Probleme bei vorzeitiger Klage auf Räumung und Herausgabe einer Wohnung
LG Rostock a.M. v. 18.1.2022 - 1 T 157/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger war Vermieter der Beklagten. Da der Kläger die Wohnung gern für sich nutzen wollte, kündigte er gegenüber den Beklagten am 18.1.2021 unter Angabe des Eigenbedarfs zum 31.1.2022 den Mietvertrag; auf die Widerspruchsfrist gem. § 574b Abs. 2 S. 1 BGB wies er hin. Mit Schreiben vom 28.2.2021 reagierten die Beklagten wie folgt:
"Sie wissen, wir wissen, dass Sie sich mit dieser Kündigung auf sehr, sehr dünnem Eis bewegen. ... Da Sie darauf hinweisen, dass wir über Modalitäten der Wohnungsübergabe sprechen können, würden uns entsprechende Gedanken ihrerseits im Vorfeld interessieren."
Der Kläger schrieb den Beklagten am 5.3.2021 u.a.:
"... Wenn Sie mir binnen 10 Tagen ab heute eine von Ihnen beiden unterschriebene schriftliche Erklärung geben, in der Sie die Kündigung anerkennen und zusagen, die Wohnung zum 31.1.2022 zu räumen und an mich herauszugeben, werde ich Ihnen einen Umzugskostenbeitrag von 300 € bis spätestens zum 15.2.2022 zahlen. Darüber hinaus brauchen Sie die Wohnung nicht zu renovieren, die Übergabe muss nur geräumt und besenrein erfolgen.
Ich könnte mir auch eine Erhöhung der Umzugskostenbeihilfe vorstellen, wenn Sie deutlich früher ausziehen. Die vorbezeichnete schriftliche Erklärung erwarte ich binnen 10 Tagen ab heute. Bleibt Sie aus, werde ich mich gezwungen sehen, Räumungsklage zu erheben."
Die Beklagten antworteten nicht mehr darauf.
Am 7.4.2021 hat der Kläger auf Herausgabe und Räumung geklagt. Die Beklagten die Klageforderung binnen zwei Wochenfrist anerkannt. Mit Anerkenntnisurteil hat das AG dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde blieb vor dem LG erfolglos.
Die Gründe:
Das AG hat ihm im Ergebnis zu Recht dem Kläger die Kosten gem. § 93 ZPO auferlegt. Die Beklagten haben die Klage sofort anerkannt ist. Sie hatten dem Kläger durch ihr Verhalten zuvor auch keine Veranlassung zur Erhebung der Klage gegeben.
Steht die Kündigung eines Mietvertragsverhältnisses im Streit und geht es um die Frage, ob der Vermieter gem. § 259 ZPO vorzeitig Klage auf Räumung und Herausgabe erheben darf, wird in der Literatur zwar teilweise eine allgemeine Erklärungspflicht des Mieters aus § 241 Abs. 2 BGB hergeleitet. Diese Ansicht verkennt allerdings das Widerspruchsrecht des Mieters gem. § 574 Abs. 1 BGB. Der Mieter kann der ordentlichen Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist.
Hat der Vermieter auf dieses Recht in der Kündigung hingewiesen, hat der Mieter sich spätestens, aber auch erst zwei Monate vor der Beendigung des Mietverhältnisses diesbezüglich zu erklären. Hieraus ergibt sich, dass der Vermieter jedenfalls bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist keinen solchen Erklärungsanspruch hat. Denn bis zum Ablauf der Frist können dem Mieter Widerspruchsgründe erwachsen und er muss sich nicht voreilig seiner diesbezüglichen Ansprüche durch ein vorprozessuales Anerkenntnis begeben. Die aus § 241 Abs. 2 BGB herzuleitende Pflicht des Mieters, sich gegenüber dem Vermieter im Stadium der Abwicklung eines Wohnraummietverhältnisses nach einer ordentlichen Kündigung rücksichtsvoll zu verhalten, wird durch das Recht des Mieters, der Kündigung gem. § 574 BGB zu widersprechen, modifiziert. Aus dem Umstand, dass der Beklagte den Klageanspruch anerkannt hat, kann nicht gefolgert werden, die Besorgnis nicht rechtzeitiger Leistung sei gegeben bzw. zu unterstellen
Der Klage ist ein kurzer Schriftwechsel der Parteien vorausgegangen, aus dem der Kläger nicht mit der notwendigen Gewissheit hat annehmen dürfen, die Beklagten ließen es auf jeden Fall auf eine Räumungsklage ankommen. Sie waren nicht verpflichtet, innerhalb der vom Kläger gesetzten Frist ihre Erfüllungsbereitschaft zu erklären. Den Beklagten hat ein Widerspruchsrecht gem. § 574 BGB zugestanden. Die zweimonatige Frist zur Erhebung eines Widerspruchs hat in weiter Ferne gelegen hat. Auch dem Schreiben der Beklagten vom 28.2.2021 hat der Kläger nicht entnehmen dürfen, dass sie einen fristgerechten Auszug verweigern wollten. Die dort getätigte laienhafte und unjuristische Aussage hat ersichtlich den Zweck gehabt, die Verhandlungsposition der Beklagten zu untermauern. Die vom Kläger gesetzte "Erklärungsfrist" mit Schreiben vom 5.3.2021 war äußerst knapp. Den Beklagten ist keine ausreichende Zeit geblieben, sich anwaltlich beraten zu lassen und eine erfolgversprechende Wohnungssuche zu starten.
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Landesrecht M-V
Der Kläger war Vermieter der Beklagten. Da der Kläger die Wohnung gern für sich nutzen wollte, kündigte er gegenüber den Beklagten am 18.1.2021 unter Angabe des Eigenbedarfs zum 31.1.2022 den Mietvertrag; auf die Widerspruchsfrist gem. § 574b Abs. 2 S. 1 BGB wies er hin. Mit Schreiben vom 28.2.2021 reagierten die Beklagten wie folgt:
"Sie wissen, wir wissen, dass Sie sich mit dieser Kündigung auf sehr, sehr dünnem Eis bewegen. ... Da Sie darauf hinweisen, dass wir über Modalitäten der Wohnungsübergabe sprechen können, würden uns entsprechende Gedanken ihrerseits im Vorfeld interessieren."
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"... Wenn Sie mir binnen 10 Tagen ab heute eine von Ihnen beiden unterschriebene schriftliche Erklärung geben, in der Sie die Kündigung anerkennen und zusagen, die Wohnung zum 31.1.2022 zu räumen und an mich herauszugeben, werde ich Ihnen einen Umzugskostenbeitrag von 300 € bis spätestens zum 15.2.2022 zahlen. Darüber hinaus brauchen Sie die Wohnung nicht zu renovieren, die Übergabe muss nur geräumt und besenrein erfolgen.
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Die Gründe:
Das AG hat ihm im Ergebnis zu Recht dem Kläger die Kosten gem. § 93 ZPO auferlegt. Die Beklagten haben die Klage sofort anerkannt ist. Sie hatten dem Kläger durch ihr Verhalten zuvor auch keine Veranlassung zur Erhebung der Klage gegeben.
Steht die Kündigung eines Mietvertragsverhältnisses im Streit und geht es um die Frage, ob der Vermieter gem. § 259 ZPO vorzeitig Klage auf Räumung und Herausgabe erheben darf, wird in der Literatur zwar teilweise eine allgemeine Erklärungspflicht des Mieters aus § 241 Abs. 2 BGB hergeleitet. Diese Ansicht verkennt allerdings das Widerspruchsrecht des Mieters gem. § 574 Abs. 1 BGB. Der Mieter kann der ordentlichen Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist.
Hat der Vermieter auf dieses Recht in der Kündigung hingewiesen, hat der Mieter sich spätestens, aber auch erst zwei Monate vor der Beendigung des Mietverhältnisses diesbezüglich zu erklären. Hieraus ergibt sich, dass der Vermieter jedenfalls bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist keinen solchen Erklärungsanspruch hat. Denn bis zum Ablauf der Frist können dem Mieter Widerspruchsgründe erwachsen und er muss sich nicht voreilig seiner diesbezüglichen Ansprüche durch ein vorprozessuales Anerkenntnis begeben. Die aus § 241 Abs. 2 BGB herzuleitende Pflicht des Mieters, sich gegenüber dem Vermieter im Stadium der Abwicklung eines Wohnraummietverhältnisses nach einer ordentlichen Kündigung rücksichtsvoll zu verhalten, wird durch das Recht des Mieters, der Kündigung gem. § 574 BGB zu widersprechen, modifiziert. Aus dem Umstand, dass der Beklagte den Klageanspruch anerkannt hat, kann nicht gefolgert werden, die Besorgnis nicht rechtzeitiger Leistung sei gegeben bzw. zu unterstellen
Der Klage ist ein kurzer Schriftwechsel der Parteien vorausgegangen, aus dem der Kläger nicht mit der notwendigen Gewissheit hat annehmen dürfen, die Beklagten ließen es auf jeden Fall auf eine Räumungsklage ankommen. Sie waren nicht verpflichtet, innerhalb der vom Kläger gesetzten Frist ihre Erfüllungsbereitschaft zu erklären. Den Beklagten hat ein Widerspruchsrecht gem. § 574 BGB zugestanden. Die zweimonatige Frist zur Erhebung eines Widerspruchs hat in weiter Ferne gelegen hat. Auch dem Schreiben der Beklagten vom 28.2.2021 hat der Kläger nicht entnehmen dürfen, dass sie einen fristgerechten Auszug verweigern wollten. Die dort getätigte laienhafte und unjuristische Aussage hat ersichtlich den Zweck gehabt, die Verhandlungsposition der Beklagten zu untermauern. Die vom Kläger gesetzte "Erklärungsfrist" mit Schreiben vom 5.3.2021 war äußerst knapp. Den Beklagten ist keine ausreichende Zeit geblieben, sich anwaltlich beraten zu lassen und eine erfolgversprechende Wohnungssuche zu starten.
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