05.12.2022

Prüfung des Ablaufs von Rechtsmittelbegrünungsfristen durch den Rechtsanwalt

Werden einem Rechtsanwalt die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung vorgelegt, hat er den Ablauf von Rechtsmittelbegrünungsfristen eigenverantwortlich zu prüfen. Ein Rechtsanwalt muss allgemeine Vorkehrungen dafür treffen, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen wird, wenn er unvorhergesehen ausfällt.

BGH v. 19.10.2022 - XII ZB 113/21
Der Sachverhalt:
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Versagung der begehrten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Verwerfung ihrer Beschwerde gegen die vom AG ausgesprochene Zurückweisung ihres Antrags auf nachehelichen Unterhalt. Gegen den ihr am 19.11.2020 zugestellten amtsgerichtlichen Beschluss legte die Antragstellerin durch ihren Verfahrensbevollmächtigten am 1.12.2020 Beschwerde ein. Ihren am 20.1.2021 eingegangenen Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist lehnte das OLG am 21.1.2021 ab und wies zugleich auf die beabsichtigte Verwerfung der Beschwerde hin.

Die Antragstellerin beantragte mit einem am 4.2.2021 beim OLG eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und holte mit weiterem Schriftsatz vom selben Tag die Beschwerdebegründung nach. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags führte sie aus, aufgrund einer außergewöhnlichen Belastungssituation habe die ansonsten stets zuverlässige Kanzleiangestellte nach Zustellung des Beschlusses die Begründungsfrist im elektronischen Fristenkalender fehlerhaft auf den 21.1.2021 eingetragen. Wegen seiner bereits seit November 2020 bestehenden Erkrankung an COVID-19 sei der Verfahrensbevollmächtigte zu Hause geblieben und habe dort die ihm überbrachte Beschwerdeschrift unterzeichnet. Am 15.1.2021 sei er telefonisch vom Ablauf der für diesen Tag notierten Vorfrist und der am 21.1.2021 eingetragenen Begründungsfrist unterrichtet worden. Aus gesundheitlichen Gründen habe er die Kanzlei jedoch erst am 20.1.2021 wieder betreten, um einen Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist zu stellen.

Das OLG wies den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück und verwarf zugleich die Beschwerde. Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde sind die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht erfüllt. Denn die Antragstellerin hat die Beschwerdebegründungsfrist nicht unverschuldet i.S.v. §§ 117 Abs. 5 FamFG, 233 Satz 1 ZPO versäumt. Vielmehr beruht das Versäumnis auf einem Verschulden ihres Verfahrensbevollmächtigten, welches sie sich nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt alles ihm Zumutbare, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Dabei kann die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen werden. Dann hat der Rechtsanwalt aber durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind.

Darüber hinaus hat ein Rechtsanwalt nach ständiger Rechtsprechung des BGH den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen immer dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden. Danach ist die Annahme des OLG, der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin habe es pflichtwidrig versäumt, bei Einlegung der Beschwerde die Richtigkeit der Frist zur Beschwerdebegründung unter Beiziehung der Handakte zu prüfen, frei von Rechtsfehlern. In der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat die Antragstellerin hierzu lediglich ausgeführt, ihr Verfahrensbevollmächtigter habe sich die von der Kanzleiangestellten gefertigte Beschwerdeschrift nach Hause bringen lassen und sie dort nach Durchsicht unterzeichnet. Zu einer darüberhinausgehenden Prüfung verhält sich die Begründung nicht. Hätte sich der Verfahrensbevollmächtigte die Handakte vorlegen lassen und anhand des Zustellungsdatums eigenverantwortlich die Berechnung der notierten Beschwerdebegründungsfrist überprüft, hätte er das Versehen bei deren Eintragung bemerkt und korrigiert.

Der Annahme eines Verschuldens steht auch nicht der Vortrag der Antragstellerin zur Erkrankung ihres Verfahrensbevollmächtigten entgegen. Ein Rechtsanwalt muss allgemeine Vorkehrungen dafür treffen, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen wird, wenn er unvorhergesehen ausfällt. Auf einen krankheitsbedingten Ausfall muss sich der Rechtsanwalt aber nur dann durch konkrete Maßnahmen vorbereiten, wenn er eine solche Situation vorhersehen kann. Wird er dagegen unvorhergesehen krank, gereicht ihm eine unterbleibende Einschaltung eines Vertreters nicht zum Verschulden, wenn ihm diese weder möglich noch zumutbar war. Daran gemessen hat die Antragstellerin die Voraussetzungen eines fehlenden Verschuldens nicht dargetan. Soweit sie geltend macht, ihr Verfahrensbevollmächtigter habe die Akten wegen seiner Erkrankung im Zeitraum seit Anfang November 2020 bis zum Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist nicht einsehen können, war ihm jedenfalls ab seiner erstmaligen, zunächst bis zum 14.12.2020 reichenden Krankschreibung vom 26.11.2020 also deutlich vor Ablauf der hier zu beachtenden Rechtsmittelfristen die Möglichkeit eines mehrere Wochen andauernden Ausfalls bekannt. Warum dennoch die Bestellung eines Vertreters unterblieb (vgl. § 53 Abs. 1 BRAO), ist dem Wiedereinsetzungsantrag nicht zu entnehmen.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Erforderliche Zustimmung des Gegners zum zweiten Verlängerungsantrag
BGH vom 25.08.2021 - XII ZB 172/20
Wera Ahn-Roth, FamRB 2022, 24

Auch nachzulesen im Aktionsmodul Familienrecht:
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