21.08.2024

Schmerzensgeld nach Corona-Schutzimpfung? Nutzen-Risiko-Abwägung zugunsten der Nutzer

Die (Un-)Vertretbarkeit der schädlichen Wirkungen eines Arzneimittels ist durch eine auf die jeweilige Indikation des Medikaments bezogene Nutzen-Risiko-Abwägung zu ermitteln. Diese Abwägung fiel im vorliegenden Fall zugunsten der Nutzer des Impfstoffs aus.

LG Kempten v. 8.8.2024, 31 O 957/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger war im April 2021 erstmals mit dem von der Beklagten hergestellten Impfstoff Comirnaty gegen das SARS-CoV-2-Virus ("Coronavirus") geimpft worden. Die 2. Impfung erfolgte im Mai und die 3. im November 2021. Sämtliche Impfungen erfolgten in einem Impfzentrum. Die Sicherheit des Impfstoffs wird seit seiner Zulassung kontinuierlich überwacht. Stand Juni 2022 wurden weltweit über 2,6 Mird. Dosen des Impfstoffs Comirnaty verimpft.

Der Kläger hatte bereits zuvor an Vorerkrankungen gelitten, u.a. an Gelenkschmerzen, einem Ganglion Knöchel und Fuß, einer Osteochondrose der Wirbelsäule, einer Arthritis, Schwellungen und Schmerzen am Handgelenk rechts, einer Tendinitis calcarea: Unterarm (Radius, Ulna, Handgelenk). Er behauptete, dass nach der 2. Impfung eine die Knie, Füße, Ellenbogen und Finger betreffende Schwellung aufgetreten sei. Zudem seien Gelenkschmerzen nach der 1. Impfung sowie nach der 2. Impfung ab Anfang Juni 2021 starke Schwellungen und Schmerzen am Fuß und Handgelenken aufgetreten. Im Nachhinein seien noch weitere Beeinträchtigungen hinzugekommen.

Der Kläger verlangte u.a. ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wurde, jedoch 80.000 € nicht unterschreiten sollte. Das LG hat die Klage vollumfänglich abgewiesen.

Die Gründe:
Ein Schadensersatzanspruch ergab sich nicht aus § 84 Abs. 1 AMG. Eine solche Ersatzpflicht besteht demnach nur, wenn nach Nr. 1 das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen oder nach Nr. 2 der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation eingetreten ist.

Diese Voraussetzungen waren hier nicht erfüllt. Der Kläger hatte zwar behauptet, dass der streitgegenständliche Impfstoff Comirnaty eine negative Nutzen-Risiko-Bilanz aufweise. Eine solche war vorliegend jedoch nicht ersichtlich. Das Gericht hat sich den überzeugenden Ausführungen des OLG Koblenz im Urteil vom 10.7.2024 - 5 U 1375/23, durch das die Berufung gegen das Urteil des LG Mainz vom 14.11.2023 - 9 O 37/23 zurückgewiesen worden war, angeschlossen.

Ein Anspruch des Klägers auf Schmerzensgeld ergab sich auch nicht aus dem Produkthaftungsgesetz. Bei dem von der Beklagten hergestellten Impfstoff handelt es sich - was zwischen den Parteien unstreitig ist - um ein zum Gebrauch beim Menschen bestimmtes zulassungspflichtiges Arzneimittel, das in Deutschland, also im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes (AMG) an den Kläger als Verbraucher abgegeben wurde. Dieser behauptete auch eine Verletzung seiner Gesundheit, so dass grundsätzlich die Regelungen des AMG vor denjenigen des ProdHaftG vorrangig sind.

Ein Anspruch des Klägers bestand auch nicht aus einer deliktischen Haftung gem. § 823 Abs. 1 BGB (Produkthaftung), die als solche grundsätzlich neben den Regelungen des Produkthaftungsgesetzes bestehen kann (§ 15 Abs. 2 ProdHaftG) und auch neben einem etwaigen Anspruch aus § 84 AMG. Insoweit konnte auf die Ausführungen zu § 84 AMG verwiesen werden. Jedenfalls aber scheitert ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB am fehlenden Nachweis der Kausalität durch die beweisbelastete Klagepartei. Die Klagepartei hat nicht dargelegt, dass der sie impfende Arzt die Fachinformationen zur Kenntnis genommen oder sie selbst die Packungsbeilage vor der Impfung gelesen hatte.

Dem Kläger stand auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 5 AMG zu. Voraussetzung hierfür wäre das Vorliegen eines bedenklichen Arzneimittels. Bedenklich sind nach der Legaldefinition des § 5 Abs. 2 AMG diejenigen Arzneimittel, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. Wie bereits oben ausgeführt, ist für die Annahme einer Bedenklichkeit i.S.v. § 5 AMG - ähnlich wie bei § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG - die wissenschaftliche Unvertretbarkeit der schädlichen Wirkungen des Arzneimittels maßgeblich. Die (Un-)Vertretbarkeit der schädlichen Wirkungen eines Arzneimittels ist durch eine auf die jeweilige Indikation des Medikaments bezogene Nutzen-Risiko-Abwägung zu ermitteln. Diese Abwägung fiel im vorliegenden Fall zugunsten der Nutzer des Impfstoffs aus.

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