Recht zum Rücktritt vom Vertrag zugunsten Dritter steht Versprechensempfänger und nicht Drittem zu
BGH v. 9.12.2022 - V ZR 68/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Nachlassverwalter über den Nachlass der am 24.4.2017 verstorbenen Erblasserin. Deren drei Kinder schlugen die Erbschaft aus. Die Erblasserin war Erbbauberechtigte an einem Grundstück. Am 10.3.2017 schloss sie mit dem Beklagten einen notariellen Erbbaurechts-Überlassungsvertrag (Vertrag). Als Gegenleistung sollte der Beklagte an die Erblasserin eine monatliche Leibrente zahlen. Eine weitere Zahlung von 150.000 € war drei Monate nach dem Ableben der Erblasserin zu gleichen Teilen an ihre drei Kinder zu leisten, denen gem. § 328 BGB ein direkter Anspruch gegen den Beklagten zustehen sollte. Außerdem verpflichtete sich der Beklagte, die laufende Zahlung auf verschiedene mit einer Grundschuld gesicherte Darlehen zu übernehmen. Am 21.3.2017 wurde zur Sicherung des Anspruchs des Beklagten auf Übertragung des Erbbaurechts eine Vormerkung in das Grundbuch eingetragen.
Nachdem der Beklagte in der Folgezeit die nach dem Tod der Erblasserin geschuldeten 150.000 € nicht gezahlt hatte, erklärte der Kläger nach fruchtlosem Ablauf einer Nachfrist mehrfach den Rücktritt von dem Vertrag und forderte den Beklagten erfolglos auf, eine notarielle Löschungsbewilligung im Hinblick auf die Vormerkung abzugeben. Den Beschluss vom 2.9.2020, mit dem das Nachlassgericht eine der Rücktrittserklärungen genehmigte, focht der Beklagte an.
Mit der Klage verlangt der Kläger von dem Beklagten - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - die Zustimmung zur Löschung der Vormerkung. Der Beklagte beruft sich auf ein Zurückbehaltungsrecht und beantragt mit seiner Hilfswiderklage für den Fall, dass der Kläger mit seiner Rücktrittserklärung durchdringt, diesen Zug um Zug zur Zahlung eines Betrages i.H.v. rd. 175.000 € zu verurteilen.
Das LG gab der Klage statt und wies die Hilfswiderklage ab. Das OLG wies die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Die Begründung des OLG trägt die Abweisung der auf Zustimmung zur Löschung der Vormerkung gerichteten Klage nicht.
Ein Anspruch aus § 894 BGB setzt voraus, dass der Inhalt des Grundbuchs mit der wirklichen Rechtslage nicht in Einklang steht. Da es sich bei der Vormerkung um ein streng akzessorisches Sicherungsmittel eigener Art handelt, ist das Grundbuch in Ansehung einer eingetragenen Vormerkung unrichtig, wenn der durch die Vormerkung gesicherte Anspruch nicht (mehr) besteht. Es kommt deshalb entscheidend darauf an, ob der Kläger wirksam von dem Vertrag zurückgetreten ist. Entgegen der Auffassung des OLG fehlt es hier an der Genehmigungsbedürftigkeit des Rücktritts von dem Vertrag vom 10.3.2017. Das in § 1812 BGB (vgl. auch § 1849 BGB in der ab dem 1.1.2023 geltenden Fassung) für bestimmte Verfügungen vorgesehene Genehmigungserfordernis besteht bei der Nachlassverwaltung nicht.
Die Entscheidung des OLG stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Wie das OLG ohne Rechtsfehler ausführt, liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Rücktritt nach § 323 Abs. 1 BGB im Ausgangspunkt vor. Der Vertrag vom 10.3.2017 ist ein gegenseitiger Vertrag im Sinne dieser Vorschrift. Nach den Feststellungen des OLG hat der Beklagte die im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Pflicht zur Zahlung der 150.000 € an die Kinder der Erblasserin trotz Nachfristsetzung nicht erfüllt. Der Rücktritt ist des Weiteren nicht deshalb unwirksam, weil es sich bei dem Vertrag vom 10.3.2017 um einen Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 Abs. 1 BGB) handelt und die Rücktrittserklärungen von dem Kläger, der als Nachlassverwalter die Rechte der Erbin der Versprechensempfängerin (der Erblasserin) wahrnimmt, und nicht von den begünstigten Kindern der Erblasserin abgegeben wurden. Ebensowenig hat es auf die Wirksamkeit des Rücktritts Einfluss, dass die Begünstigten als "Dritte" i.S.d. § 328 Abs. 1 BGB möglicherweise dem Rücktritt nicht zugestimmt haben. Letzteres hat das OLG zu Recht offengelassen, weil es hierauf nicht ankommt.
Das Recht, im Falle von Leistungsstörungen von dem Vertrag zurückzutreten (hier: gem. § 323 Abs. 1 BGB), steht bei einem Vertrag zugunsten Dritter grundsätzlich dem Versprechensempfänger und nicht dem Dritten zu. Auch eine Zustimmung des Dritten ist zur Wirksamkeit des Rücktritts nicht erforderlich, selbst wenn das Recht des Dritten unwiderruflich ist. Nicht ausgeschlossen ist allerdings eine Vereinbarung zwischen Versprechensempfänger und Versprechendem, dass das Rücktrittsrecht dem Dritten zustehen soll. Möglich ist es zudem, dass der Versprechensempfänger sein Rücktrittsrecht an den Dritten abtritt oder diesen zur Ausübung des Rücktrittsrechts ermächtigt.
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Kommentierung | BGB
§ 328 Vertrag zugunsten Dritter
Bayer in Erman, BGB, 16./17. Aufl. 2020/2023
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§ 323 Rücktritt wegen nicht oder nicht vertragsgemäß erbrachter Leistung
Ulber in Erman, BGB, 16./17. Aufl. 2020/2023
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Der Kläger ist Nachlassverwalter über den Nachlass der am 24.4.2017 verstorbenen Erblasserin. Deren drei Kinder schlugen die Erbschaft aus. Die Erblasserin war Erbbauberechtigte an einem Grundstück. Am 10.3.2017 schloss sie mit dem Beklagten einen notariellen Erbbaurechts-Überlassungsvertrag (Vertrag). Als Gegenleistung sollte der Beklagte an die Erblasserin eine monatliche Leibrente zahlen. Eine weitere Zahlung von 150.000 € war drei Monate nach dem Ableben der Erblasserin zu gleichen Teilen an ihre drei Kinder zu leisten, denen gem. § 328 BGB ein direkter Anspruch gegen den Beklagten zustehen sollte. Außerdem verpflichtete sich der Beklagte, die laufende Zahlung auf verschiedene mit einer Grundschuld gesicherte Darlehen zu übernehmen. Am 21.3.2017 wurde zur Sicherung des Anspruchs des Beklagten auf Übertragung des Erbbaurechts eine Vormerkung in das Grundbuch eingetragen.
Nachdem der Beklagte in der Folgezeit die nach dem Tod der Erblasserin geschuldeten 150.000 € nicht gezahlt hatte, erklärte der Kläger nach fruchtlosem Ablauf einer Nachfrist mehrfach den Rücktritt von dem Vertrag und forderte den Beklagten erfolglos auf, eine notarielle Löschungsbewilligung im Hinblick auf die Vormerkung abzugeben. Den Beschluss vom 2.9.2020, mit dem das Nachlassgericht eine der Rücktrittserklärungen genehmigte, focht der Beklagte an.
Mit der Klage verlangt der Kläger von dem Beklagten - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - die Zustimmung zur Löschung der Vormerkung. Der Beklagte beruft sich auf ein Zurückbehaltungsrecht und beantragt mit seiner Hilfswiderklage für den Fall, dass der Kläger mit seiner Rücktrittserklärung durchdringt, diesen Zug um Zug zur Zahlung eines Betrages i.H.v. rd. 175.000 € zu verurteilen.
Das LG gab der Klage statt und wies die Hilfswiderklage ab. Das OLG wies die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Die Begründung des OLG trägt die Abweisung der auf Zustimmung zur Löschung der Vormerkung gerichteten Klage nicht.
Ein Anspruch aus § 894 BGB setzt voraus, dass der Inhalt des Grundbuchs mit der wirklichen Rechtslage nicht in Einklang steht. Da es sich bei der Vormerkung um ein streng akzessorisches Sicherungsmittel eigener Art handelt, ist das Grundbuch in Ansehung einer eingetragenen Vormerkung unrichtig, wenn der durch die Vormerkung gesicherte Anspruch nicht (mehr) besteht. Es kommt deshalb entscheidend darauf an, ob der Kläger wirksam von dem Vertrag zurückgetreten ist. Entgegen der Auffassung des OLG fehlt es hier an der Genehmigungsbedürftigkeit des Rücktritts von dem Vertrag vom 10.3.2017. Das in § 1812 BGB (vgl. auch § 1849 BGB in der ab dem 1.1.2023 geltenden Fassung) für bestimmte Verfügungen vorgesehene Genehmigungserfordernis besteht bei der Nachlassverwaltung nicht.
Die Entscheidung des OLG stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Wie das OLG ohne Rechtsfehler ausführt, liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Rücktritt nach § 323 Abs. 1 BGB im Ausgangspunkt vor. Der Vertrag vom 10.3.2017 ist ein gegenseitiger Vertrag im Sinne dieser Vorschrift. Nach den Feststellungen des OLG hat der Beklagte die im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Pflicht zur Zahlung der 150.000 € an die Kinder der Erblasserin trotz Nachfristsetzung nicht erfüllt. Der Rücktritt ist des Weiteren nicht deshalb unwirksam, weil es sich bei dem Vertrag vom 10.3.2017 um einen Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 Abs. 1 BGB) handelt und die Rücktrittserklärungen von dem Kläger, der als Nachlassverwalter die Rechte der Erbin der Versprechensempfängerin (der Erblasserin) wahrnimmt, und nicht von den begünstigten Kindern der Erblasserin abgegeben wurden. Ebensowenig hat es auf die Wirksamkeit des Rücktritts Einfluss, dass die Begünstigten als "Dritte" i.S.d. § 328 Abs. 1 BGB möglicherweise dem Rücktritt nicht zugestimmt haben. Letzteres hat das OLG zu Recht offengelassen, weil es hierauf nicht ankommt.
Das Recht, im Falle von Leistungsstörungen von dem Vertrag zurückzutreten (hier: gem. § 323 Abs. 1 BGB), steht bei einem Vertrag zugunsten Dritter grundsätzlich dem Versprechensempfänger und nicht dem Dritten zu. Auch eine Zustimmung des Dritten ist zur Wirksamkeit des Rücktritts nicht erforderlich, selbst wenn das Recht des Dritten unwiderruflich ist. Nicht ausgeschlossen ist allerdings eine Vereinbarung zwischen Versprechensempfänger und Versprechendem, dass das Rücktrittsrecht dem Dritten zustehen soll. Möglich ist es zudem, dass der Versprechensempfänger sein Rücktrittsrecht an den Dritten abtritt oder diesen zur Ausübung des Rücktrittsrechts ermächtigt.
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