Prüfungspflicht des Architekten gegenüber dem Sonderfachmann
LG Flensburg v. 1.4.2022 - 2 O 305/17Die Klägerin ließ einen Handelsmarkt nebst Parkplatz neu errichten. Sie beauftragte hierzu die Beklagten zu 1) bis 3) mit den Grundleistungen entsprechend den Leistungsphasen 1 bis 9 HOAI. Im Januar 2012 erstellten die Beklagten zu 4) bis 6) ein Baugrundgutachten. Am 30.10.2012 nahmen sie weitere Bohrungen vor. Das Gelände fällt in einer Richtung steil ab. Um eine hinreichend große und ebene Parkplatzfläche herzustellen, wurde das Gelände teilweise aufgeschüttet. Am Ende der aufgeschütteten Fläche war eine Absicherung des Hanges erforderlich. Diese sollte zunächst durch eine Ortbetonwinkelstützwand erfolgen. Nach Vorliegen der Bodenuntersuchungen entschied sich die Klägerin, an Stelle einer Winkelstützwand eine Gabionenstützwand errichten zu lassen. Sie beauftragte die Beklagte zu 4) mit der Erstellung der Statik der Gabionenstützwand.
Die Beklagte zu 4) legte am 8.4.2013 die Statik vor. Während der Bauphase im Mai 2013 stellte das ausführende Unternehmen im Bereich der Gabionenstützwand Mutterboden fest. Auf Anweisung der Beklagten zu 4) wurde daher der Aushub 1 m tiefer vorgenommen als ursprünglich vorgesehen. Außerdem wurden im mittleren Gabionenabschnitt um 90° gedrehte Gabionenkörbe als Gründungsebene eingebaut. Ebenfalls noch während der Bauphase kam es zu dem streitgegenständlichen Schadensereignis. In der Nacht vom 9. auf den 10.7.2013 bewegte sich die zu diesem Zeitpunkt 6,6 m hohe und 80 m lange Gabionenstützwand bis zu ca. 2 m nach vorne, sackte bis zu 1,5 m ab und neigte sich bis zu 18,5° zur Vertikalen in den Hang hinein. Die Gabionenstützwand wurde daraufhin zurückgebaut und an ihrer Stelle eine KBE (kunststoffbewehrte Erde) - Konstruktion neu errichtet.
Die Klägerin verlangt von den Beklagten nach dem Einsturz einer Gabionenstützwand die Zahlung von Schadensersatz. Das LG wies die Klage gegenüber den Beklagten zu 1) bis 3) ab. Gegenüber den Beklagten zu 4) bis 6) gab es der Klage dem Grunde nach statt.
Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen die Beklagten zu 4) bis 6) gem. §§ 280 Abs. 1, 634 Nr. 4, 633, 631 BGB einen Anspruch auf Ersatz des ihr infolge des Zusammenbruchs der Gabionenstützwand entstandenen Schadens, dessen Höhe durch weitere Beweisaufnahmen festzustellen ist. Die Leistung der Beklagten zu 4) war mangelhaft i.S.d. § 633 BGB. Zwischen der Klägerin und den Beklagten zu 4) bis 6) ist dies hinsichtlich der unzureichenden Baugrunderkundungen bereits unstreitig.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 1) keinen Schadensersatzanspruch gem. §§ 280 Abs. 1, 634 Nr. 4, 633, 631 BGB. Selbst dann, wenn die von der Beklagten zu 1) zu erbringende Objektplanung auch die Gabionenstützwand betraf, hätten ihr die Fehler der Beklagten zu 4) in diesem Zusammenhang nicht auffallen müssen. Denn ein Architekt darf sich grundsätzlich auf die Fachkenntnisse eines Sonderfachmannes verlassen und braucht diesen im Allgemeinen nicht zu überprüfen. Der Architekt ist verpflichtet, auf die Einschaltung eines Sonderfachmannes hinzuwirken, soweit Spezialkenntnisse erforderlich sind, über die er selbst nicht verfügt. Er hat hierbei auf die Auswahl eines zuverlässigen Sonderfachmannes zu achten und diesem zutreffende Vorgaben zu machen. Eine Kontrollpflicht des Architekten gegenüber dem Sonderfachmann besteht nur insoweit, als die hierfür erforderlichen Kenntnisse auch von einem Architekten zu erwarten sind.
Maßgeblich ist, ob der Architekt die erforderlichen Kenntnisse hatte, haben musste oder sich ihm offensichtliche Fehler aufdrängen mussten. Entsprechend muss der Architekt jedenfalls überprüfen, ob die Ausgangsdaten zutreffend sind, die der Sonderfachmann seiner Leistung zu Grunde legt. Entscheidend ist, ob dem Architekten eine Überprüfung möglich und zumutbar war und ob sich ihm dabei Bedenken aufdrängen mussten.
Im vorliegenden Fall bestanden keine Zweifel daran, dass es sich bei der Beklagten zu 4) grundsätzlich um ein zuverlässiges Unternehmen handelte, das geeignet war, sowohl das Bodengutachten als auch die Statik zu erstellen. Auch beruhte der festgestellte Fehler nicht auf fehlerhaften Vorgaben der Beklagten zu 1). Maßgeblich war vielmehr, ob die Beklagte zu 1) hätte erkennen müssen, dass die Bodenuntersuchungen weder an der richtigen Stelle noch in ausreichender Tiefe durchgeführt wurden, um aussagekräftige Ergebnisse hinsichtlich des für die Standfestigkeit der Gabionenstützwand relevanten Erdreichs zu erhalten. Die Kammer hatte die Frage, ob es sich um einen für einen Architekten erkennbaren Fehler handelte, sowohl von einem geotechnischen Sachverständigen als auch von dem Hochbauarchitekten beurteilen lassen. Beide kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass dies nicht der Fall war. Nach eingehender Abwägung hat sich auch die Kammer diesem Ergebnis angeschlossen.
Aufsätze
Prof. Dr. Günter Schmeel
Aktuelle Entwicklungen im Architekten- und Ingenieurrecht
MDR 2021, 713
Aktionsmodul Zivilrecht
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