26.04.2024

Ruhen der elterlichen Sorge als milderes Mittel

Kann dem dringenden Handlungsbedarf auch mit dem Feststellen des Ruhens der elterlichen Sorge gem. § 1674 Abs. 1 BGB und der Einrichtung einer Vormundschaft gem. § 1773 Abs. 1 BGB Genüge getan werden, stellt dies im Vergleich zum Entzug der elterlichen Sorge das mildere Mittel dar. Gem. § 1674 Abs. 1 BGB ruht die elterliche Sorge, wenn das Familiengericht feststellt, dass die Eltern auf längere Zeit die elterliche Sorge tatsächlich nicht ausüben können.

OLG Hamm v. 6.2.2024 - 4 UF 169/23
Der Sachverhalt:
Das hier betroffene Kind (P.) ist 2013 geboren und hat drei Geschwister, von denen zwei älter sind. Bis August 2022 hatte P. ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Haushalt der Kindesmutter und wurde sodann - nach einer anonymen Gefährdungsmeldung und nach Überprüfung durch das Jugendamt - zunächst mit Einverständnis der Kindesmutter in Obhut genommen. Dieses Einverständnis zog die Kindesmutter allerdings wieder zurück und widersprach der Fremdunterbringung.

Im Rahmen des sodann eingeleiteten Hauptsacheverfahrens zur elterlichen Sorge entzog das AG nach Einholung eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens und Anhörung aller Beteiligter - mit Ausnahme des nicht erreichbaren Kindesvaters - den Kindeseltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge und das Recht auf Beantragung von Hilfen zur Erziehung und bestellte das Jugendamt zum Ergänzungspfleger. Hiergegen wandte sich die Kindesmutter mit der Beschwerde, die jedoch zurückgenommen wurde, da der Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter keinen Kontakt zu ihr herstellen und die Beschwerde daher nicht hatte begründen können.

Das Jugendamt beantragte im Wege der einstweiligen Anordnung den Kindeseltern auch die Teilbereiche der elterlichen Sorge betreffend schulische Angelegenheiten und Vermögenssorge zu entziehen und auch insoweit eine Vormundschaft für P. einzurichten. Der Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter hat ausgeführt, ein Entzug der elterlichen Sorge sei nicht erforderlich, es genüge vielmehr, das Ruhen derselben festzustellen gem. § 1674 Abs. 1 BGB. Im Hinblick auf den Umgangsantrag, sei ein Ausschluss nicht erforderlich, da die Kindesmutter ihre elterliche Sorge sowieso nicht ausüben könne und daher Kontakt mit dem Jugendamt aufnehmen müsse, wenn sie einen Umgangskontakt mit P. herstellen wolle.

Der Antrag auf den Entzug von Teilbereichen der elterlichen Sorge im einstweiligen Anordnungsverfahren war vor dem OLG teilweise erfolgreich.

Die Gründe:
Der Antrag auf teilweisen Entzug der elterlichen Sorge war nur insoweit begründet, als das Ruhen der elterlichen Sorge festzustellen war.

Kann dem dringenden Handlungsbedarf auch mit dem Feststellen des Ruhens der elterlichen Sorge gem. § 1674 Abs. 1 BGB und der Einrichtung einer Vormundschaft gem. § 1773 Abs. 1 BGB Genüge getan werden, stellt dies im Vergleich zum Entzug der elterlichen Sorge das mildere Mittel dar. Gem. § 1674 Abs. 1 BGB ruht die elterliche Sorge, wenn das Familiengericht feststellt, dass die Eltern auf längere Zeit die elterliche Sorge tatsächlich nicht ausüben können. Dabei ist eine bloße physische Abwesenheit nicht für ausreichend zu erachten, wenn die Eltern - sei es durch einen Elternteil, sei es durch sonstige Hilfskräfte bei der Ausübung der elterlichen Sorge - ihre Kinder gut versorgt wissen und auf der Grundlage moderner Kommunikationsmittel oder Reisemöglichkeiten auch aus der Ferne Einfluss auf die Ausübung der elterlichen Sorge nehmen können.

Bei langfristiger Abwesenheit von der Familie ist deswegen entscheidend darauf abzustellen, ob dem Elternteil die Möglichkeit verblieben ist, entweder im Wege der Aufsicht oder durch jederzeitige Übernahme der Personen- und Vermögenssorge zur eigenverantwortlichen Ausübung zurückzukehren. Ob dies der Fall ist, hängt entscheidend von den besonderen Umständen des Einzelfalles ab, insbesondere auch davon, welche andere Person der Elternteil mit der Ausübung seines Teils der elterlichen Sorge betraut hat. Nur dann, wenn der Elternteil auf längere Zeit nicht entscheidend in die Ausübung des Sorgerechts eingreifen kann, sei es etwa infolge langfristiger Inhaftierung oder Abwesenheit ohne weitere Kontaktpflege, sei es durch einen Aufenthalt im Ausland ohne Einfluss auf die Ausübung des Sorgerechts, ist das Ruhen der elterlichen Sorge nach § 1674 BGB festzustellen.

Infolgedessen war hier das Ruhen der elterlichen Sorge festzustellen. Die Kindeseltern von P. sind unbekannten Aufenthaltes. Auch P. kennt den Aufenthaltsort ihrer Eltern nicht und hat auch keine gesicherten Kontaktmöglichkeiten zu ihnen. Die Kindesmutter hat sich zudem, auch als sie sich noch in Deutschland aufgehalten hatte, hinsichtlich Absprachen mit dem Jugendamt als unzuverlässig erwiesen. Eine Einbindung der Kindeseltern in Entscheidungen das Kind betreffend war daher nicht möglich. Auch das dringende Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden lag vor, denn insoweit hatte das Jugendamt glaubhaft vorgebracht, dass für P. Entscheidungen zu treffen wären, die ein Zuwarten auf eine eventuelle Rückkehr der Kindeseltern bzw. deren Kontaktaufnahme mit dem Jugendamt unverantwortbar machten.

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