Sonderkündigungsrecht des Mieters auch während Covid 19-Pandemie gültig?
OLG Hamm v. 15.7.2022 - 30 U 82/22
Der Sachverhalt:
Die Parteien hatten 2016 einen Mietvertrag über eine Ladenfläche in einem Einkaufszentrum abgeschlossen. Der Mietvertrag sah eine Mietlaufzeit von 10 Jahren vor. Zudem war vereinbart worden, dass der klagende Vermieter der Beklagten ein Sonderkündigungsrecht bei Nichterreichen eines Umsatzes von weniger als 600.000 € netto im Kalenderjahr 2020 einräumt, ohne dass insoweit Einschränkungen hinsichtlich des Grundes des Nichterreichens des Umsatzes verabredet wurde.
Im Jahr 2017 erzielte die Beklagte in dem Geschäftslokal einen Umsatz i.H.v. 800.849 €, im Jahr 2018 i.H.v. 774.564 € und im Jahr 2019 erreichte sie einen Umsatz i.H.v. 782.577 €. Aufgrund der mit der Covid-19-Pandemie einhergehenden behördlichen Anordnungen musste die Beklagte ihren Betrieb in der Zeit vom 18.3. bis zum 19.4.2020 sowie ab dem 16.12.2020 schließen. Am 25.3.2020 wandte sich die Verwalterin der Klägerin an die Beklagte und bot die Stundung der Miete für April 2020, alternativ die Reduzierung der Miete um 50 %, an. Die Beklagte bat die Klägerin daraufhin um Verständnis dafür, dass die Miete vorerst ausgesetzt werde, und erklärte, sie hoffe auf die Erarbeitung einer partnerschaftlichen Lösung.
Entsprechend zahlte die Beklagte für den Monat April 2020 eine um 50 % reduzierte Miete. Für die übrigen Monate im Jahr 2020 zahlte sie die Miete in voller Höhe. Am 22.2.2021 erklärte die Beklagte gegenüber der Klägerin die Kündigung des Mietvertrages mit Wirkung zum 31.8.2021 unter Bezug auf das das Sonderkündigungsrecht im Mietvertrag unter Vorlage eines Testats der Deloitte Ireland LLP, aus dem sich ein Gesamtumsatz der Beklagten im streitgegenständlichen Ladenlokal für 2020 i.H.v. 539.185 € ergab.
Die Klägerin widersprach der Kündigung und berief sich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB. Das LG hat die gegen die Kündigung gerichtete Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin vor dem OLG blieb erfolglos.
Die Gründe:
Die Beklagte war aufgrund des Sonderkündigungsrechts im Mietvertrag zur Kündigung berechtigt. Die Voraussetzungen des Sonderkündigungsrechts lagen zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung vor.
Die Vereinbarung zum Sonderkündigungsrecht war nicht einschränkend dahingehend auszulegen, dass ein solches Recht nur dann bestehen soll, wenn im Kalenderjahr 2020 in allen 12 Monaten Umsätze mit der Mietsache hätten erzielt werden können. Der Wortlaut sah keine entsprechende Einschränkung dahingehend vor. Maßgeblich sollte nach ihm vielmehr allein der in dem Kalenderjahr tatsächlich erwirtschaftete Gesamtumsatz sein.
Etwas anderes ergab sich auch nicht aus der Systematik des Mietvertrages einschließlich der Anlagen sowie Sinn und Zweck der Regelung. Fehl ging schließlich der Einwand der Klägerin, das Sonderkündigungsrecht habe dem Mieter nicht die Möglichkeit der vorzeitigen Vertragsbeendigung an die Hand geben wollen, weil es ihm gerade gelegen komme. Die Klägerin, die der Beklagten gerade einmal mit der Reduzierung auch nur einer Monatsmiete um 50 % entgegenzukommen bereit war, verkannte hierbei, dass die Beklagte einen realen, im Übrigen von ihr selbst auch nicht angezweifelten, Umsatzverlust aufgrund der Pandemie erlitten hatte.
Insoweit kam auch eine ergänzende Vertragsauslegung nicht in Betracht. Denn eine solche setzt voraus, dass die vertraglichen Vereinbarungen eine planwidrige Regelungslücke aufweisen. Zwar hatten die Parteien keine ausdrückliche Regelung getroffen, welche Auswirkungen behördlich angeordnete Betriebsschließungen infolge der Covid-19-Pandemie auf das Mietverhältnis der Parteien haben, da sie zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses hiervon keine Kenntnis hatten. Dies führte jedoch noch nicht zur Annahme einer planwidrigen Unvollständigkeit, da die Parteien das Risiko eines Unterschreitens des avisierten Jahresumsatzes aus nicht von der Beklagten zu verantwortenden Gründen eindeutig der Klägerin zugewiesen hatten.
Von einer planwidrigen Unvollständigkeit kann nur gesprochen werden, wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um den ihm zugrundeliegenden Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung des Vertrags eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen wäre. Die ergänzende Vertragsauslegung muss sich als zwingende selbstverständliche Folge aus dem Gesamtzusammenhang des Vereinbarten ergeben, so dass ohne die vorgenommene Ergänzung das Ergebnis in offenbarem Widerspruch mit dem nach dem Inhalt des Vertrags tatsächlich Vereinbarten stehen würde. Dies ist vorliegend jedoch gerade nicht der Fall.
Letztlich kam auch eine Anpassung des Vertrages im Hinblick auf das vereinbarte Sonderkündigungsrecht wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB nicht in Betracht. Eine solche schied schon wegen der vertraglichen Risikoverteilung sowie zum anderen im Hinblick auf die Anforderungen an das hypothetische Element aus.
Mehr zum Thema:
Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der Datenbank Otto Schmidt online.
Rechtsprechung:
COVID-19-Pandemie: Gewerberaummiete und Störung der Geschäftsgrundlage im Urkundenprozess
BGH vom 16.02.2022 - XII ZR 17/21
Rainer Burbulla, MietRB 2022, 106
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Justiz NRW
Die Parteien hatten 2016 einen Mietvertrag über eine Ladenfläche in einem Einkaufszentrum abgeschlossen. Der Mietvertrag sah eine Mietlaufzeit von 10 Jahren vor. Zudem war vereinbart worden, dass der klagende Vermieter der Beklagten ein Sonderkündigungsrecht bei Nichterreichen eines Umsatzes von weniger als 600.000 € netto im Kalenderjahr 2020 einräumt, ohne dass insoweit Einschränkungen hinsichtlich des Grundes des Nichterreichens des Umsatzes verabredet wurde.
Im Jahr 2017 erzielte die Beklagte in dem Geschäftslokal einen Umsatz i.H.v. 800.849 €, im Jahr 2018 i.H.v. 774.564 € und im Jahr 2019 erreichte sie einen Umsatz i.H.v. 782.577 €. Aufgrund der mit der Covid-19-Pandemie einhergehenden behördlichen Anordnungen musste die Beklagte ihren Betrieb in der Zeit vom 18.3. bis zum 19.4.2020 sowie ab dem 16.12.2020 schließen. Am 25.3.2020 wandte sich die Verwalterin der Klägerin an die Beklagte und bot die Stundung der Miete für April 2020, alternativ die Reduzierung der Miete um 50 %, an. Die Beklagte bat die Klägerin daraufhin um Verständnis dafür, dass die Miete vorerst ausgesetzt werde, und erklärte, sie hoffe auf die Erarbeitung einer partnerschaftlichen Lösung.
Entsprechend zahlte die Beklagte für den Monat April 2020 eine um 50 % reduzierte Miete. Für die übrigen Monate im Jahr 2020 zahlte sie die Miete in voller Höhe. Am 22.2.2021 erklärte die Beklagte gegenüber der Klägerin die Kündigung des Mietvertrages mit Wirkung zum 31.8.2021 unter Bezug auf das das Sonderkündigungsrecht im Mietvertrag unter Vorlage eines Testats der Deloitte Ireland LLP, aus dem sich ein Gesamtumsatz der Beklagten im streitgegenständlichen Ladenlokal für 2020 i.H.v. 539.185 € ergab.
Die Klägerin widersprach der Kündigung und berief sich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB. Das LG hat die gegen die Kündigung gerichtete Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin vor dem OLG blieb erfolglos.
Die Gründe:
Die Beklagte war aufgrund des Sonderkündigungsrechts im Mietvertrag zur Kündigung berechtigt. Die Voraussetzungen des Sonderkündigungsrechts lagen zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung vor.
Die Vereinbarung zum Sonderkündigungsrecht war nicht einschränkend dahingehend auszulegen, dass ein solches Recht nur dann bestehen soll, wenn im Kalenderjahr 2020 in allen 12 Monaten Umsätze mit der Mietsache hätten erzielt werden können. Der Wortlaut sah keine entsprechende Einschränkung dahingehend vor. Maßgeblich sollte nach ihm vielmehr allein der in dem Kalenderjahr tatsächlich erwirtschaftete Gesamtumsatz sein.
Etwas anderes ergab sich auch nicht aus der Systematik des Mietvertrages einschließlich der Anlagen sowie Sinn und Zweck der Regelung. Fehl ging schließlich der Einwand der Klägerin, das Sonderkündigungsrecht habe dem Mieter nicht die Möglichkeit der vorzeitigen Vertragsbeendigung an die Hand geben wollen, weil es ihm gerade gelegen komme. Die Klägerin, die der Beklagten gerade einmal mit der Reduzierung auch nur einer Monatsmiete um 50 % entgegenzukommen bereit war, verkannte hierbei, dass die Beklagte einen realen, im Übrigen von ihr selbst auch nicht angezweifelten, Umsatzverlust aufgrund der Pandemie erlitten hatte.
Insoweit kam auch eine ergänzende Vertragsauslegung nicht in Betracht. Denn eine solche setzt voraus, dass die vertraglichen Vereinbarungen eine planwidrige Regelungslücke aufweisen. Zwar hatten die Parteien keine ausdrückliche Regelung getroffen, welche Auswirkungen behördlich angeordnete Betriebsschließungen infolge der Covid-19-Pandemie auf das Mietverhältnis der Parteien haben, da sie zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses hiervon keine Kenntnis hatten. Dies führte jedoch noch nicht zur Annahme einer planwidrigen Unvollständigkeit, da die Parteien das Risiko eines Unterschreitens des avisierten Jahresumsatzes aus nicht von der Beklagten zu verantwortenden Gründen eindeutig der Klägerin zugewiesen hatten.
Von einer planwidrigen Unvollständigkeit kann nur gesprochen werden, wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um den ihm zugrundeliegenden Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung des Vertrags eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen wäre. Die ergänzende Vertragsauslegung muss sich als zwingende selbstverständliche Folge aus dem Gesamtzusammenhang des Vereinbarten ergeben, so dass ohne die vorgenommene Ergänzung das Ergebnis in offenbarem Widerspruch mit dem nach dem Inhalt des Vertrags tatsächlich Vereinbarten stehen würde. Dies ist vorliegend jedoch gerade nicht der Fall.
Letztlich kam auch eine Anpassung des Vertrages im Hinblick auf das vereinbarte Sonderkündigungsrecht wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB nicht in Betracht. Eine solche schied schon wegen der vertraglichen Risikoverteilung sowie zum anderen im Hinblick auf die Anforderungen an das hypothetische Element aus.
Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der Datenbank Otto Schmidt online.
Rechtsprechung:
COVID-19-Pandemie: Gewerberaummiete und Störung der Geschäftsgrundlage im Urkundenprozess
BGH vom 16.02.2022 - XII ZR 17/21
Rainer Burbulla, MietRB 2022, 106
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