Streitwert von Klage und Widerklage bezüglich eines Pflichtteils- sowie eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs
OLG Braunschweig v. 7.7.2021 - 3 W 30/21
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist die Ehefrau und testamentarische Alleinerbin des Erblassers, der Kläger eines der drei gemeinsamen Kinder. Der Erblasser war ursprünglich alleiniger Eigentümer des von den Eheleuten bewohnten Hausgrundstücks. Im Jahr 1993 übertrug der Erblasser ½ Eigentumsanteil an dem Hausgrundstück auf die Beklagte.
Nach dem Tod des Erblassers zahlte die Beklagte 16.444 € auf den Pflichtteilsanspruch des Klägers. Mit der vorliegenden Klage nahm der Kläger die Beklagte auf Auskunft über den Wert mehrerer Nachlassgegenstände (u.a. einer Modellbausammlung), auf Zahlung des sich daraus ergebenen Pflichtteilsanspruchs sowie auf Zahlung eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs i.H.v. 13.750 € in Anspruch. Aus dem notariellen Nachlassverzeichnisses ergebe sich, dass die genannten Nachlassgegenstände einen Wert von 3.350 € hätten, so dass ihm ein Pflichtteilsanspruch von 1/12 dieses Wertes zustehe. Zudem sei die Grundstückshälfte im Jahr 1993 im Wege einer Schenkung auf die Beklagte übertragen worden; zum Zeitpunkt des Erbfalls habe das Grundstück einen Wert von mindestens 330.000 € gehabt, woraus sich ein Pflichtteilsergänzungsanspruch von 13.750 € ergebe.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und Widerklage gerichtet auf Zahlung von 5.081 € erhoben; der Wert der Modellbausammlung sei bei der Berechnung des Nachlasswertes bereits berücksichtigt worden; das Grundstück habe laut Wertgutachten zum Todestag nur einen Verkehrswert von 270.000 € gehabt, der auf den Pflichtteilsanspruch des Klägers gezahlte Betrag sei seinerzeit aber anhand eines damals von einer Bank geschätzten Marktwertes von 375.000 € berechnet worden; ferner seien zusätzliche Nachlassverbindlichkeiten zu berücksichtigen. Auf dieser Basis stehe dem Kläger ein Pflichtteilsanspruch i.H.v. 11.362 € zu; die Beklagte habe dem Kläger also zu viel gezahlt.
Die Parteien haben den Rechtsstreit mit einem Vergleich beendet, mit dem sie - gegen eine Zahlung der Beklagten an den Kläger von 5.000 € - alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Erbfall für erledigt erklärten. Das LG hat den Wert des Streitgegenstands für den Rechtsstreit und den Vergleich auf die Wertstufe bis 19.000 € festgesetzt. Gegen diesen Beschluss hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers im eigenen Namen Beschwerde eingelegt. Der Streitwert sei auf die Wertstufe bis 22.000 € festzusetzen, da die Streitwerte der Klage und der Widerklage zu addieren seien. Das OLG gab ihm Recht.
Die Gründe:
Der Gegenstandswert von Klage und Widerklage beträgt rund 19.138 €, denn der Gegenstandswert der Klage beträgt 14.057 € und der Gegenstandswert der Widerklage ist in voller Höhe zu addieren.
Gem. § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG sind die in einer Klage und in einer Widerklage geltend gemachten Ansprüche grundsätzlich zu addieren. Allerdings ist nach § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG nur der Wert des höheren Anspruchs maßgebend, wenn die einander gegenüberstehenden Ansprüche denselben Gegenstand betreffen. Letzteres ist unabhängig vom zivilprozessualen Streitgegenstand bei wirtschaftlicher Identität von Klage und Widerklage der Fall. Diese Identität ist dann gegeben, wenn die Ansprüche aus Klage und Widerklage nicht in der Weise nebeneinander stehen können, dass beiden stattgegeben werden kann, sondern die Verurteilung nach dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des anderen Antrags nach sich zieht.
Dies ist hier zwar an sich der Fall, denn bezüglich des Pflichtteilsanspruchs schließen sich ein weiterer Zahlungsanspruch des Klägers und ein Rückzahlungsanspruch der Beklagten aus. § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG findet aber auch dann keine Anwendung, wenn mit Klage und Widerklage lediglich Teilansprüche aus demselben Rechtsverhältnis hergeleitet werden, die sich rechtlich zwar wechselseitig ausschließen, wirtschaftlich aber nicht überschneiden, sondern unterschiedliche Vermögenspositionen betreffen.
Dementsprechend findet eine Werteaddition nach Maßgabe von § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG auch in den Fällen statt, in denen der Kläger aus einem Rechtsverhältnis einen über geleistete Zahlungen hinausgehenden Rest- oder Mehrbetrag beansprucht, während der Beklagte widerklagend einen Teil der bereits geleisteten Zahlungen als nicht geschuldet zurückverlangt. In einer solchen Situation bildet die aus dem Rechtsverhältnis geschuldete Gesamtzahlung den Gegenstand des Streits der Parteien; es geht wirtschaftlich um die Summe von Klage- und Widerklageforderung.
Auch im Verhältnis der Widerklage zum Klageantrag zu Ziffer 3 handelt es sich nicht um denselben Gegenstand im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG. Die Beklagte war der Ansicht, sie habe eine zu hohe Zahlung auf den Pflichtteilsanspruch des Klägers geleistet; der Kläger war der Ansicht, ihm stehe neben dem Pflichtteilsanspruch auch ein Pflichtteilsergänzungsanspruch zu. Diese Ansprüche bestehen unabhängig voneinander; sie bilden nicht denselben Gegenstand im obigen Sinne, auch wenn ihre Höhe unter Umständen von denselben Faktoren - hier dem Wert des Grundstücks - bestimmt wird.
Niedersächsisches Landesjustizportal
Die Beklagte ist die Ehefrau und testamentarische Alleinerbin des Erblassers, der Kläger eines der drei gemeinsamen Kinder. Der Erblasser war ursprünglich alleiniger Eigentümer des von den Eheleuten bewohnten Hausgrundstücks. Im Jahr 1993 übertrug der Erblasser ½ Eigentumsanteil an dem Hausgrundstück auf die Beklagte.
Nach dem Tod des Erblassers zahlte die Beklagte 16.444 € auf den Pflichtteilsanspruch des Klägers. Mit der vorliegenden Klage nahm der Kläger die Beklagte auf Auskunft über den Wert mehrerer Nachlassgegenstände (u.a. einer Modellbausammlung), auf Zahlung des sich daraus ergebenen Pflichtteilsanspruchs sowie auf Zahlung eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs i.H.v. 13.750 € in Anspruch. Aus dem notariellen Nachlassverzeichnisses ergebe sich, dass die genannten Nachlassgegenstände einen Wert von 3.350 € hätten, so dass ihm ein Pflichtteilsanspruch von 1/12 dieses Wertes zustehe. Zudem sei die Grundstückshälfte im Jahr 1993 im Wege einer Schenkung auf die Beklagte übertragen worden; zum Zeitpunkt des Erbfalls habe das Grundstück einen Wert von mindestens 330.000 € gehabt, woraus sich ein Pflichtteilsergänzungsanspruch von 13.750 € ergebe.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und Widerklage gerichtet auf Zahlung von 5.081 € erhoben; der Wert der Modellbausammlung sei bei der Berechnung des Nachlasswertes bereits berücksichtigt worden; das Grundstück habe laut Wertgutachten zum Todestag nur einen Verkehrswert von 270.000 € gehabt, der auf den Pflichtteilsanspruch des Klägers gezahlte Betrag sei seinerzeit aber anhand eines damals von einer Bank geschätzten Marktwertes von 375.000 € berechnet worden; ferner seien zusätzliche Nachlassverbindlichkeiten zu berücksichtigen. Auf dieser Basis stehe dem Kläger ein Pflichtteilsanspruch i.H.v. 11.362 € zu; die Beklagte habe dem Kläger also zu viel gezahlt.
Die Parteien haben den Rechtsstreit mit einem Vergleich beendet, mit dem sie - gegen eine Zahlung der Beklagten an den Kläger von 5.000 € - alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Erbfall für erledigt erklärten. Das LG hat den Wert des Streitgegenstands für den Rechtsstreit und den Vergleich auf die Wertstufe bis 19.000 € festgesetzt. Gegen diesen Beschluss hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers im eigenen Namen Beschwerde eingelegt. Der Streitwert sei auf die Wertstufe bis 22.000 € festzusetzen, da die Streitwerte der Klage und der Widerklage zu addieren seien. Das OLG gab ihm Recht.
Die Gründe:
Der Gegenstandswert von Klage und Widerklage beträgt rund 19.138 €, denn der Gegenstandswert der Klage beträgt 14.057 € und der Gegenstandswert der Widerklage ist in voller Höhe zu addieren.
Gem. § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG sind die in einer Klage und in einer Widerklage geltend gemachten Ansprüche grundsätzlich zu addieren. Allerdings ist nach § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG nur der Wert des höheren Anspruchs maßgebend, wenn die einander gegenüberstehenden Ansprüche denselben Gegenstand betreffen. Letzteres ist unabhängig vom zivilprozessualen Streitgegenstand bei wirtschaftlicher Identität von Klage und Widerklage der Fall. Diese Identität ist dann gegeben, wenn die Ansprüche aus Klage und Widerklage nicht in der Weise nebeneinander stehen können, dass beiden stattgegeben werden kann, sondern die Verurteilung nach dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des anderen Antrags nach sich zieht.
Dies ist hier zwar an sich der Fall, denn bezüglich des Pflichtteilsanspruchs schließen sich ein weiterer Zahlungsanspruch des Klägers und ein Rückzahlungsanspruch der Beklagten aus. § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG findet aber auch dann keine Anwendung, wenn mit Klage und Widerklage lediglich Teilansprüche aus demselben Rechtsverhältnis hergeleitet werden, die sich rechtlich zwar wechselseitig ausschließen, wirtschaftlich aber nicht überschneiden, sondern unterschiedliche Vermögenspositionen betreffen.
Dementsprechend findet eine Werteaddition nach Maßgabe von § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG auch in den Fällen statt, in denen der Kläger aus einem Rechtsverhältnis einen über geleistete Zahlungen hinausgehenden Rest- oder Mehrbetrag beansprucht, während der Beklagte widerklagend einen Teil der bereits geleisteten Zahlungen als nicht geschuldet zurückverlangt. In einer solchen Situation bildet die aus dem Rechtsverhältnis geschuldete Gesamtzahlung den Gegenstand des Streits der Parteien; es geht wirtschaftlich um die Summe von Klage- und Widerklageforderung.
Auch im Verhältnis der Widerklage zum Klageantrag zu Ziffer 3 handelt es sich nicht um denselben Gegenstand im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG. Die Beklagte war der Ansicht, sie habe eine zu hohe Zahlung auf den Pflichtteilsanspruch des Klägers geleistet; der Kläger war der Ansicht, ihm stehe neben dem Pflichtteilsanspruch auch ein Pflichtteilsergänzungsanspruch zu. Diese Ansprüche bestehen unabhängig voneinander; sie bilden nicht denselben Gegenstand im obigen Sinne, auch wenn ihre Höhe unter Umständen von denselben Faktoren - hier dem Wert des Grundstücks - bestimmt wird.