht Partei des zwischen dem Beklagten und der Patientin bestehenden Behandlungsvertrages gem. § 611 BGB geworden.
Dieser entwickelt auch keine Schutzwirkung für die Klägerin als Beihilfestelle. Der Behandlungsvertrag selbst ist seinem Zweck nach auf die medizinische Behandlung unter Wahrung des Facharztstandes zum Wohle der Gesundheit des Patienten gerichtet, und dient damit nicht in erster Linie den Belangen der Kostenträger. Im Falle von gesetzlich Versicherten können sich Pflichten des Arztes gegenüber Krankenkassen aus sozialrechtlichen Normen ergeben. Eine solche Normierung eventueller weitergehender Pflichten gibt es für die unterschiedlichen Kostenträger der behandelten Privatpatienten nicht. Für den Behandler würde daher die Einbeziehung dieser unterschiedlichen Dritten in den Schutzbereich des Vertrages eine unkalkulierbare Erweiterung des Vertragsinhaltes bedeuten.
Auch deliktische Ansprüche gegen den Beklagten stehen der Klägerin nicht zu. Zutreffend hat das LG einen Schadensersatzanspruch gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. mit einem Verstoß gegen § 278 StGB verneint. Das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse nach § 278 StGB ist kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB, da das Delikt für sich genommen nicht geeignet ist, fremde Vermögensinteressen zu schädigen. Rezepte sind auch keine Gesundheitszeugnisse i.S.d. § 278 StGB, da sie keine Auskunft über den Gesundheitszustand eines Patienten geben und nicht dem Nachweis einer bestimmten medizinischen Diagnose dienen. Insbesondere Rezepte, die ein breit anzuwendendes Medikament verschreiben, wie z.B. Kortison oder Ibuprofen, lassen auch keinen Rückschluss darauf zu, an welcher Erkrankung der Patient leidet.
Letztlich haben Ärzte auch keine Vermögensbetreuungspflicht hinsichtlich des Vermögens privater Versicherer oder der Beihilfekasse. Es fehlt schon an der erforderlichen engen, direkten Beziehung zwischen Arzt und Beihilfekasse oder Privatversicherer.