Rückübertragung der elterlichen Sorge auf die Herkunftseltern: Psychologisches Gutachten erforderlich
OLG Frankfurt a.M. v. 3.3.2022 - 6 UF 225/21
Der Sachverhalt:
Das betroffene und im Jahr 2020 geborene Kind ist die zweite Tochter der nicht miteinander verheirateten Kindeseltern, die über das gemeinsame Sorgerecht verfügten. Die ältere Schwester war bereits unmittelbar nach der Geburt in Obhut genommen und die u.a. eingerichtete Amtspflegschaft später gerichtlich bestätigt worden. Auch das betroffene Kind war bereits wenige Tage nach der Geburt gegen den Willen der Eltern in Obhut genommen worden und lebt bei Pflegeeltern. Ein drittes Kind der Eltern lebt seit seiner Geburt bei den Eltern.
Die Pflegeeltern begehrten im Rahmen des familiengerichtlichen Verfahrens die Anordnung des dauerhaften Verbleibs des Kindes bei ihnen. Das für den Aufenthaltsort der Eltern zuständige Jugendamt setzte sich - anders als das am Verfahren beteiligte und für den Aufenthaltsort des Kindes zuständige Jugendamt - für eine Rückführung des Kindes zu seinen Eltern ein; vorbereitend sollten intensivierte Umgänge stattfinden. Der Verfahrensbeistand des Kindes sprach sich gegen eine Rückführung aus.
Das AG sah keine Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung im Fall der Rückübertragung der elterlichen Sorge auf die Herkunftseltern, sodass es von familiengerichtlichen Maßnahmen absah und die beantragte Verbleibensanordnung nicht erließ. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Pflegeeltern und des vormaligen Amtspflegers führten zur Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung des Verfahrens an das AG. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Die Gründe:
Die Entscheidung über die Folgen der Trennung des Kindes von seiner sozialen Familie kann im Hinblick auf die Gestaltung des Verfahrens regelmäßig ohne ein psychologisches Sachverständigengutachten nicht entschieden werden. Für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung des Kindeswohls ist insbesondere die Frage, ob und wenn ja, in welchem Umfang das Kind Bindungen zu seinen Pflegepersonen und deren Umfeld aufgebaut hat und durch einen Abbruch dieser Bindungen in seinem Wohl gefährdet werden würde, umfassend aufzuklären. Zur Beurteilung dieser für das Kind existenziellen Frage hat sich das AG nicht allein auf die Angaben des nicht am Verfahren beteiligten Jugendamtes am Wohnort der Eltern stützen dürfen. Es hätte vielmehr ein psychologisches Sachverständigengutachten einholen müssen. Für das betroffene Kind liegen hier zudem besondere Risikofaktoren vor. Es reagierte besonders sensibel auf Stresssituationen, die teilweise auch pathologische Reaktionen bewirkten.
Es ist deshalb seitens des AG u.a. durch Einholung eines Gutachtens umfassend aufzuklären, ob die Rückführung des Kindes zu seinen Eltern zu einer Kindeswohlgefährdung führen würde und ob die Eltern zur Ausübung des Sorgerechts ohne Gefährdung des Kindeswohls im Stande sind.
Mehr zum Thema:
OLG Frankfurt a.M. PM Nr. 38 vom 3.5.2022
Das betroffene und im Jahr 2020 geborene Kind ist die zweite Tochter der nicht miteinander verheirateten Kindeseltern, die über das gemeinsame Sorgerecht verfügten. Die ältere Schwester war bereits unmittelbar nach der Geburt in Obhut genommen und die u.a. eingerichtete Amtspflegschaft später gerichtlich bestätigt worden. Auch das betroffene Kind war bereits wenige Tage nach der Geburt gegen den Willen der Eltern in Obhut genommen worden und lebt bei Pflegeeltern. Ein drittes Kind der Eltern lebt seit seiner Geburt bei den Eltern.
Die Pflegeeltern begehrten im Rahmen des familiengerichtlichen Verfahrens die Anordnung des dauerhaften Verbleibs des Kindes bei ihnen. Das für den Aufenthaltsort der Eltern zuständige Jugendamt setzte sich - anders als das am Verfahren beteiligte und für den Aufenthaltsort des Kindes zuständige Jugendamt - für eine Rückführung des Kindes zu seinen Eltern ein; vorbereitend sollten intensivierte Umgänge stattfinden. Der Verfahrensbeistand des Kindes sprach sich gegen eine Rückführung aus.
Das AG sah keine Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung im Fall der Rückübertragung der elterlichen Sorge auf die Herkunftseltern, sodass es von familiengerichtlichen Maßnahmen absah und die beantragte Verbleibensanordnung nicht erließ. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Pflegeeltern und des vormaligen Amtspflegers führten zur Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung des Verfahrens an das AG. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Die Gründe:
Die Entscheidung über die Folgen der Trennung des Kindes von seiner sozialen Familie kann im Hinblick auf die Gestaltung des Verfahrens regelmäßig ohne ein psychologisches Sachverständigengutachten nicht entschieden werden. Für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung des Kindeswohls ist insbesondere die Frage, ob und wenn ja, in welchem Umfang das Kind Bindungen zu seinen Pflegepersonen und deren Umfeld aufgebaut hat und durch einen Abbruch dieser Bindungen in seinem Wohl gefährdet werden würde, umfassend aufzuklären. Zur Beurteilung dieser für das Kind existenziellen Frage hat sich das AG nicht allein auf die Angaben des nicht am Verfahren beteiligten Jugendamtes am Wohnort der Eltern stützen dürfen. Es hätte vielmehr ein psychologisches Sachverständigengutachten einholen müssen. Für das betroffene Kind liegen hier zudem besondere Risikofaktoren vor. Es reagierte besonders sensibel auf Stresssituationen, die teilweise auch pathologische Reaktionen bewirkten.
Es ist deshalb seitens des AG u.a. durch Einholung eines Gutachtens umfassend aufzuklären, ob die Rückführung des Kindes zu seinen Eltern zu einer Kindeswohlgefährdung führen würde und ob die Eltern zur Ausübung des Sorgerechts ohne Gefährdung des Kindeswohls im Stande sind.
- AUFSATZ: Die Entwicklung der Rechtsprechung zur elterlichen Sorge und zum Umgangsrecht seit 2020, FuR 2022, 182
- AUFSATZ: Die Reform der Kindesanhörung nach § 159 FamFG - Auswirkungen auf die Praxis, Thomas Kischkel, FamRZ 2021, 1595
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