30.08.2022

Reitunfall: Wer haftet für die Heilbehandlungskosten eines schwerverletzten Kindes?

In denjenigen Fällen, in denen zwischen mehreren Schädigern ein Gesamtschuldverhältnis besteht, können Ansprüche des Geschädigten gegen einen Gesamtschuldner (Zweitschädiger) auf denjenigen Betrag beschränkt sein, der auf diesen im Innenverhältnis zu dem anderen Gesamtschuldner (Erstschädiger) endgültig entfiele, wenn die Schadensverteilung nach § 426 BGB nicht durch eine sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung des Erstschädigers gestört wäre.

LG Meiningen v. 19.8.2022 - 1 O 978/21
Der Sachverhalt:
Im Oktober 2018 war der zum Unfallzeitpunkt vierjährige Geschädigte von einer im Eigentum des Beklagten stehenden, elf Jahre alten Pinto-Stute abgeworfen worden, wobei er durch einen Tritt des Pferdes schwer verletzt wurde. Zuvor hatten die Mutter und die Tante des Geschädigten das Pferd mit Zustimmung des Beklagten von dessen Koppel geholt, es geputzt und waren zum gemeinsamen Spazierengehen aufgebrochen. Während des Spaziergangs auf einem Feldweg hob die Mutter den Geschädigten auf das Pferd. Dieser benutzte keinen Sattel und hielt sich an der Mähne des Pferdes fest. Er kannte das Pferd und hatte bereits in der Vergangenheit auf diesem gesessen bzw. war auf diesem geführt worden.

Auf dem Rückweg, etwa 200 m vom Hof des Beklagten entfernt, ließ die Mutter das Pferd auf Wunsch des Geschädigten leicht traben und joggte nebenher. Auf Höhe einer Hecke am linken Wegesrand brach das Pferd nach rechts aus und begann zu "buckeln". Der Geschädigte konnte sich nicht auf dem Pferd halten und wurde abgeworfen. Mit einem Hinterhuf trat die Stute sodann in den Bauch des am Boden liegenden Geschädigten. Hierbei zog sich der Geschädigte Verletzungen zu, die umfangreiche Heilbehandlungsmaßnahmen nach sich zogen, welche von der Klägerin i.H.v. insgesamt 31.096 € bezahlt wurden.

Die Tierhalterhaftpflichtversicherung des Beklagten wies die klägerseits ihr gegenüber geltend gemachten Zahlungsansprüche vollumfänglich zurück. Fortan verfolgte die Klägerin ihre Ansprüche gerichtlich gegenüber dem Beklagten weiter. Sie war der Ansicht, der Beklagte sei ihr als Halter des streitgegenständlichen Pferds zum Schadensersatz verpflichtet. Bei dem Unfall habe sich die typische Tiergefahr verwirklicht. Eine Aufsichtsverletzung der Mutter, die sich der Geschädigte oder die Klägerin anrechnen lassen müsse, sei nicht ersichtlich.

Das LG gab der Klage i.H.v. rund 10.352 € statt. Im Übrigen wies es die Klage ab.

Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz gem. § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X in Verbindung mit §§ 833, 823 Abs. 1 BGB.

Der Beklagte haftet dem Geschädigten gegenüber aus § 833 S. 1 BGB. Gem. § 116 Abs. 1 SGB X geht ein auf anderen gesetzlichen Vorschriften beruhender Anspruch auf Ersatz eines Schadens auf den Versicherungsträger über, soweit dieser auf Grund des Schadensereignisses Sozialleistungen zu erbringen hat, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadenersatz beziehen. Mithin sind die oben genannten Schadensersatzansprüche des Geschädigten gegen den Beklagten auf seine gesetzliche Krankenversicherung - die Klägerin - übergegangen, welche die Heilbehandlungskosten des Geschädigten bezahlt hat.

Die auf die Klägerin übergegangenen Ansprüche des Geschädigten sind allerdings um einen erheblichen Verantwortungsteil der Mutter zu kürzen. Ein eigenes (Mit-)Verschulden des zum Unfallzeitpunkt vierjährigen Geschädigten scheidet mangels eigener Verantwortlichkeit (§ 828 Abs. 1 BGB) aus. Die Anrechnung eines Verschuldens der Mutter folgt zunächst in Ermangelung einer rechtlichen Sonderverbindung zwischen dem Geschädigten und dem Beklagten nicht aus § 278 BGB. Auch eine Zurechnung über § 831 BGB kommt nicht in Betracht, da die Mutter als Erziehungsberechtigte des Geschädigten nicht dessen Erfüllungsgehilfin ist.

Die Klageansprüche sind allerdings nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldnerausgleichs um den Verantwortungsteil der Mutter zu kürzen. In denjenigen Fällen, in denen zwischen mehreren Schädigern ein Gesamtschuldverhältnis besteht, können Ansprüche des Geschädigten gegen einen Gesamtschuldner (Zweitschädiger) auf denjenigen Betrag beschränkt sein, der auf diesen im Innenverhältnis zu dem anderen Gesamtschuldner (Erstschädiger) endgültig entfiele, wenn die Schadensverteilung nach § 426 BGB nicht durch eine sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung des Erstschädigers gestört wäre. Die Beschränkung der Haftung des Zweitschädigers beruht dabei auf dem Gedanken, dass einerseits die haftungsrechtliche Privilegierung nicht durch eine Heranziehung im Gesamtschuldnerausgleich unterlaufen werden soll, es aber andererseits bei Mitberücksichtigung des Grundes der Haftungsprivilegierung, nämlich der anderweitigen Absicherung des Geschädigten durch eine gesetzliche Unfallversicherung, nicht gerechtfertigt wäre, den Zweitschädiger den Schaden alleine tragen zu lassen.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist der Zweitschädiger in Höhe des Verantwortungsteils freizustellen, der auf den Erstschädiger im Innenverhältnis entfiele, wenn man seine Haftungsprivilegierung hinweg denkt. Dabei ist unter Verantwortungsteil die Zuständigkeit für die Schadensverhütung und damit der Eigenanteil des betreffenden Schädigers an der Schadensentstehung zu verstehen. Der Beklagte und die Mutter haften dem Geschädigten gegenüber als Gesamtschuldner. Aufgrund des Umstands, dass Ansprüche des Geschädigten gegen die Mutter wegen der Haftungsprivilegierung des § 116 Abs. 6 SGB X nicht gem. § 116 Abs. 1 SGB X auf die Klägerin übergehen konnten und Letztere solche Ansprüche dementsprechend nicht gegenüber der Mutter geltend machen kann, ist ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten um einen etwaigen Verantwortungsteil der Mutter zu kürzen.

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