Subsidiärer Schutz für Familienangehörige eines minderjährigen Schutzberechtigten
EuGH v. 9.9.2021 - C-768/19
Der Sachverhalt:
Das deutsche BVerwG hat darüber zu entscheiden, ob einem Afghanen für Zwecke der Familienzusammenführung mit seinem Sohn, dem in Deutschland subsidiärer Schutz gewährt wurde, ebenfalls subsidiärer Schutz zuzuerkennen ist.
Nach dem deutschen Asylgesetz kann den Eltern eines ledigen Minderjährigen, dem subsidiärer Schutz gewährt wurde, unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls subsidiärer Schutz zuerkannt werden. Im vorliegenden Fall ist insbesondere zu klären, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung der Minderjährigkeit des international Schutzbedürftigen abzustellen ist und ob ggf. die Eigenschaft des Vaters dieses Minderjährigen als Familienangehöriger auch nach dessen Volljährigkeit fortbesteht. Das BVerwG hat den EuGH hierzu um Auslegung der RL 2011/95 ersucht, auf die das Asylgesetz verweist.
Der am 20.4.1998 geborene Sohn war im Laufe des Jahres 2012 nach Deutschland eingereist und hatte dort am 21.8.2012 einen Asylantrag gestellt. Am 13.5.2016, d. h., als er bereits 18 Jahre alt war, lehnte die Bundesbehörde für Migration und Flüchtlinge seinen Asylantrag ab, erkannte ihm aber den subsidiären Schutzstatus zu. Der Vater reiste im Januar 2016 nach Deutschland ein. Im darauffolgenden Monat ersuchte er um Asyl, und am 21.4.2016 stellte er einen förmlichen Asylantrag. Die Bundesbehörde für Migration und Flüchtlinge lehnte seinen Asylantrag mit der Begründung ab, dass sein Sohn am 20.4.2016 volljährig geworden sei.
Der EuGH weist in seinem Urteil darauf hin, dass unter den Umständen des vorliegenden Falls davon auszugehen ist, dass ein Asylantragsteller, der formlos sein Gesuch gestellt hat, als sein Sohn noch minderjährig i.S.v. Art. 2 Buchst. k der RL 2011/95 war, für die Zwecke dieser Bestimmung grundsätzlich als Familienangehöriger der Person, der subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, anzusehen ist.
Außerdem führt der EuGH aus, dass zu den in den Art. 24 bis 35 der RL genannten Leistungen namentlich das Recht auf einen Aufenthaltstitel sowie auf Zugang zu einer Beschäftigung und zu Wohnraum gehören. Der einem Elternteil zuerkannte Schutz könne nicht unter allen Umständen allein wegen des Eintritts der Volljährigkeit des Kindes, dem subsidiärer Schutz zuerkannt worden sei, sofort enden, oder dies könne jedenfalls nicht dazu führen, dass dem betreffenden Elternteil der noch für gewisse Zeit gültige Aufenthaltstitel automatisch entzogen werde.
Die Gründe:
Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der RL 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ist dahin auszulegen, dass in einer Situation, in der ein Asylantragsteller, der in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist ist, in dem sich sein nicht verheiratetes minderjähriges Kind aufhält, und der aus dem subsidiären Schutzstatus, der diesem Kind zuerkannt worden ist, einen Anspruch auf Asyl gemäß den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats - wonach die unter Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der RL 2011/95 fallenden Personen einen solchen Anspruch haben - ableiten will, bei der Entscheidung über seinen Antrag auf internationalen Schutz für die Frage, ob die Person, der internationaler Schutz zuerkannt wurde, "minderjährig" im Sinne dieser Bestimmung ist, auf den Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem der Antragsteller - ggf. formlos - seinen Asylantrag eingereicht hat.
Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der RL 2011/95 i.V.m. ihrem Art. 23 Abs. 2 und Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass der Begriff "Familienangehöriger" keine tatsächliche Wiederaufnahme des Familienlebens zwischen dem Elternteil der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, und seinem Kind verlangt.
Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der RL 2011/95 i.V.m. ihrem Art. 23 Abs. 2 ist dahin auszulegen, dass die Rechte, über die die Familienangehörigen einer Person, der subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, aufgrund des ihrem Kind zustehenden subsidiären Schutzstatus verfügen, und insbesondere die in den Art. 24 bis 35 der RL genannten Leistungen nach Eintritt der Volljährigkeit der betreffenden Person für die Geltungsdauer des ihnen gemäß Art. 24 Abs. 2 der RL erteilten Aufenthaltstitels fortbestehen.
EuGH PM vom 9.9.2021
Das deutsche BVerwG hat darüber zu entscheiden, ob einem Afghanen für Zwecke der Familienzusammenführung mit seinem Sohn, dem in Deutschland subsidiärer Schutz gewährt wurde, ebenfalls subsidiärer Schutz zuzuerkennen ist.
Nach dem deutschen Asylgesetz kann den Eltern eines ledigen Minderjährigen, dem subsidiärer Schutz gewährt wurde, unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls subsidiärer Schutz zuerkannt werden. Im vorliegenden Fall ist insbesondere zu klären, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung der Minderjährigkeit des international Schutzbedürftigen abzustellen ist und ob ggf. die Eigenschaft des Vaters dieses Minderjährigen als Familienangehöriger auch nach dessen Volljährigkeit fortbesteht. Das BVerwG hat den EuGH hierzu um Auslegung der RL 2011/95 ersucht, auf die das Asylgesetz verweist.
Der am 20.4.1998 geborene Sohn war im Laufe des Jahres 2012 nach Deutschland eingereist und hatte dort am 21.8.2012 einen Asylantrag gestellt. Am 13.5.2016, d. h., als er bereits 18 Jahre alt war, lehnte die Bundesbehörde für Migration und Flüchtlinge seinen Asylantrag ab, erkannte ihm aber den subsidiären Schutzstatus zu. Der Vater reiste im Januar 2016 nach Deutschland ein. Im darauffolgenden Monat ersuchte er um Asyl, und am 21.4.2016 stellte er einen förmlichen Asylantrag. Die Bundesbehörde für Migration und Flüchtlinge lehnte seinen Asylantrag mit der Begründung ab, dass sein Sohn am 20.4.2016 volljährig geworden sei.
Der EuGH weist in seinem Urteil darauf hin, dass unter den Umständen des vorliegenden Falls davon auszugehen ist, dass ein Asylantragsteller, der formlos sein Gesuch gestellt hat, als sein Sohn noch minderjährig i.S.v. Art. 2 Buchst. k der RL 2011/95 war, für die Zwecke dieser Bestimmung grundsätzlich als Familienangehöriger der Person, der subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, anzusehen ist.
Außerdem führt der EuGH aus, dass zu den in den Art. 24 bis 35 der RL genannten Leistungen namentlich das Recht auf einen Aufenthaltstitel sowie auf Zugang zu einer Beschäftigung und zu Wohnraum gehören. Der einem Elternteil zuerkannte Schutz könne nicht unter allen Umständen allein wegen des Eintritts der Volljährigkeit des Kindes, dem subsidiärer Schutz zuerkannt worden sei, sofort enden, oder dies könne jedenfalls nicht dazu führen, dass dem betreffenden Elternteil der noch für gewisse Zeit gültige Aufenthaltstitel automatisch entzogen werde.
Die Gründe:
Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der RL 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ist dahin auszulegen, dass in einer Situation, in der ein Asylantragsteller, der in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist ist, in dem sich sein nicht verheiratetes minderjähriges Kind aufhält, und der aus dem subsidiären Schutzstatus, der diesem Kind zuerkannt worden ist, einen Anspruch auf Asyl gemäß den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats - wonach die unter Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der RL 2011/95 fallenden Personen einen solchen Anspruch haben - ableiten will, bei der Entscheidung über seinen Antrag auf internationalen Schutz für die Frage, ob die Person, der internationaler Schutz zuerkannt wurde, "minderjährig" im Sinne dieser Bestimmung ist, auf den Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem der Antragsteller - ggf. formlos - seinen Asylantrag eingereicht hat.
Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der RL 2011/95 i.V.m. ihrem Art. 23 Abs. 2 und Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass der Begriff "Familienangehöriger" keine tatsächliche Wiederaufnahme des Familienlebens zwischen dem Elternteil der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, und seinem Kind verlangt.
Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der RL 2011/95 i.V.m. ihrem Art. 23 Abs. 2 ist dahin auszulegen, dass die Rechte, über die die Familienangehörigen einer Person, der subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, aufgrund des ihrem Kind zustehenden subsidiären Schutzstatus verfügen, und insbesondere die in den Art. 24 bis 35 der RL genannten Leistungen nach Eintritt der Volljährigkeit der betreffenden Person für die Geltungsdauer des ihnen gemäß Art. 24 Abs. 2 der RL erteilten Aufenthaltstitels fortbestehen.