Schmerzensgeld ist taggenau zu berechnen
LG Frankfurt a.M. v. 17.7.2019 - 2-24 O 246/16
Der Sachverhalt:
Die Kläger fordern als Erbengemeinschaft Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes aus einem Verkehrsunfall. Der Beklagte holte seine Schwiegermutter und den ihm persönlich bekannten 93 Jahre alten Herrn, der Erblasser der Erbengemeinschaft, mit dem bei der ebenfalls Beklagten pflichthaftversicherten PKW ab. Der Erblasser schnallte sich für die Fahrt nicht an.
Während der anschließenden Autofahrt fiel der Beklagte in Ohnmacht, kam infolgedessen von der Straße ab und prallte ungebremst bei einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 km/h gegen einen Baum. Darauf folgte nach Verletzungen des Erblassers an Ellenbogen, Kniescheibe, Rippen und Hüftpfanne eine Leidenszeit des Erblassers über einige Monate, in denen er mehrmals Aufenthalte im Krankenhaus wegen Operationen oder Rehabilitation verbrachte. Er stürzte noch einige weitere Male, da er inzwischen körperlich stark eingeschränkt war. Fünf Monate nach dem Unfall verstarb der Erblasser.
Die Kläger forderten von der ebenfalls beklagten Haftpflichtversicherung des beklagten Fahrers ein Schmerzensgeld i.H.v. 90.000 €. Die Beklagte hielt ein Schmerzensgeld i.H.v. 30.000 € für angemessen und zahlte dies auch an die Kläger aus. Die Klage richtet sich auf die Zahlung von Schmerzensgeld i.H.v. 90.000 €, die vor dem LG teilweise Erfolg hatte.
Die Gründe:
Die Kläger haben gegen den beklagten Fahrer einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes von weiteren 20.000 € aus § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. §§ 1922 Abs. 1, 2039 Satz 1 BGB.
Ein Anspruch gegen den Beklagten besteht dem Grunde nach ohne Weiteres aus § 7 Abs. 1 StVG. Auf dieser Grundlage bestand ein Anspruch des Erblassers auf Zahlung eines Schmerzensgeldes nach § 11 Satz 2 StVG. Dieser Anspruch ist unstreitig auf die Erbengemeinschaft übergegangen.
Es ist der sog. taggenauen Schmerzensgeldberechnung zu folgen. Dieses Konzept bezieht seine maßgebende innere Rechtfertigung nicht aus der Anwendung fester Größen auf der ersten Stufe - insbesondere des Bruttonationaleinkommens und bestimmter Prozentstufen -, sondern aus der einzelfallbezogenen Auseinandersetzung mit dem Ausgleichs- und Genugtuungsbetrag. Die bisherige Praxis, sich an vermeintlich vergleichbaren Entscheidungen anderer Gerichte zu orientieren, leidet bereits daran, dass sie nicht Ausdruck eines in sich geschlossenen Systems sind. Dies folgt schon daraus, dass nicht sämtliche Schmerzensgeldentscheidungen veröffentlicht und somit für andere Gerichte einsehbar sind. Zudem fehlt es oftmals an einer brauchbaren Vergleichbarkeit zwischen den Entscheidungen. Denn auch nur ein einzelnes, relevantes Bemessungskriterium, das sich als anders darstellt, kann die Angemessenheit eines von einem anderen Gericht zuerkannten Schmerzensgeldes gänzlich in Frage stellen, etwa das Alter des Geschädigten.
Der Mehrwert eines taggenauen Schmerzensgeldes liegt darin, eine Referenzgröße für eine Einzelfallbetrachtung zu bilden, die den Zwecken sozialer Gleichheit, der Voraussehbarkeit von Schmerzensgeldentscheidungen und damit Rechtssicherheit Rechnung tragen will. Das entscheidende Gericht kann sich an bestimmten, objektiv feststehenden Kriterien orientieren. Damit ist die Schmerzensgeldfestsetzung des Gerichts besser vorhersehbar.
Bei Anlegung dieser Maßstäbe einer taggenauen Schmerzensgeldberechnung ist hier ein Schmerzensgeld von insgesamt 50.000 € billig. Auf der ersten Stufe ist ein Ersatzbetrag von etwa 35.000 € zu Grunde zu legen. Der Erblasser befand sich infolge des Verkehrsunfalls sechs Tage auf der Intensivstation, 84 Tage auf der Normalstation und 18 Tage in einer Rehabilitationseinrichtung. Dabei sind Ausgleichsbeträge von 15% des Bruttonationaleinkommens für einen Tag auf der Intensivstation, 10% für einen Tag auf der Normalstation und 9% für einen Tag in einer Rehabilitationseinrichtung anzusetzen.
Dieser Betrag war bei der gebotenen Einzelfallbetrachtung dahingehend zu korrigieren, dass ein Schmerzensgeldbetrag von 50.000 € angemessen ist. Der Erblasser wurde durch den Unfall schwer verletzt. Die Verletzungen erfassten weite Bereiche des Körpers, vor allem den Bewegungsapparat. Die hiermit einhergehenden Beeinträchtigungen fielen dabei vor allem auch ins Gewicht, weil der Erblasser infolge des Verkehrsunfalls keine selbstbestimmte Lebensführung wiedererlangte. Einem höheren Schmerzensgeld stand vor allem das zu berücksichtigende Mitverschulden des Erblassers entgegen. Dies ist im vorliegenden Fall darin zu sehen, dass der Erblasser sich nicht anschnallte. Dem Fahrer obliegt zudem nicht die Pflicht dafür zu sorgen, dass Mitfahrer angeschnallt sind.
Linkhinweis:
Für den auf den Webseiten des Landes Hessen veröffentlichten Volltext des Urteils klicken Sie bitte hier.
Hessen Recht online
Die Kläger fordern als Erbengemeinschaft Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes aus einem Verkehrsunfall. Der Beklagte holte seine Schwiegermutter und den ihm persönlich bekannten 93 Jahre alten Herrn, der Erblasser der Erbengemeinschaft, mit dem bei der ebenfalls Beklagten pflichthaftversicherten PKW ab. Der Erblasser schnallte sich für die Fahrt nicht an.
Während der anschließenden Autofahrt fiel der Beklagte in Ohnmacht, kam infolgedessen von der Straße ab und prallte ungebremst bei einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 km/h gegen einen Baum. Darauf folgte nach Verletzungen des Erblassers an Ellenbogen, Kniescheibe, Rippen und Hüftpfanne eine Leidenszeit des Erblassers über einige Monate, in denen er mehrmals Aufenthalte im Krankenhaus wegen Operationen oder Rehabilitation verbrachte. Er stürzte noch einige weitere Male, da er inzwischen körperlich stark eingeschränkt war. Fünf Monate nach dem Unfall verstarb der Erblasser.
Die Kläger forderten von der ebenfalls beklagten Haftpflichtversicherung des beklagten Fahrers ein Schmerzensgeld i.H.v. 90.000 €. Die Beklagte hielt ein Schmerzensgeld i.H.v. 30.000 € für angemessen und zahlte dies auch an die Kläger aus. Die Klage richtet sich auf die Zahlung von Schmerzensgeld i.H.v. 90.000 €, die vor dem LG teilweise Erfolg hatte.
Die Gründe:
Die Kläger haben gegen den beklagten Fahrer einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes von weiteren 20.000 € aus § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. §§ 1922 Abs. 1, 2039 Satz 1 BGB.
Ein Anspruch gegen den Beklagten besteht dem Grunde nach ohne Weiteres aus § 7 Abs. 1 StVG. Auf dieser Grundlage bestand ein Anspruch des Erblassers auf Zahlung eines Schmerzensgeldes nach § 11 Satz 2 StVG. Dieser Anspruch ist unstreitig auf die Erbengemeinschaft übergegangen.
Es ist der sog. taggenauen Schmerzensgeldberechnung zu folgen. Dieses Konzept bezieht seine maßgebende innere Rechtfertigung nicht aus der Anwendung fester Größen auf der ersten Stufe - insbesondere des Bruttonationaleinkommens und bestimmter Prozentstufen -, sondern aus der einzelfallbezogenen Auseinandersetzung mit dem Ausgleichs- und Genugtuungsbetrag. Die bisherige Praxis, sich an vermeintlich vergleichbaren Entscheidungen anderer Gerichte zu orientieren, leidet bereits daran, dass sie nicht Ausdruck eines in sich geschlossenen Systems sind. Dies folgt schon daraus, dass nicht sämtliche Schmerzensgeldentscheidungen veröffentlicht und somit für andere Gerichte einsehbar sind. Zudem fehlt es oftmals an einer brauchbaren Vergleichbarkeit zwischen den Entscheidungen. Denn auch nur ein einzelnes, relevantes Bemessungskriterium, das sich als anders darstellt, kann die Angemessenheit eines von einem anderen Gericht zuerkannten Schmerzensgeldes gänzlich in Frage stellen, etwa das Alter des Geschädigten.
Der Mehrwert eines taggenauen Schmerzensgeldes liegt darin, eine Referenzgröße für eine Einzelfallbetrachtung zu bilden, die den Zwecken sozialer Gleichheit, der Voraussehbarkeit von Schmerzensgeldentscheidungen und damit Rechtssicherheit Rechnung tragen will. Das entscheidende Gericht kann sich an bestimmten, objektiv feststehenden Kriterien orientieren. Damit ist die Schmerzensgeldfestsetzung des Gerichts besser vorhersehbar.
Bei Anlegung dieser Maßstäbe einer taggenauen Schmerzensgeldberechnung ist hier ein Schmerzensgeld von insgesamt 50.000 € billig. Auf der ersten Stufe ist ein Ersatzbetrag von etwa 35.000 € zu Grunde zu legen. Der Erblasser befand sich infolge des Verkehrsunfalls sechs Tage auf der Intensivstation, 84 Tage auf der Normalstation und 18 Tage in einer Rehabilitationseinrichtung. Dabei sind Ausgleichsbeträge von 15% des Bruttonationaleinkommens für einen Tag auf der Intensivstation, 10% für einen Tag auf der Normalstation und 9% für einen Tag in einer Rehabilitationseinrichtung anzusetzen.
Dieser Betrag war bei der gebotenen Einzelfallbetrachtung dahingehend zu korrigieren, dass ein Schmerzensgeldbetrag von 50.000 € angemessen ist. Der Erblasser wurde durch den Unfall schwer verletzt. Die Verletzungen erfassten weite Bereiche des Körpers, vor allem den Bewegungsapparat. Die hiermit einhergehenden Beeinträchtigungen fielen dabei vor allem auch ins Gewicht, weil der Erblasser infolge des Verkehrsunfalls keine selbstbestimmte Lebensführung wiedererlangte. Einem höheren Schmerzensgeld stand vor allem das zu berücksichtigende Mitverschulden des Erblassers entgegen. Dies ist im vorliegenden Fall darin zu sehen, dass der Erblasser sich nicht anschnallte. Dem Fahrer obliegt zudem nicht die Pflicht dafür zu sorgen, dass Mitfahrer angeschnallt sind.
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