Persönliche Anhörung des Patienten zur Ermittlung seiner möglichen Entscheidung bei ausreichender Aufklärung
BGH v. 21.6.2022 - VI ZR 310/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger begehrt von dem Beklagten Ersatz materiellen und immateriellen Schadens nach einer augenärztlichen Behandlung.
Der Kläger stellte sich am 13.12.2016 zur Durchführung eines refraktiven Eingriffs bei Kurzsichtigkeit bei dem beklagten Augenarzt vor. Nach entsprechender Aufklärung führte der Beklagte am 10.2.2017 in Vollnarkose zunächst eine LASIK-Laserbehandlung am rechten Auge durch. Während des Eingriffs kam es zu einem Kneifen des Auges, so dass sich der Laserschnitt dezentrierte. Der Beklagte brach die LASIK-Behandlung ohne Flap-Öffnung ab und führte sodann eine photoreaktive EXCIMER-Laserbehandlung (nachfolgend: PRK) durch. Auch am linken Auge wurde eine PRK durchgeführt. Am 25.8.2017 führte der Beklagte, erneut in Vollnarkose, am rechten Auge des Klägers eine Revisions-PRK durch. Der Kläger macht fortbestehende Sehbeschwerden und Augentrockenheit geltend und führt dies auf die Behandlung durch den Beklagten zurück.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Die Annahme des OLG, dem Kläger stehe ein Anspruch aus Verletzung der Aufklärungspflicht nicht zu, verstößt gegen den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Die Nichtzulassungsbeschwerde wendet sich mit Recht gegen die Beurteilung des OLG, der Beklagte könne sich insoweit mit Erfolg auf eine hypothetische Einwilligung des Klägers berufen, weil dieser einen Entscheidungskonflikt schriftsätzlich nicht plausibel dargelegt habe. Das OLG hätte nicht ohne Anhörung des Klägers über das Bestehen eines echten Entscheidungskonflikts befinden dürfen.
Genügt die Aufklärung nicht den an sie zu stellenden Anforderungen, kann sich der Behandelnde darauf berufen, dass der Patient auch im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte (§ 630h Abs. 2 Satz 2 BGB). An einen dahingehenden Nachweis, der dem Behandelnden obliegt, sind strenge Anforderungen zu stellen, damit nicht auf diesem Weg der Aufklärungsanspruch des Patienten unterlaufen wird. Den Arzt trifft für seine Behauptung, der Patient hätte bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt, die Beweislast aber erst dann, wenn der Patient zur Überzeugung des Tatrichters plausibel macht, dass er - wären ihm rechtzeitig die Risiken des Eingriffs verdeutlicht worden - vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte. An die Pflicht des Patienten zur Substantiierung eines solchen Konflikts sind allerdings keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Abzustellen ist auf die persönliche Entscheidungssituation des jeweiligen Patienten. Was aus ärztlicher Sicht sinnvoll und erforderlich gewesen wäre und wie ein "vernünftiger Patient" sich verhalten haben würde, ist hingegen grundsätzlich nicht entscheidend.
Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats darf der Tatrichter Feststellungen darüber, wie sich ein Patient bei ausreichender Aufklärung entschieden hätte, und ob er in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, grundsätzlich nicht ohne persönliche Anhörung des Patienten treffen. Durch die persönliche Anhörung soll vermieden werden, dass das Tatgericht für die Verneinung eines Entscheidungskonflikts vorschnell auf das abstellt, was bei objektiver Betrachtung als naheliegend oder vernünftig erscheint, ohne die persönlichen, möglicherweise weniger naheliegenden oder als unvernünftig erscheinenden Erwägungen des Patienten ausreichend in Betracht zu ziehen. Die persönliche Anhörung soll es dem Gericht ermöglichen, den anwaltlich vorgetragenen Gründen für und gegen einen Entscheidungskonflikt durch konkrete Nachfragen nachzugehen und sie auch aufgrund des persönlichen Eindrucks vom Patienten sachgerecht beurteilen zu können.
Nach diesen Grundsätzen hätte das OLG hier nicht von einer Anhörung des Klägers absehen dürfen. Zwar mag der im instanzgerichtlichen Verfahren schriftsätzlich gehaltene Vortrag des Klägers, er hätte sich deshalb gegen eine PRK entschieden, weil diese nach seinem Kenntnisstand nicht unter Vollnarkose möglich gewesen sei, für sich genommen tatsächlich wenig plausibel erscheinen, weil, wie der Fall selbst zeigt, auch eine PRK unter Vollnarkose durchgeführt werden kann. Eine sichere Beurteilung der hypothetischen Entscheidungssituation des Klägers ohne dessen Anhörung war aber schon deshalb nicht ausnahmsweise möglich, weil die äußeren Umstände der Aufklärung und der tatsächlichen Entscheidungssituation des Klägers nicht unstreitig geblieben sind, weil das OLG den Inhalt der im Streitfall gebotenen, insbesondere vollständigen Aufklärung nicht definiert hat und weil nicht erkennbar ist, ob der Kläger bei seinen schriftsätzlichen Ausführungen zum Entscheidungskonflikt von der Hypothese einer dem entsprechenden, vollständigen Aufklärung ausgegangen ist.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung:
Arzthaftung: Aufklärung vor der Injektionsbehandlung eines Tennisarms
OLG Hamm vom 15.02.2022 - 26 U 21/21
MDR 2022, 640
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BGH online
Der Kläger begehrt von dem Beklagten Ersatz materiellen und immateriellen Schadens nach einer augenärztlichen Behandlung.
Der Kläger stellte sich am 13.12.2016 zur Durchführung eines refraktiven Eingriffs bei Kurzsichtigkeit bei dem beklagten Augenarzt vor. Nach entsprechender Aufklärung führte der Beklagte am 10.2.2017 in Vollnarkose zunächst eine LASIK-Laserbehandlung am rechten Auge durch. Während des Eingriffs kam es zu einem Kneifen des Auges, so dass sich der Laserschnitt dezentrierte. Der Beklagte brach die LASIK-Behandlung ohne Flap-Öffnung ab und führte sodann eine photoreaktive EXCIMER-Laserbehandlung (nachfolgend: PRK) durch. Auch am linken Auge wurde eine PRK durchgeführt. Am 25.8.2017 führte der Beklagte, erneut in Vollnarkose, am rechten Auge des Klägers eine Revisions-PRK durch. Der Kläger macht fortbestehende Sehbeschwerden und Augentrockenheit geltend und führt dies auf die Behandlung durch den Beklagten zurück.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
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Genügt die Aufklärung nicht den an sie zu stellenden Anforderungen, kann sich der Behandelnde darauf berufen, dass der Patient auch im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte (§ 630h Abs. 2 Satz 2 BGB). An einen dahingehenden Nachweis, der dem Behandelnden obliegt, sind strenge Anforderungen zu stellen, damit nicht auf diesem Weg der Aufklärungsanspruch des Patienten unterlaufen wird. Den Arzt trifft für seine Behauptung, der Patient hätte bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt, die Beweislast aber erst dann, wenn der Patient zur Überzeugung des Tatrichters plausibel macht, dass er - wären ihm rechtzeitig die Risiken des Eingriffs verdeutlicht worden - vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte. An die Pflicht des Patienten zur Substantiierung eines solchen Konflikts sind allerdings keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Abzustellen ist auf die persönliche Entscheidungssituation des jeweiligen Patienten. Was aus ärztlicher Sicht sinnvoll und erforderlich gewesen wäre und wie ein "vernünftiger Patient" sich verhalten haben würde, ist hingegen grundsätzlich nicht entscheidend.
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Nach diesen Grundsätzen hätte das OLG hier nicht von einer Anhörung des Klägers absehen dürfen. Zwar mag der im instanzgerichtlichen Verfahren schriftsätzlich gehaltene Vortrag des Klägers, er hätte sich deshalb gegen eine PRK entschieden, weil diese nach seinem Kenntnisstand nicht unter Vollnarkose möglich gewesen sei, für sich genommen tatsächlich wenig plausibel erscheinen, weil, wie der Fall selbst zeigt, auch eine PRK unter Vollnarkose durchgeführt werden kann. Eine sichere Beurteilung der hypothetischen Entscheidungssituation des Klägers ohne dessen Anhörung war aber schon deshalb nicht ausnahmsweise möglich, weil die äußeren Umstände der Aufklärung und der tatsächlichen Entscheidungssituation des Klägers nicht unstreitig geblieben sind, weil das OLG den Inhalt der im Streitfall gebotenen, insbesondere vollständigen Aufklärung nicht definiert hat und weil nicht erkennbar ist, ob der Kläger bei seinen schriftsätzlichen Ausführungen zum Entscheidungskonflikt von der Hypothese einer dem entsprechenden, vollständigen Aufklärung ausgegangen ist.
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