Pflichten der Feuerwehr vor gewaltsamer Öffnung der klemmenden Heckklappe eines Taxis zur Befreiung eines Fahrgastes
LG Hagen v. 13.3.2024 - 8 O 282/23Der Kläger ist als Taxi-Unternehmer tätig und auf Alten- wie Krankenfahrten spezialisiert. Am 5.9.2022 hatte der Neffe und Mitarbeiter des Klägers mit einem VW Caddy aus der Taxi-Flotte eine auf einen Rollstuhl angewiesene Kundin zu einer Zahnarztpraxis in der beklagten Gemeinde gefahren. Die Patientin hatte in ihrem Rollstuhl Platz genommen und wurde auf der über die Heckklappe erreichbaren Ladefläche des Caddys transportiert. Ihr Ehemann, der die Fahrt begleitete, saß auf der Rückbank. Beim Rangieren mit dem Fahrzeug war der Fahrer heckseitig gegen einen Poller gestoßen. Dies hatte bei der Verbringung der Kundin in das Fahrzeug keine Probleme beim Öffnen/Schließen der Heckklappe ergeben. Tatsächlich war das Schloss der Hecktür - äußerlich nicht erkennbar - leicht beschädigt worden.
Beim Arzt angekommen gelang es dem Fahrer nicht, die Heckklappe zu öffnen, um die Kundin aus dem Fahrzeug holen zu können. Nachdem auch eine Mitarbeiterin der Praxis und ein Mitarbeiter des benachbarten Ordnungsamtes vergeblich versucht hatten, die Tür zu öffnen, entschieden die beiden sich, die Feuerwehr hinzuzuziehen. Zu diesem Zeitpunkt betrug die Außentemperatur über 30 °C und die Kundin schwitzte stark. Nachdem auch die Feuerwehrmitarbeiter erfolglos versucht hatten, die Heckklappe manuell zu öffnen, entschieden sie, die Klappe einzusägen, um an den Verschlussbolzen zu kommen und diesen zu durchtrennen. Eine Kontaktaufnahme mit dem Kläger erfolgte vor Durchführung dieser Maßnahme, die zur erfolgreichen Öffnung der Heckklappe führte, nicht.
Später machte der Kläger gegenüber der Beklagten als Trägerin der Feuerwehr Schadensersatz für Beschädigungen an seinem Taxi i.H.v. rund 2.693 € geltend. Das LG gab der Klage vollumfänglich statt.
Die Gründe:
Der Kläger kann die geltend gemachten Ansprüche zwar nicht in voller Höhe aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG i.V.m. 249 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BGB herleiten. Ein ungekürzter Anspruch auf Zahlung von 2.693 € nebst Zinsen und Rechtsverfolgungskosten steht ihm jedoch aus einem enteignungsgleichen Eingriff zu.
Die Beklagte konnte sich insbesondere nicht auf eine verwaltungsrechtliche Rechtfertigungsnorm stützen, die die Rechtswidrigkeit entfallen ließe. Denn die tätigen Beamten waren nach den §§ 1 Nr. 2 Alt. 1, 34 Abs. 2 S. 1, S. 2 BHKG NRW i.V.m. § 14 Abs. 1 OBG NRW i.V.m. § 55 Abs. 2 VwVG NRW nicht berechtigt, die Heckklappe am Fahrzeug des Klägers aufzuschneiden, um die gefangene Kundin aus dem Fahrzeug zu befreien. Nach dem Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes bedarf es im Rahmen der Eingriffsverwaltung für jede nachteilige Maßnahme einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage, von der sowohl formell als auch materiell rechtmäßig Gebrauch gemacht worden sein muss. Von der bestehenden Ermächtigungsgrundlage hatten die Beamten hier in formeller, jedenfalls aber in materieller Hinsicht keinen rechtmäßigen Gebrauch gemacht.
Vorliegend war von einem kompletten Ermessensausfall auszugehen. Die Beklagte hatte den Kläger vor dem Eingriff nicht kontaktiert. Es wäre eine Sache von wenigen Minuten gewesen, den Fahrer zu bitten, seinen Chef als mutmaßlichen Eigentümer anzurufen und ihn von dem geplanten Vorgehen zu informieren. Die Beamten konnten vor Ort gar nicht ausschließen, dass dem Eigentümer des Fahrzeugs womöglich weitere Wege bekannt waren, um eine verklemmte Tür an seinem Fahrzeug zu entriegeln, was nach dem unstreitigen Vorbringen des Klägers auch der Fall war.
Aufsatz
Peter Itzel
Neuere Entwicklungen im Amts‑, Staatshaftungs- und Entschädigungsrecht
MDR 2024, 207
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