Streit um Gutachterkosten nach einem Verkehrsunfall
AG Essen v. 19.7.2024 - 29 C 74/24Die Klägerin hatte am 22.12.2023 einen Verkehrsunfall. Die Beklagte regulierte daraufhin am 23.1.2024 die geltend gemachten Schadensersatzpositionen, wobei sie auf die Gutachterkosten lediglich einen Betrag i.H.v. 468,27 € zahlte. Unter Fristsetzung bis zum 2.2.2024 forderte die Klägerin die Beklagte auf, die restlichen Sachverständigenkosten i.H.v. 1.676,82 € zu begleichen. Sie behauptete, sie habe am 25.1.2024 die ausstehenden Gutachterkosten an den Sachverständigen bezahlt und sei daher hinsichtlich dieser Schadensposition aktivlegitimiert. Sie war der Ansicht, die Beklagte nehme bezüglich der Gutachterkosten willkürliche Kürzungen vor. Die Beklagte trage das sog. Sachverständigenrisiko.
Die Beklagte meinte, das Grundhonorar des Gutachters sei am Zeitaufwand zu bemessen, dies entspreche der üblichen Vergütung anderer Sachverständiger in der Region der Klägerin. Die BVSK-Befragung sei hingegen keine geeignete Schätzgrundlage. Mit dem Grundhonorar seien zudem Schreibkosten und die Inanspruchnahme etwaiger EDV-Systeme abgegolten. Außerdem seien Kopierkosten heutzutage nicht mehr zu erstatten, da Gutachten elektronisch übermittelt würden. Schließlich seien die Fahrt- und Fotokosten auch für einen Laien erkennbar überhöht, da es sich hierbei um alltägliche Kosten handele.
Das AG gab der Klage vollumfänglich statt.
Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der weiteren Sachverständigenkosten i.H.v. 1.676,82 € aus § 7 StVG i.V.m. § 115 VVG i.V.m. § 249 BGB.
Die Kosten des eingeholten Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gem. § 249 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist (BGH Urt. v. 12.3.2024 - VI ZR 280/22). Der Geschädigte ist grundsätzlich berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen. Er kann nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen.
Die Grundsätze zum Werkstattrisiko, die der BGH in seinem Urteil vom 16.1.2024 (VI ZR 253/22) für überhöhte Kostenansätze einer Werkstatt für die Reparatur des beschädigten Fahrzeugs fortentwickelt hat, sind auch auf überhöhte Kostenansätze eines Kfz-Sachverständigen anwendbar, den der Geschädigte mit der Begutachtung seines Fahrzeugs zur Ermittlung des unfallbedingten Schadens beauftragt hat. Die Abrechnung des Sachverständigen ist dann evident fehlerhaft und somit auch für einen Laien erkennbar überhöht, wenn etwa Leistungen abgerechnet werden, die ersichtlich nicht erbracht wurden oder Kosten angesetzt werden, die in keinerlei nachvollziehbarer Relation zu den restlichen Schadenspositionen stehen.
Infolgedessen trägt im vorliegenden Fall die Beklagte das Sachverständigenrisiko. Die Überhöhung der Sachverständigenkosten ist verhältnismäßig so gering, dass sie für die Klägerin nicht erkennbar war. Dies ist, anders als in dem BGH-Urteil vom 12.3.2024 nicht davon abhängig, dass die Klägerin die Zahlung nicht an sich, sondern an den Sachverständigen verlangt. Dort war die Rechnung des Gutachters nicht vollständig zum Ausgleich gebracht worden. Gegebenenfalls bestehende Ansprüche des Geschädigten gegen den Sachverständigen spielen nur insoweit eine Rolle, als der Schädiger im Rahmen des Vorteilsausgleichs deren Abtretung verlangen kann. Das Sachverständigenrisiko verbleibt in diesem Fall - wie bei § 249 Abs. 1 BGB - auch im Rahmen des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger beim Schädiger. Die Risikotragung führt dazu, dass nicht die Klägerin sich mit der möglicherweise zu hohen Rechnung des Sachverständigen auseinandersetzen muss, sondern diese Streitfrage im Nachgang im Verhältnis des Sachverständigen zur Beklagten zu klären ist.
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