17.06.2024

Streit um Mehrbedarf des Kindes für die Vergangenheit - Voraussetzung für die Inanspruchnahme

Mehrbedarf eines Kindes kann für die Vergangenheit nicht erst von dem Zeitpunkt an verlangt werden, in dem er ausdrücklich geltend gemacht worden ist. Es reicht für die Inanspruchnahme des Unterhaltspflichtigen vielmehr aus, dass von diesem Auskunft mit dem Ziel der Geltendmachung des Kindesunterhaltsanspruchs begehrt worden ist.

BGH v. 24.4.2024 - XII ZB 282/23
Der Sachverhalt:
Der im Mai 2012 geborene Antragsteller lebt bei seiner Mutter. Der Antragsgegner ist sein Vater. Er hatte für ihn zunächst auf der Grundlage einer außergerichtlichen Einigung Kindesunterhalt gezahlt. Mit E-Mail vom 24.2.2020 setzte die Mutter den Antragsgegner "für einen höheren Kindsunterhalt [...] in Verzug" und verlangte von ihm Gehaltsabrechnungen für das Jahr 2019 sowie weiterer Unterlagen.

Am 14.4.2021 verpflichtete sich der Antragsgegner mit einer Jugendamtsurkunde zur Zahlung von Kindesunterhalt nach der sechsten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle. Am selben Tag forderte die Mutter ihn jedoch auf, Elementarunterhalt nach der neunten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle zu zahlen und sich anteilig i.H.v. 49 € pro Monat an den Kosten für die Betreuung des Antragstellers in der Offenen Ganztagsschule zu beteiligen, die sie als Mehrbedarf geltend machte.

Nachdem über die Höhe des geschuldeten Kindesunterhalts keine Einigung erzielt werden konnte, hat der Antragsteller den Antragsgegner im vorliegenden Verfahren u.a. auf Zahlung von rückständigem Elementar- und Mehrbedarf für den Zeitraum vom 1.2.2020 bis zum 31.8.2021 in Anspruch genommen. Das AG hat dem Antragsteller einen Unterhaltsrückstand i.H.v. insgesamt 1.728 € (davon 588 € Mehrbedarf) zugesprochen. Auf die Beschwerde des Antragsgegners hat das OLG einen Unterhaltsrückstand von 1.086,50 € (davon 171,50 € Mehrbedarf für die Zeit ab dem 1.4. 2021) festgestellt. Für den Zeitraum vom 1.2.2020 bis zum 31.3.2021 hat es einen Anspruch auf Mehrbedarf verneint.

Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde des Antragstellers hat der BGH den Beschluss des OLG insoweit aufgehoben, als der Antrag des Antragstellers zurückgewiesen worden war und die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.

Gründe:
Das Beschwerdegericht muss in einer Familienstreitsache die Beschwerdeentscheidung nicht gem. § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 311 Abs. 2 ZPO in einem Termin verkünden, wenn es nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen hat. Die Beschwerdeentscheidung kann in einem solchen Fall gem. §§ 113 Abs. 1 Satz 1, 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG durch Übergabe des unterschriebenen Beschlusses an die Geschäftsstelle erlassen werden.

Zu Unrecht war das Beschwerdegericht davon ausgegangen, in einer auf die Geltendmachung von Kindesunterhalt gerichteten Auskunftsaufforderung nach § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB müsse ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass nicht nur Elementarunterhalt, sondern auch Mehrbedarf begehrt werde, damit ab dem Zeitpunkt des Zugangs dieses Auskunftsverlangens vom Unterhaltspflichtigen (anteilig) Mehrbedarf gefordert werden könne. Wird der Unterhaltspflichtige nach § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB zum Zwecke der Geltendmachung von Kindesunterhalt zur Auskunftserteilung aufgefordert, kann ab dem Zeitpunkt des Zugangs dieses Begehrens der Kindesunterhaltsanspruch in seiner Gesamtheit gefordert werden. Dies gilt auch, wenn im Auskunftsverlangen nicht explizit auf die beabsichtigte Geltendmachung eines über den Elementarunterhalt hinausgehenden Mehrbedarfs hingewiesen wurde.

Diese Frage ist zwar umstritten. So wird - mit dem Beschwerdegericht - die Auffassung vertreten, dass ein allgemein auf die Geltendmachung von Kindesunterhalt gerichtetes Auskunftsverlangen nicht ausreichend sei, um ab Zugang dieses Verlangens nach § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB über den Elementarunterhalt hinaus auch einen Mehrbedarf beanspruchen zu können. Demgegenüber geht eine andere Ansicht davon aus, dass eine allgemeine Auskunftsaufforderung zum Zwecke der Geltendmachung von Kindesunterhalt auch hinsichtlich eines Mehrbedarfs die Wirkungen des § 1613 Abs. 1 BGB auslöse Und die letztgenannte Auffassung ist zutreffend. Bereits der den Ausgangspunkt der Auslegung bildende Wortlaut des § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB spricht gegen die vom Beschwerdegericht vertretene Rechtsauffassung.

Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber über die konkrete Bezeichnung eines bestimmten Unterhaltsanspruchs hinaus auch die Benennung aller begehrten Bestandteile dieses Anspruchs im Auskunftsverlangen für erforderlich gehalten hätte. Dieser Befund entspricht dem Sinn und Zweck des § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB. Nach einhelliger Auffassung dient die Vorschrift dem Schutz des Unterhaltspflichtigen vor hohen Nachforderungen. Ab dem Zugang einer Auskunftsaufforderung wird der Unterhaltspflichtige aber nicht mehr als schutzwürdig angesehen, weil er von diesem Zeitpunkt an konkret damit rechnen muss, auf Unterhalt in Anspruch genommen zu werden, und hierzu gegebenenfalls entsprechende Rückstellungen bilden kann und muss (vgl. Senatsurteil v. 22.11.2006 - XII ZR 24/04 - FamRZ 2007, 193, 195 f. mwN). Somit kann der Antragsteller, dessen Mutter den Antragsgegner mit E-Mail vom 24.2.2020 zwecks Geltendmachung eines höheren Kindesunterhalts zur Vorlage von Gehaltsabrechnungen und weiteren Unterlagen aufgefordert hatte, nach § 1613 Abs. 1 BGB grundsätzlich ab Februar 2020 Mehrbedarf wegen des Besuchs der Offenen Ganztagsschule von seinem Vater fordern.

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