Räum- und Streupflicht kann auch bei lokaler Glättegefahr bestehen
KG Berlin v. 6.12.2022 - 21 U 56/22
Der Sachverhalt:
Die 1951 geborene Klägerin war am 19.12.2020, gegen 11 Uhr auf dem Weg zu einem Coronatest in einer Klinik in Berlin gestürzt und hat dadurch eine Quadrizepssehnenruptur am rechten Bein erlitten. Sie behauptete die Wege auf dem gesamten Gelände seien infolge von Glatteis sehr rutschig und nicht gestreut gewesen. Außerdem habe an dem Tag in Berlin allgemeine Glätte geherrscht. Auf dem Klinikgelände sei sie auf einem Gehweg ausgerutscht. Es habe in diesem Bereich für sie keine Möglichkeit gegeben, den rutschigen Gehweg zu verlassen.
Die Beklagte erbringt gewerblich Winterdienste. Sie hat insbesondere bestritten, dass am Tag des Unfalls in Berlin allgemeine Glätte geherrscht habe. Die Klägerin hat u.a. ein Schmerzensgeld von 20.000 € sowie einen Haushaltsführungsschaden von 3.360 € geltend gemacht.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das KG die Entscheidung abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von 5.404 € an die Klägerin verurteilt.
Die Gründe:
Der Klägerin steht ein Anspruch gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 1 BGB zu. Die Beklagte hat die von ihr auf dem Klinikgelände übernommene Verkehrssicherungspflicht verletzt, indem sie rutschige Glatteisflächen auf den dortigen Wegen zur Zeit des Unfalls der Klägerin nicht gestreut hatte.
Die Beklagte war im Winterhalbjahr, also auch am Tag des Unfalls der Klägerin, streu- und räumpflichtig auf dem Gelände der Klinik in Berlin. Eine solche Streupflicht besteht für den Verkehrssicherungspflichtigen auch im Winterhalbjahr nicht jederzeit, sondern nur wenn entweder allgemeine Glätte herrscht oder wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jedenfalls im Bereich der Flächen, auf die sich die Verkehrssicherungspflicht bezieht, aufgrund vereinzelter Glättestellen eine ernsthaft drohende Gefahr für Dritte besteht (im Folgenden: ernsthafte lokale Glättegefahr, vgl. BGH-Urt. vom 14.2.2017, VI ZR 254/16; Urt. V. 12.6.2012, VI ZR 138/11).
Im vorliegenden Fall konnte die zwischen den Parteien umstrittene Frage dahinstehen, ob in Berlin im Zeitpunkt des Unfalls der Klägerin eine allgemeine Glätte herrschte. Denn nach Abschluss der Beweisaufnahme stand zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Beklagte zu dieser Zeit auf dem Klinikgelände streupflichtig war, weil dort jedenfalls eine ernsthafte lokale Glättegefahr bestand. Wann eine Streupflicht unabhängig vom Vorliegen einer allgemeinen Glätte aufgrund einer ernsthaften lokalen Glättegefahr besteht, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei kommt es stets auf den Pflichtenmaßstab an, der an den primär Verkehrssicherungspflichtigen zu stellen ist, der den Verkehr auf der in Rede stehenden Fläche eröffnet hat. Dieser Maßstab gilt auch für einen Dritten, auf den der primär Verkehrssicherungspflichtige die Räum- und Streupflicht übertragen hat.
Entscheidend im vorliegenden Fall war allein, dass auf dem Klinikgelände, auf dem die Beklagte die Streupflicht übernommen hatte, sämtliche Wege, die von der öffentlichen Straße und dem Parkplatz zu den Klinikgebäuden führten, weitgehend vereist und deshalb rutschig waren. Es war unerheblich, dass der Betrieb des Krankenhauses seinerzeit wegen der Corona-Pandemie eingeschränkt bzw. modifiziert war. Denn das Krankenhaus war trotzdem grundsätzlich geöffnet und musste deshalb mit Publikumsverkehr rechnen.
Es gab schließlich auch keinen Grund, den dem Grunde nach bestehenden Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 823 Abs. 1 BGB wegen eines Mitverschuldens (§ 254 BGB) zu kürzen. Zwar kommt dies bei Glatteisunfällen grundsätzlich in Betracht, wenn der Verletzte vor seinem Sturz die Glatteisstelle erkannt hat und ihr hätte ausweichen können. Die Klägerin hatte vorgetragen, dass es in dem Bereich, in dem sie gestürzt war, keine Ausweichmöglichkeit gab, um den Weg zu umgehen. Aufgrund dessen hätte es der Beklagten oblegen, eine für die Klägerin damals erkennbare Ausweichmöglichkeit im Einzelnen darzulegen, was nicht geschehen ist.
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Aufsatz
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Berliner Vorschriften- und Rechtsprechungsdatenbank
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Die Beklagte erbringt gewerblich Winterdienste. Sie hat insbesondere bestritten, dass am Tag des Unfalls in Berlin allgemeine Glätte geherrscht habe. Die Klägerin hat u.a. ein Schmerzensgeld von 20.000 € sowie einen Haushaltsführungsschaden von 3.360 € geltend gemacht.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das KG die Entscheidung abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von 5.404 € an die Klägerin verurteilt.
Die Gründe:
Der Klägerin steht ein Anspruch gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 1 BGB zu. Die Beklagte hat die von ihr auf dem Klinikgelände übernommene Verkehrssicherungspflicht verletzt, indem sie rutschige Glatteisflächen auf den dortigen Wegen zur Zeit des Unfalls der Klägerin nicht gestreut hatte.
Die Beklagte war im Winterhalbjahr, also auch am Tag des Unfalls der Klägerin, streu- und räumpflichtig auf dem Gelände der Klinik in Berlin. Eine solche Streupflicht besteht für den Verkehrssicherungspflichtigen auch im Winterhalbjahr nicht jederzeit, sondern nur wenn entweder allgemeine Glätte herrscht oder wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jedenfalls im Bereich der Flächen, auf die sich die Verkehrssicherungspflicht bezieht, aufgrund vereinzelter Glättestellen eine ernsthaft drohende Gefahr für Dritte besteht (im Folgenden: ernsthafte lokale Glättegefahr, vgl. BGH-Urt. vom 14.2.2017, VI ZR 254/16; Urt. V. 12.6.2012, VI ZR 138/11).
Im vorliegenden Fall konnte die zwischen den Parteien umstrittene Frage dahinstehen, ob in Berlin im Zeitpunkt des Unfalls der Klägerin eine allgemeine Glätte herrschte. Denn nach Abschluss der Beweisaufnahme stand zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Beklagte zu dieser Zeit auf dem Klinikgelände streupflichtig war, weil dort jedenfalls eine ernsthafte lokale Glättegefahr bestand. Wann eine Streupflicht unabhängig vom Vorliegen einer allgemeinen Glätte aufgrund einer ernsthaften lokalen Glättegefahr besteht, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei kommt es stets auf den Pflichtenmaßstab an, der an den primär Verkehrssicherungspflichtigen zu stellen ist, der den Verkehr auf der in Rede stehenden Fläche eröffnet hat. Dieser Maßstab gilt auch für einen Dritten, auf den der primär Verkehrssicherungspflichtige die Räum- und Streupflicht übertragen hat.
Entscheidend im vorliegenden Fall war allein, dass auf dem Klinikgelände, auf dem die Beklagte die Streupflicht übernommen hatte, sämtliche Wege, die von der öffentlichen Straße und dem Parkplatz zu den Klinikgebäuden führten, weitgehend vereist und deshalb rutschig waren. Es war unerheblich, dass der Betrieb des Krankenhauses seinerzeit wegen der Corona-Pandemie eingeschränkt bzw. modifiziert war. Denn das Krankenhaus war trotzdem grundsätzlich geöffnet und musste deshalb mit Publikumsverkehr rechnen.
Es gab schließlich auch keinen Grund, den dem Grunde nach bestehenden Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 823 Abs. 1 BGB wegen eines Mitverschuldens (§ 254 BGB) zu kürzen. Zwar kommt dies bei Glatteisunfällen grundsätzlich in Betracht, wenn der Verletzte vor seinem Sturz die Glatteisstelle erkannt hat und ihr hätte ausweichen können. Die Klägerin hatte vorgetragen, dass es in dem Bereich, in dem sie gestürzt war, keine Ausweichmöglichkeit gab, um den Weg zu umgehen. Aufgrund dessen hätte es der Beklagten oblegen, eine für die Klägerin damals erkennbare Ausweichmöglichkeit im Einzelnen darzulegen, was nicht geschehen ist.
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