Saldoüberschuss? Rückforderung einer Werklohnvorauszahlung durch den Besteller nach Leistungserbringung durch den Unternehmer
BGH v. 11.7.2024 - VII ZR 127/23
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Rückforderung einer auf eine Vorauszahlungsbürgschaft auf erstes Anfordern von der Klägerin an die Beklagte geleisteten Zahlung. Die Beklagte schloss mit der M. GmbH im Februar 2017 einen Generalunternehmervertrag mit Pauschalpreisvereinbarung, in welchem sich die M. GmbH zur schlüsselfertigen Erstellung eines Lebensmittelmarkts verpflichtete. Die Vertragsparteien vereinbarten, dass die Beklagte eine "Vorauszahlung i.H.d. 400.000 €, zu verrechnen am Ende der Bauzeit, Sicherung gegen Bürgschaft" leisten sollte. Unter dem 9.3.2017 übernahm die Klägerin für alle Ansprüche der Beklagten gegen die M. GmbH auf Rückgewähr der Vorauszahlung bis zu einem Betrag von 400.000 € eine selbstschuldnerische "Vorauszahlungsbürgschaft" mit der Maßgabe, dass die Zahlung auf erstes Anfordern zu erfolgen habe.
Die Beklagte erbrachte die Vorauszahlung in vereinbarter Höhe und zahlte nach Baubeginn auf Abschlagsrechnungen der M. GmbH weitere rd. 800.000 €. Über das Vermögen der M. GmbH wurde im November 2017 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Beklagte kündigte den Generalunternehmervertrag und beauftragte ein Drittunternehmen mit der weiteren Bauausführung. In der Folge begehrte die Beklagte die Zahlung der Bürgschaftssumme von 400.000 € von der Klägerin. Das LG Koblenz verurteilte die Klägerin durch rechtskräftiges Urteil zur Zahlung i.H.v. 400.000 € und stützte seine Entscheidung darauf, dass bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern materielle Einwendungen gegen die Hauptforderung nicht im Anforderungsprozess, sondern im Rückforderungsprozess zu prüfen seien. Daraufhin zahlte die Klägerin an die Beklagte 400.000 €.
Im November 2019 nahm die Klägerin die Beklagte per Klage auf Rückzahlung eines Teilbetrags der gezahlten 400.000 € i.H.v. rd. 90.000 € mit der Begründung in Anspruch, jedenfalls in dieser Höhe bestehe ein Anspruch auf Rückzahlung. Mit rechtskräftigem Urteil vom 25.9.2020 verurteilte das LG die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung. Im vorliegenden Verfahren begehrt die Klägerin die Rückzahlung der weitergehend gezahlten rd. 310.000 €. Sie trägt vor, die geleisteten Zahlungen der Beklagten an die M. GmbH hätten insgesamt den erbrachten Bauleistungen entsprochen, weshalb kein Anspruch auf Rückzahlung der Vorauszahlung gegen die M. GmbH bestehe. Demgegenüber trägt die Beklagte vor, die M. GmbH habe nur Leistungen im Wert von rd. 680.000 € brutto erbracht. Das ergebe sich aus dem vorgelegten Gutachten ihres Privatsachverständigen, der die erbrachten Leistungen nach dem Marktpreisniveau bewertet habe. Eine andere Preisermittlung sei ihr nicht möglich, da dem Generalunternehmervertrag keine Detaileinzelpreise zugrunde gelegen hätten.
LG und OLG gaben der Klage statt und verurteilten die Beklagte zur Zahlung von rd. 310.000 € nebst Zinsen. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Mit der vom OLG gegebenen Begründung kann der Klage nicht stattgegeben werden. Das OLG hat die Darlegungslast im Rahmen der Rückforderung einer Werklohnvorauszahlung verkannt.
Im Rückforderungsprozess des auf erstes Anfordern zur Sicherung einer Werklohnvorauszahlung erfolgreich in Anspruch genommenen Bürgen gegen den Besteller gelten die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Darlegungs- und Beweislast im Prozess zwischen Besteller und Unternehmer über die Rückforderung einer Werklohnvorauszahlung. Nach BGH-Rechtsprechung hat der Besteller in einem solchen Prozess, wenn der Unternehmer Leistungen erbracht hat, zur Begründung des vertraglichen Rückforderungsanspruchs schlüssig die Voraussetzungen eines Saldoüberschusses aus einer Schlussabrechnung vorzutragen. Ausreichend ist eine Abrechnung, aus der sich ergibt, in welcher Höhe der Besteller Voraus- und Abschlagszahlungen geleistet hat und dass diesen Zahlungen ein entsprechender endgültiger Vergütungsanspruch des Unternehmers nicht gegenübersteht. Der Besteller kann sich auf den Vortrag beschränken, der bei zumutbarer Ausschöpfung der ihm zur Verfügung stehenden Quellen seinem Kenntnisstand entspricht. Hat der Besteller nach diesen Grundsätzen ausreichend vorgetragen, muss der Unternehmer darlegen und beweisen, dass er berechtigt ist, die Voraus- und Abschlagszahlungen endgültig zu behalten.
Das hat das OLG nicht hinreichend beachtet. Es hat rechtsfehlerhaft der Beklagten die Darlegungslast für Umstände auferlegt, zu der sie nach Ausschöpfung der ihr zur Verfügung stehenden Quellen und damit ihrem Kenntnisstand keine Angaben machen kann. Welcher Vortrag vom Besteller im Fall der Abrechnung eines gekündigten Pauschalpreisvertrags ohne - hier revisionsrechtlich zu unterstellen - Detailpreisverzeichnis unter zumutbarer Ausschöpfung der ihm zur Verfügung stehenden Quellen verlangt werden kann, um eine Werklohnvorauszahlung zurückzufordern, richtet sich nach den Gesamtumständen, insbesondere nach dem Inhalt des Vertrags und vorvertraglicher Absprachen.
Nach BGH-Rechtsprechung müssen für die Abrechnung eines gekündigten Pauschalpreisvertrags die erbrachten Leistungen dargelegt und von den nicht ausgeführten Leistungen abgegrenzt werden. Die Höhe der Vergütung für die erbrachten Leistungen ist nach dem Verhältnis des Werts der erbrachten Teilleistung zum Wert der nach dem Vertrag geschuldeten Gesamtleistung zu errechnen. Es muss deshalb der Preisansatz für die Teilleistung im Rahmen der vereinbarten Pauschalvergütung dargelegt werden. Soweit der Vertrag kein Detailpreisverzeichnis enthält und Anhaltspunkte aus der Zeit vor Vertragsschluss nicht vorhanden oder nicht ergiebig sind, muss im Nachhinein im Einzelnen dargelegt werden, wie die erbrachten Leistungen unter Beibehaltung des Preisniveaus zu bewerten sind. Die Preise müssen sich also aus der dem Vertrag zugrundeliegenden Kalkulation ableiten.
Die Beklagten hat hier ihrer Darlegungslast genügt. Durch Vorlage des Gutachtens ihres Sachverständigen hat sie die erbrachten Leistungen von den nicht erbrachten Leistungen abgegrenzt. Nach ihrem weiteren Vortrag hat sie mit der M. GmbH eine Pauschalvergütungsvereinbarung ohne Detailpreisverzeichnis geschlossen und auch ansonsten keine Kenntnis von der dieser Vereinbarung zugrundeliegenden Kalkulation der M. GmbH. Auf dieser Grundlage kann von der Beklagten nicht verlangt werden, zu dem Vertragspreisniveau der zu bewertenden Einzelleistungen des Bauvertrages vorzutragen. Das OLG hätte deshalb der Beklagten nicht die Darlegungslast für diese Umstände auferlegen dürfen. Vielmehr oblag es der Klägerin, zu den aus der Kalkulation der M. GmbH und den sich daraus ergebenden Einzelpreisen vorzutragen.
Soweit die Revisionserwiderung geltend macht, der Beklagten sei Vortrag zur Kalkulationsgrundlage zumutbar und möglich, da sie sich an den Insolvenzverwalter über das Vermögen der M. GmbH wenden und eine Abrechnung der erbrachten Leistungen verlangen könne, ist das unzutreffend. Denn im Bürgschaftsrechtsstreit gilt aufgrund der Akzessorietät der Bürgschaft die gleiche Darlegungslastverteilung, als wenn der Rechtsstreit anstelle des Bürgen mit dem Hauptschuldner geführt würde. Der Bürge - hier also die Klägerin - trägt deshalb wie der Hauptschuldner Darlegungslasten und deshalb das Risiko, von dem Hauptschuldner - hier der M. GmbH bzw. deren Insolvenzverwalter - keine Informationen zu erhalten. Dieses Risiko kann der Bürge nicht auf den Gläubiger - hier die Beklagte - abwälzen.
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Die Parteien streiten über die Rückforderung einer auf eine Vorauszahlungsbürgschaft auf erstes Anfordern von der Klägerin an die Beklagte geleisteten Zahlung. Die Beklagte schloss mit der M. GmbH im Februar 2017 einen Generalunternehmervertrag mit Pauschalpreisvereinbarung, in welchem sich die M. GmbH zur schlüsselfertigen Erstellung eines Lebensmittelmarkts verpflichtete. Die Vertragsparteien vereinbarten, dass die Beklagte eine "Vorauszahlung i.H.d. 400.000 €, zu verrechnen am Ende der Bauzeit, Sicherung gegen Bürgschaft" leisten sollte. Unter dem 9.3.2017 übernahm die Klägerin für alle Ansprüche der Beklagten gegen die M. GmbH auf Rückgewähr der Vorauszahlung bis zu einem Betrag von 400.000 € eine selbstschuldnerische "Vorauszahlungsbürgschaft" mit der Maßgabe, dass die Zahlung auf erstes Anfordern zu erfolgen habe.
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Im November 2019 nahm die Klägerin die Beklagte per Klage auf Rückzahlung eines Teilbetrags der gezahlten 400.000 € i.H.v. rd. 90.000 € mit der Begründung in Anspruch, jedenfalls in dieser Höhe bestehe ein Anspruch auf Rückzahlung. Mit rechtskräftigem Urteil vom 25.9.2020 verurteilte das LG die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung. Im vorliegenden Verfahren begehrt die Klägerin die Rückzahlung der weitergehend gezahlten rd. 310.000 €. Sie trägt vor, die geleisteten Zahlungen der Beklagten an die M. GmbH hätten insgesamt den erbrachten Bauleistungen entsprochen, weshalb kein Anspruch auf Rückzahlung der Vorauszahlung gegen die M. GmbH bestehe. Demgegenüber trägt die Beklagte vor, die M. GmbH habe nur Leistungen im Wert von rd. 680.000 € brutto erbracht. Das ergebe sich aus dem vorgelegten Gutachten ihres Privatsachverständigen, der die erbrachten Leistungen nach dem Marktpreisniveau bewertet habe. Eine andere Preisermittlung sei ihr nicht möglich, da dem Generalunternehmervertrag keine Detaileinzelpreise zugrunde gelegen hätten.
LG und OLG gaben der Klage statt und verurteilten die Beklagte zur Zahlung von rd. 310.000 € nebst Zinsen. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Mit der vom OLG gegebenen Begründung kann der Klage nicht stattgegeben werden. Das OLG hat die Darlegungslast im Rahmen der Rückforderung einer Werklohnvorauszahlung verkannt.
Im Rückforderungsprozess des auf erstes Anfordern zur Sicherung einer Werklohnvorauszahlung erfolgreich in Anspruch genommenen Bürgen gegen den Besteller gelten die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Darlegungs- und Beweislast im Prozess zwischen Besteller und Unternehmer über die Rückforderung einer Werklohnvorauszahlung. Nach BGH-Rechtsprechung hat der Besteller in einem solchen Prozess, wenn der Unternehmer Leistungen erbracht hat, zur Begründung des vertraglichen Rückforderungsanspruchs schlüssig die Voraussetzungen eines Saldoüberschusses aus einer Schlussabrechnung vorzutragen. Ausreichend ist eine Abrechnung, aus der sich ergibt, in welcher Höhe der Besteller Voraus- und Abschlagszahlungen geleistet hat und dass diesen Zahlungen ein entsprechender endgültiger Vergütungsanspruch des Unternehmers nicht gegenübersteht. Der Besteller kann sich auf den Vortrag beschränken, der bei zumutbarer Ausschöpfung der ihm zur Verfügung stehenden Quellen seinem Kenntnisstand entspricht. Hat der Besteller nach diesen Grundsätzen ausreichend vorgetragen, muss der Unternehmer darlegen und beweisen, dass er berechtigt ist, die Voraus- und Abschlagszahlungen endgültig zu behalten.
Das hat das OLG nicht hinreichend beachtet. Es hat rechtsfehlerhaft der Beklagten die Darlegungslast für Umstände auferlegt, zu der sie nach Ausschöpfung der ihr zur Verfügung stehenden Quellen und damit ihrem Kenntnisstand keine Angaben machen kann. Welcher Vortrag vom Besteller im Fall der Abrechnung eines gekündigten Pauschalpreisvertrags ohne - hier revisionsrechtlich zu unterstellen - Detailpreisverzeichnis unter zumutbarer Ausschöpfung der ihm zur Verfügung stehenden Quellen verlangt werden kann, um eine Werklohnvorauszahlung zurückzufordern, richtet sich nach den Gesamtumständen, insbesondere nach dem Inhalt des Vertrags und vorvertraglicher Absprachen.
Nach BGH-Rechtsprechung müssen für die Abrechnung eines gekündigten Pauschalpreisvertrags die erbrachten Leistungen dargelegt und von den nicht ausgeführten Leistungen abgegrenzt werden. Die Höhe der Vergütung für die erbrachten Leistungen ist nach dem Verhältnis des Werts der erbrachten Teilleistung zum Wert der nach dem Vertrag geschuldeten Gesamtleistung zu errechnen. Es muss deshalb der Preisansatz für die Teilleistung im Rahmen der vereinbarten Pauschalvergütung dargelegt werden. Soweit der Vertrag kein Detailpreisverzeichnis enthält und Anhaltspunkte aus der Zeit vor Vertragsschluss nicht vorhanden oder nicht ergiebig sind, muss im Nachhinein im Einzelnen dargelegt werden, wie die erbrachten Leistungen unter Beibehaltung des Preisniveaus zu bewerten sind. Die Preise müssen sich also aus der dem Vertrag zugrundeliegenden Kalkulation ableiten.
Die Beklagten hat hier ihrer Darlegungslast genügt. Durch Vorlage des Gutachtens ihres Sachverständigen hat sie die erbrachten Leistungen von den nicht erbrachten Leistungen abgegrenzt. Nach ihrem weiteren Vortrag hat sie mit der M. GmbH eine Pauschalvergütungsvereinbarung ohne Detailpreisverzeichnis geschlossen und auch ansonsten keine Kenntnis von der dieser Vereinbarung zugrundeliegenden Kalkulation der M. GmbH. Auf dieser Grundlage kann von der Beklagten nicht verlangt werden, zu dem Vertragspreisniveau der zu bewertenden Einzelleistungen des Bauvertrages vorzutragen. Das OLG hätte deshalb der Beklagten nicht die Darlegungslast für diese Umstände auferlegen dürfen. Vielmehr oblag es der Klägerin, zu den aus der Kalkulation der M. GmbH und den sich daraus ergebenden Einzelpreisen vorzutragen.
Soweit die Revisionserwiderung geltend macht, der Beklagten sei Vortrag zur Kalkulationsgrundlage zumutbar und möglich, da sie sich an den Insolvenzverwalter über das Vermögen der M. GmbH wenden und eine Abrechnung der erbrachten Leistungen verlangen könne, ist das unzutreffend. Denn im Bürgschaftsrechtsstreit gilt aufgrund der Akzessorietät der Bürgschaft die gleiche Darlegungslastverteilung, als wenn der Rechtsstreit anstelle des Bürgen mit dem Hauptschuldner geführt würde. Der Bürge - hier also die Klägerin - trägt deshalb wie der Hauptschuldner Darlegungslasten und deshalb das Risiko, von dem Hauptschuldner - hier der M. GmbH bzw. deren Insolvenzverwalter - keine Informationen zu erhalten. Dieses Risiko kann der Bürge nicht auf den Gläubiger - hier die Beklagte - abwälzen.
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