17.10.2023

Stolperfalle "Stromkabel" auf dem Wochenmarkt - Wer haftet wann?

Lose quer zur Laufrichtung - hier vor bzw. auf einem Zebrastreifen - verlegten Versorgungskabel für die Marktstände und Verkaufswagen auf einem Wochenmarkt stellen eine nicht hinreichend gesicherte Gefahrenstelle dar. Allein der Umstand, dass der Geschädigte vor Schadenseintritt die bestehende Gefahrenlage erkannt hat, begründet nicht einen Verursachungsanteil, dem gegenüber der Verursachungsbeitrag des die Gefahr durch eine Pflichtverletzung begründenden Schädigers stets zurücktreten oder auch nur weniger schwer wiegen müsste.

OLG Köln v. 3.8.2023 - 7 U 173/22
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Rentnerin und hatte am 7.12.2018 den Wochenmarkt der Beklagten zu 1) besucht. Die Beklagte zu 2) und die Beklagte zu 3) hatten dort ihren Marktstand bzw. ihren Verkaufswagen aufgebaut. Um die Marktstände bzw. Verkaufswagen mit Strom zu versorgen, waren Stromkabel entlang des Gehwegs und des Fahrbahnrandes verlegt. Die Stromkabel waren nicht am Boden befestigt und auch nicht durch sog. Kabelbrücken/Kabelmatten gesichert. Die zum Unfallzeitpunkt 74-jährige Klägerin beabsichtigte, die Straße vom Marktplatz kommend zu Fuß am dortigen Fußgängerüberweg zu überqueren, um die Filiale der Sparkasse aufzusuchen. Sie nahm dabei die auf dem Boden liegenden Stromkabel wahr. Trotzdem kam sie auf dem Fußgängerüberweg zu Fall. Durch den Sturz erlitt die Klägerin eine schwere Arm- bzw. Schulterverletzung. Sie musste unfallbedingt mit einem künstlichen Gelenkkopf versorgt werden.

Das LG hat die Beklagten zu 2) und 3) zur Zahlung von 6.500 € Schmerzensgeld verurteilt und festgestellt, dass die Beklagten zu 2) und zu 3) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin wegen eines ihr zur Last fallenden Mitverschuldens sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu 2/3 zu ersetzen. Die Klage gegen die Beklagte zu 1) hat es mit der Begründung abgewiesen, das Verweisungsprivileg des §§ 839 Abs. 1 S. 2 BGB greife ein.

Die Klägerin hielt weiterhin ein  Schmerzensgeld i.H.v. insgesamt 10.000 € für angemessen. Das OLG sprach ihr die Summe im Berufungsverfahren zu und schloss die Beklagte zu 1) in die gesamtschuldnerische Haftung mit ein.

Die Gründe:
Der Klägerin steht gegen alle Beklagten als Gesamtschuldner in der Hauptsache ein Anspruch auf Zahlung von 10.000 € Schmerzensgeld und Feststellung der Verpflichtung zum weiteren Schadensersatz aus §§ 839 BGB i.V.m. Art 34 GG [Beklagte zu 1)], § 823 Abs. 1, 2 [Beklagten zu 2.) und 3.)], §§ 31, 253 BGB wegen der Verletzung der ihnen obliegenden Verkehrssicherungspflicht zu.

Die lose quer zur Laufrichtung - hier vor bzw. auf einem Zebrastreifen - verlegten Versorgungskabel der Beklagten zu 2.) und 3.) stellten eine nicht hinreichend gesicherte Gefahrenstelle dar. Zwar beriefen sich die Beklagten zu Recht darauf, dass in der Rechtsprechung anerkannt ist, dass (Jahr-)Marktbesucher - wie hier die Klägerin - aufgrund der ersichtlich dort nur temporären Errichtung von Ständen stets mit Hindernissen durch oberirdisch verlegte Versorgungsleitungen rechnen müssen und sich deshalb - anders als etwa Super- oder Baumarktbesucher - auf die unvermeidbaren, aber bekannten Behinderungen einstellen müssen. Doch zugleich gilt, dass der Verkehrssicherungspflichtige - je nach den Umständen des Einzelfalls - den im Rahmen der Verlegung von Versorgungsleitungen verbleibenden Gefahren durch eine gesonderte Abdeckung, etwa durch Gummi-/ Kunststoffmatten, zu begegnen hat. Und dies war hier nicht geschehen.

Vorliegend stellten jedenfalls die auf dem Boden im Bereich des Fußgängerüberwegs liegenden Versorgungskabel eine erhebliche Stolpergefahr dar. Dies galt unabhängig davon, ob sie unmittelbar vor dem Sturz der Klägerin auf dem Fußgängerüberweg selbst oder im Bereich des davor befindlichen Gehwegs lagen. In jedem Falle waren sie weder gegen eine versehentliche Veränderung ihrer Ortslage, z.B. durch andere Fußgänger, noch gegen Wellenbildung gesichert. Für die Klägerin galt im Übrigen der Beweis des ersten Anscheins, dass die nach den vorstehenden Ausführungen abhilfebedürftige Gefahrenquelle ursächlich für ihren Sturz war.

Entgegen der vom LG vertretenen Auffassung fiel der Klägerin kein Mitverschulden zur Last, das gem. § 254 BGB anspruchsmindernd zu berücksichtigen wäre. Allein der Umstand, dass der Geschädigte vor Schadenseintritt die bestehende Gefahrenlage erkannt hat, begründet nämlich nicht einen Verursachungsanteil, dem gegenüber der Verursachungsbeitrag des die Gefahr durch eine Pflichtverletzung begründenden Schädigers stets zurücktreten oder auch nur weniger schwer wiegen müsste. Maßgeblich sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls. Die Klägerin hatte hier einen Geschehensablauf vorgetragen, nach dem ein Mitverschulden ihrerseits ausgeschlossen wäre - nämlich, dass die Kabel sich im Augenblich des "Überschreitens" bewegt hätten bzw. bewegt worden seien und sie deshalb auf die Kabel draufgetreten sei. Dafür, dass sie durch die Kabel zu Fall gekommen war, sprach sowohl eine Zeugin als auch nach BGH-Rechtsprechung ein Anscheinsbeweis.

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Aufsatz
Christoph Fellner
Verkehrssicherungspflicht für Außenanlagen von Gaststättenbetreibern
MDR 2023, 1222

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