19.05.2022

Teilreparatur eines Unfallfahrzeugs: Keine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensberechnung

Wählt der Geschädigte den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, kann er den Ersatz von Umsatzsteuer nicht verlangen. Dies gilt auch dann, wenn im Rahmen einer durchgeführten Reparatur tatsächlich Umsatzsteuer angefallen ist. Eine Kombination fiktiver und konkreter Schadensberechnung ist insoweit nicht zulässig (hier: Teilreparatur zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit des Unfallfahrzeugs).

BGH v. 5.4.2022 - VI ZR 7/21
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt den beklagten Haftpflichtversicherer nach einem Verkehrsunfall auf Ersatz der von ihr für eine Teilreparatur gezahlten Umsatzsteuer in Anspruch.

Das Fahrzeug der Klägerin wurde am 22.7.2019 bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Die volle Haftung der Beklagten als Haftpflichtversicherer des unfallverursachenden Fahrzeugs steht dem Grunde nach außer Streit. In einem von der Klägerin vorprozessual eingeholten Gutachten bezifferte ein Sachverständiger die Nettoreparaturkosten auf rd. 5.500 €, wobei die Betriebs- und Verkehrssicherheit des Fahrzeugs ausweislich des Sachverständigengutachtens durch den Unfall nicht beeinflusst war.

Die Klägerin rechnete fiktiv auf Gutachtenbasis ab; die Beklagte erstattete auf dieser Grundlage die Nettoreparaturkosten. Die Klägerin ließ sodann eine Teilreparatur durchführen, für die Kosten i.H.v. rd. 4.450 € netto zzgl. Umsatzsteuer i.H.v. rd. 850 € anfielen. Mit ihrer Klage macht die Klägerin Ersatz der geleisteten Umsatzsteuer zzgl. Zinsen sowie Erstattung insoweit angefallener vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten geltend.

AG und LG wiesen die Klage ab. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Es kann vorliegend offenbleiben, ob das LG allein aufgrund des vorprozessual eingeholten Privatgutachtens von der Verkehrssicherheit des klägerischen Fahrzeugs auch in unrepariertem Zustand ausgehen durfte. Der Klägerin stünde auch dann kein Anspruch auf Erstattung der auf die Teilreparatur angefallenen Umsatzsteuer i.H.v. rd. 850 € zu, wenn die erfolgte Teilreparatur zur Wiederherstellung der Verkehrs- und Betriebssicherheit des klägerischen Fahrzeugs erforderlich gewesen sein sollte. Da die Klägerin den Weg der fiktiven Schadensabrechnung gewählt hat und nicht zu einer konkreten Berechnung ihres Schadens auf der Grundlage der durchgeführten Reparatur übergegangen ist, kann sie nicht den Ersatz der im Rahmen der Teilreparatur angefallenen Umsatzsteuer verlangen. Eine Kombination fiktiver und konkreter Schadensberechnung ist insoweit nicht zulässig.

Gem. § 249 Abs. 1 BGB hat der zum Schadensersatz Verpflichtete den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Ist wegen der Verletzung einer Person oder der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gem. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Ob dabei fiktiv auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens oder konkret nach den tatsächlich aufgewendeten Kosten abgerechnet wird, betrifft lediglich die Art der Schadensberechnung. Die unterschiedlichen Abrechnungsarten dürfen aber nicht miteinander vermengt werden. So ist insbesondere eine Kombination von konkreter und fiktiver Schadensabrechnung unzulässig. Hierdurch soll nicht nur verhindert werden, dass sich der Geschädigte unter Missachtung des schadensrechtlichen Bereicherungsverbots die ihm vorteilhaften Elemente der jeweiligen Berechnungsart aussucht ("Rosinenpicken"), sondern auch den unterschiedlichen Grundlagen der jeweiligen Abrechnung Rechnung getragen und deren innere Kohärenz sichergestellt werden.

Dem durch einen Verkehrsunfall Geschädigten entsteht durch das Vermischungsverbot kein Nachteil. Auch wenn er seinen Fahrzeugschaden zunächst fiktiv abgerechnet hat, kann er später - im Rahmen der rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Schadensabrechnung und der Verjährung - grundsätzlich zur konkreten Schadensabrechnung übergehen und Ersatz der tatsächlich angefallenen Kosten verlangen. Wählt der Geschädigte den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, kann er den Ersatz von Umsatzsteuer nicht beanspruchen. Dies gilt auch dann, wenn - wie hier - im Rahmen einer durchgeführten Reparatur tatsächlich Umsatzsteuer angefallen ist. Eine Kombination fiktiver und konkreter Schadensberechnung ist insoweit nicht zulässig. Gem. § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB schließt der bei der Beschädigung einer Sache zur Wiederherstellung erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist. Die Umsatzsteuer ist hingegen nicht zu ersetzen, wenn und soweit sie fiktiv bleibt. Die Vorschrift des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB begrenzt insoweit die Dispositionsfreiheit des Geschädigten.

Die Umsatzsteuer bleibt nicht nur dann fiktiv in diesem Sinne, wenn es nicht zu einer umsatzsteuerpflichtigen Reparatur oder Ersatzbeschaffung kommt; sie bleibt es vielmehr auch dann, wenn der Geschädigte zwar tatsächlich eine Restitutionsmaßnahme veranlasst, diese Maßnahme aber nicht zur Grundlage seiner Abrechnung macht, sondern seinen Schaden fiktiv und damit ohne Bezug zu den tatsächlich getätigten Aufwendungen auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens abrechnet. Wie bereits ausgeführt, darf der Geschädigte die tatsächlich erfolgte Restitutionsmaßnahme dann auch nicht teilweise - in Bezug auf die angefallene Umsatzsteuer - zum Gegenstand seiner im Übrigen fiktiven Abrechnung machen.

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