28.05.2024

Rückführung des Kindes zum Vater nach Israel ist rechtmäßig

Der Rückführung eines von einem Elternteil nach Deutschland entführten minderjährigen Kindes nach Israel nach den Bestimmungen des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25. Oktober 1980 (HKÜ) steht in Bezug auf die derzeitige Sicherheitslage in Israel die Vorschrift des Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ nicht entgegen. Die in dem Herkunftsstaat herrschenden generellen Lebensbedingungen gehören zum allgemeinen Lebensrisiko, das in der Regel hinzunehmen sein wird.

OLG Stuttgart v. 23.5.2024 - 17 UF 71/24
Der Sachverhalt:
Der Antragsteller ist griechischer Staatsangehöriger, die Antragsgegnerin ist deutsche Staatsangehörige. Sie hatten 2019 in Deutschland geheiratet. Damals lebten sie zunächst gemeinsam in den USA. Im Oktober bzw. November 2020 zogen sie nach Israel, da der Antragsteller dort einen Lehrauftrag an einer Hochschule bekam. Auch die Antragsgegnerin war, jedenfalls von Mai 2021 bis Februar 2023, in Israel berufstätig. Im Jahr 2023 kam dort die gemeinsame Tochter M. zur Welt, die die griechische Staatsangehörigkeit besitzt.

Am 15.10.2023 unterzeichnete der Antragsteller eine Reisevollmacht, mit der er die Antragsgegnerin, die aus Kirgisistan stammt, ermächtigte, am 17.10.2023 mit der Tochter nach Kirgisistan zu ihrer Familie auszureisen. Die Vollmacht war befristet bis zum 31.1.2024. Am 12.1.2024 kehrten beide nach Israel zurück. In der Folgezeit erklärte die Antragsgegnerin dem Antragsteller, dass sie den Pass der Tochter für einen Arzttermin benötige. Der Antragsteller gab ihr den Pass, den er in seinem Büro in der Universität aufbewahrt hatte. Am 6.2.2024 flog die Antragsgegnerin ohne Kenntnis des Antragstellers mit der Tochter nach Deutschland. Durch eigene Recherche und Einschaltung der Kriminalpolizei in Deutschland konnte er den aktuellen Aufenthaltsort seiner Tochter und der Antragsgegnerin ermitteln.

Am 7.2.2024 stellte der Antragsteller bei der Zentralen Behörde in Israel einen Rückführungsantrag nach den Bestimmungen des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 (HKÜ). Die Antragsgegnerin war der Ansicht, dass der Rückführung des Kindes nach Israel aufgrund des Krieges und einer bestehenden Gefahr von Massakern und Attentaten die Vorschrift des Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ entgegenstehe. Für das Kind bestehe die schwerwiegende Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens.

Das AG hat dem Rückführungsantrag stattgegeben. Das OLG hat die Entscheidung im Beschwerdeverfahren bestätigt.

Die Gründe:
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rückführungsanordnung nach Art. 12 Abs. 1 HKÜ lagen vor. Die Voraussetzungen des Art. 13 HKÜ für ein Absehen von einer Rückführung des Kindes nach Israel lagen hingegen nicht vor.

Nach Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ ist das Gericht des ersuchten Staates nicht verpflichtet, die Rückgabe des Kindes anzuordnen, wenn die Person, die sich der Rückgabe des Kindes widersetzt, nachweist, dass die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt. Diese Bestimmung ist nach allgemeiner Ansicht unter Berücksichtigung des Zwecks des HKÜ, eine zügige Sorgerechtsentscheidung durch die Gerichte des Staates zu ermöglichen, in dem sich das Kind vor der Entführung mit dem Willen aller Sorgeberechtigter gewöhnlich aufgehalten hat, restriktiv auszulegen. Erforderlich ist daher eine über die mit jeder Rückführung verbundenen Belastungen hinausgehende, besonders schwerwiegende Beeinträchtigung des Kindeswohls. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Senats.

Nach Art. 13 Abs. 1 HKÜ trägt allerdings der Elternteil, der einer Verpflichtung zur Rückführung des Kindes entgegentritt, die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen dieser Bestimmung; insoweit gilt der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26 FamFG) nicht. Dass sich aus der derzeitigen Sicherheitslage in Israel eine schwerwiegende Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind ergeben würde, konnte unter Berücksichtigung der Darlegungs- und Beweislast der Antragsgegnerin nicht festgestellt werden. Erforderlich ist hierbei eine "besonders erhebliche, ganz konkrete und aktuelle" Gefahr. Die in dem Herkunftsstaat herrschenden generellen Lebensbedingungen gehören hingegen zum allgemeinen Lebensrisiko, das in der Regel hinzunehmen sein wird.

Zwar liegt derzeit eine Reisewarnung des Auswärtigen Amts für Israel vor, wonach Israel sich formell im Kriegszustand befinde. Jedoch ist anerkannt, dass eine Reisewarnung für sich genommen noch nicht stets zur Annahme einer schwerwiegenden Gefahr i.S.d. Art. 13 HKÜ bei einer Rückführung eines Kindes in das betreffende Land führen muss. Vielmehr hat für die Gefahrenprognose eine Gesamtbetrachtung zu erfolgen, in die auch weitere Gesichtspunkte einzubeziehen sind. Der mit Geiselnahmen verbundene Anschlag der Hamas vom 7.10.2023 war für die Bewertung inzwischen nicht mehr ausschlaggebend, da eine Wiederholung zukünftig bei realistischer Betrachtung nicht mehr möglich erscheint. Auch der Drohnenangriff vom 14.4.2024 konnte nicht als prägend für die im Wege einer Prognose einzuschätzende künftige Sicherheitslage des Landes angesehen werden.

Letztlich konnte Bei der Prüfung der Frage, ob die maßgebliche Gefährdungsschwelle im vorliegenden Fall erreicht war, nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Sicherheitslage in Israel schon seit langer Zeit angespannt ist (OLG Zweibrücken v. 2.10.2003 - 6 UF 107/03) und dass beide Elternteile 2020 das Risiko, in Israel zu leben, als vertretbar angesehen und sich für einen Aufenthalt dort entschieden hatten. Die einzelnen Anschläge mussten als punktuelle Vorkommnisse und kriminelle Handlungen einzelner Personen angesehen werden. Dies führte zu der Bewertung, dass es sich dabei nicht um eine konkrete, sondern lediglich um eine abstrakte Gefahr handelt.

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