Terrassen- und Balkonsanierung: Spätere Änderung des Kostenverteilerschlüssels ungültig
LG Frankfurt a.M. v. 15.12.2022 - 2-13 S 20/22
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Mitglied der beklagten WEG. Sie ist zudem Sondereigentümerin einer Einheit mit Dachterrasse. Andere Einheiten verfügen über einen Balkon. In der Versammlung vom 17.11.2019 hatten die Eigentümer mit Blick auf die Sanierung der Terrassen- und Balkongeländer zwei inzwischen bestandskräftige Beschlüsse gefasst. Der Beschluss zur laufenden Nr. 21 der Beschluss-Sammlung sah die Beauftragung eines Angebots zur Sanierung der Dachterrasse (rund 86 lfm.) bei veranschlagten Kosten von insgesamt rund 66.000 € bei einer Finanzierung der Kosten aus der Instandhaltungsrücklage vor. Unter laufender Nr. 22 beschlossen die Eigentümer die Beauftragung der Sanierung der Geländer der 16 Balkone mit veranschlagten Kosten von 66.000 € mit einer Finanzierung der Maßnahme durch eine Sonderumlage nach Miteigentumsanteil (MEA) i.H.v. 40.000 €.
Auf der Versammlung am 31.7.2021 wurde unter TOP 3 zunächst erörtert, ob die Kosten der "Balkonsanierung" nach laufendem Meter oder nach MEA zu verteilen wären. Die Verwalterin hatte die Jahresabrechnung in zwei Varianten vorbereitet. Mehrheitlich beschlossen die Eigentümer die Variante mit der Verteilung nach laufendem Meter. Danach fielen der Klägerin 86 von insgesamt 182 Metern zur Last; ihr MEA betrug 160/1.000.
Das AG hat die gegen den Beschluss erhobene Anfechtungsklage abgewiesen. Die Eigentümer seien nicht gehindert, eine Verteilung nach einem anderen Verteilungsschlüssel vorzunehmen als nach demjenigen, der für den die Finanzierung der Maßnahme dienenden Sonderwirtschaftsplan gewählt wurde. Die Klägerin war der Ansicht, dass die Beschlüsse aus der Versammlung vom 17.11.2019 die Gemeinschaft bänden, die Voraussetzungen für einen abändernden Zweitbeschluss nicht vorlägen und schutzwürdige Belange der Klägerin, die bei der Verteilung nach MEA weitaus bessergestellt wäre, konterkariert würden.
Die Berufung der Klägerin war erfolgreich und führte unter Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils zur Ungültigerklärung des Beschlusses über die Jahresabrechnung insgesamt.
Die Gründe:
Die Änderung des Verteilerschlüssels widersprach ordnungsmäßiger Verwaltung, weil schützenswertes Vertrauen der Klägerin verletzt wurde.
Die Eigentümer hatten sich bei dem Beschluss in den Grenzen ordnungsmäßiger Verwaltung zu halten, insbesondere auf schützenswertes Vertrauen in die bestehende Kostenverteilungsabrede Rücksicht zu nehmen und schutzwürdige Belange aus dem Inhalt und den Wirkungen des vorangegangenen Beschlusses zu berücksichtigen. Ob eine Abweichung von einem bereits feststehenden Verteilungsschlüssel im Nachhinein nur ausnahmsweise bei Vorliegen besonderer Umstände in Betracht kommt, etwa wenn der bisherige Schlüssel unbrauchbar oder in hohem Maße unpraktikabel ist oder dessen Anwendung zu grob unbilligen Ergebnissen führt oder ob angesichts der vom Gesetzgeber beabsichtigen Stärkung der Mehrheitsmacht im Wesentlichen nur noch das Willkürverbot gilt, kann dahinstehen.
Nach ersterem Maßstab wäre eine Änderung ausgeschlossen, denn zweifellos ist in Anbetracht des weiten Spielraums, den die Wohnungseigentümer bei der Auswahl eines angemessenen Kostenverteilungsschlüssels genießen, auch die Verteilung nach MEA als sachgerecht anzusehen und führte hier trotz der Bevorteilung der Klägerin nicht zu insgesamt groß unbilligen Ergebnissen. Nach letzterem Maßstab wäre eine Änderung des Verteilungsschlüssels zwar grundsätzlich möglich. Denn zweifellos wäre auch eine Verteilung nach laufendem Meter sachgerecht, zumal auch schon wegen eines denkbaren Widerspruchs zur Teilungserklärung ein sachlicher Grund für einen Änderungsbeschluss vorliegen mag. Zusätzlich zur Einschränkung, dass der neu gewählte Verteilungsschlüssel nicht willkürlich ausfallen darf, haben die Wohnungseigentümer aber stets das Gebot der Rücksichtnahme auf schutzwürdiges Vertrauen aus Inhalt und Wirkung des Erstbeschlusses hinreichend zu beachten; dies ist eine Frage des Einzelfalls.
Nach den Umständen des Einzelfalls ist dem Gebot der Rücksichtnahme auf schutzwürdiges Vertrauen im vorliegenden Fall nicht hinreichend Rechnung getragen worden. Die Beschlüsse vom 17.11.2019 sind bestandskräftig. In ihnen war die Frage der Durchführung der Maßnahme untrennbar mit dem Modus der Finanzierung verbunden; hierüber wurde jeweils einheitlich abgestimmt. Gerade in Fällen, wie dem hiesigen, in denen mit einer Sanierungsmaßnahme nicht unerhebliche Kosten verknüpft sind, hängt die Zustimmung zur Durchführung der Maßnahme ganz entscheidend von der Verteilung der Kosten ab. Das Ausmaß der eigenen finanziellen Belastung wird auch regelmäßig ein Beweggrund sein, die Anfechtbarkeit eines Sanierungsbeschlusses zu prüfen. Insoweit war die Sachlage in der hier zu entscheidenden Konstellation auch anders, als bei der nachträglichen Änderung eines Verteilerschlüssels für laufende, ohnehin anfallende Kosten (etwa Müllkosten), bei denen das "ob" des Anfallens nicht in Frage steht und daher das Vertrauen auf den Verteilungsschlüssel vor einem Beschluss über die Jahresabrechnung ggf. weniger schutzwürdig ist.
Da die Beschlüsse hier bestandskräftig wurden und die ihnen zu Grunde liegende Kostenverteilung auch nicht grob unbillig war, durfte die Klägerin berechtigtes Vertrauen in eine Kostenverteilung nach MEA fassen. Da nach alledem jedenfalls eine Position, nämlich die Verteilung der Sanierungskosten in der Jahresabrechnung fehlerhaft war, war der Beschluss über die Jahresabrechnung insgesamt für ungültig zu erklären, denn die Beschlussfassung erfasste nur noch das Ergebnis - also die Anpassung der Vorschüsse. Dies entsprach auch der BGH-Rechtsprechung zum alten Recht, wonach auch schon die bisher möglich teilweise Ungültigerklärung des Beschlusses über die Jahresabrechnung in jedem Fall vollständig zur Ungültigkeit der Abrechnungsspitzen führte. Da nur noch die Abrechnungsspitzen Gegenstand der Beschlussfassung waren, gab es keinen Grund, nun zu einem anderen Ergebnis zu gelangen. Anders als früher können die Beträge bezüglich der Einzelpositionen nicht mehr in Bestandskraft erwachsen, da sie - ebenso wie die Gesamtabrechnung - nicht mehr Beschlussgegenstand sind.
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Die Klägerin ist Mitglied der beklagten WEG. Sie ist zudem Sondereigentümerin einer Einheit mit Dachterrasse. Andere Einheiten verfügen über einen Balkon. In der Versammlung vom 17.11.2019 hatten die Eigentümer mit Blick auf die Sanierung der Terrassen- und Balkongeländer zwei inzwischen bestandskräftige Beschlüsse gefasst. Der Beschluss zur laufenden Nr. 21 der Beschluss-Sammlung sah die Beauftragung eines Angebots zur Sanierung der Dachterrasse (rund 86 lfm.) bei veranschlagten Kosten von insgesamt rund 66.000 € bei einer Finanzierung der Kosten aus der Instandhaltungsrücklage vor. Unter laufender Nr. 22 beschlossen die Eigentümer die Beauftragung der Sanierung der Geländer der 16 Balkone mit veranschlagten Kosten von 66.000 € mit einer Finanzierung der Maßnahme durch eine Sonderumlage nach Miteigentumsanteil (MEA) i.H.v. 40.000 €.
Auf der Versammlung am 31.7.2021 wurde unter TOP 3 zunächst erörtert, ob die Kosten der "Balkonsanierung" nach laufendem Meter oder nach MEA zu verteilen wären. Die Verwalterin hatte die Jahresabrechnung in zwei Varianten vorbereitet. Mehrheitlich beschlossen die Eigentümer die Variante mit der Verteilung nach laufendem Meter. Danach fielen der Klägerin 86 von insgesamt 182 Metern zur Last; ihr MEA betrug 160/1.000.
Das AG hat die gegen den Beschluss erhobene Anfechtungsklage abgewiesen. Die Eigentümer seien nicht gehindert, eine Verteilung nach einem anderen Verteilungsschlüssel vorzunehmen als nach demjenigen, der für den die Finanzierung der Maßnahme dienenden Sonderwirtschaftsplan gewählt wurde. Die Klägerin war der Ansicht, dass die Beschlüsse aus der Versammlung vom 17.11.2019 die Gemeinschaft bänden, die Voraussetzungen für einen abändernden Zweitbeschluss nicht vorlägen und schutzwürdige Belange der Klägerin, die bei der Verteilung nach MEA weitaus bessergestellt wäre, konterkariert würden.
Die Berufung der Klägerin war erfolgreich und führte unter Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils zur Ungültigerklärung des Beschlusses über die Jahresabrechnung insgesamt.
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Die Änderung des Verteilerschlüssels widersprach ordnungsmäßiger Verwaltung, weil schützenswertes Vertrauen der Klägerin verletzt wurde.
Die Eigentümer hatten sich bei dem Beschluss in den Grenzen ordnungsmäßiger Verwaltung zu halten, insbesondere auf schützenswertes Vertrauen in die bestehende Kostenverteilungsabrede Rücksicht zu nehmen und schutzwürdige Belange aus dem Inhalt und den Wirkungen des vorangegangenen Beschlusses zu berücksichtigen. Ob eine Abweichung von einem bereits feststehenden Verteilungsschlüssel im Nachhinein nur ausnahmsweise bei Vorliegen besonderer Umstände in Betracht kommt, etwa wenn der bisherige Schlüssel unbrauchbar oder in hohem Maße unpraktikabel ist oder dessen Anwendung zu grob unbilligen Ergebnissen führt oder ob angesichts der vom Gesetzgeber beabsichtigen Stärkung der Mehrheitsmacht im Wesentlichen nur noch das Willkürverbot gilt, kann dahinstehen.
Nach ersterem Maßstab wäre eine Änderung ausgeschlossen, denn zweifellos ist in Anbetracht des weiten Spielraums, den die Wohnungseigentümer bei der Auswahl eines angemessenen Kostenverteilungsschlüssels genießen, auch die Verteilung nach MEA als sachgerecht anzusehen und führte hier trotz der Bevorteilung der Klägerin nicht zu insgesamt groß unbilligen Ergebnissen. Nach letzterem Maßstab wäre eine Änderung des Verteilungsschlüssels zwar grundsätzlich möglich. Denn zweifellos wäre auch eine Verteilung nach laufendem Meter sachgerecht, zumal auch schon wegen eines denkbaren Widerspruchs zur Teilungserklärung ein sachlicher Grund für einen Änderungsbeschluss vorliegen mag. Zusätzlich zur Einschränkung, dass der neu gewählte Verteilungsschlüssel nicht willkürlich ausfallen darf, haben die Wohnungseigentümer aber stets das Gebot der Rücksichtnahme auf schutzwürdiges Vertrauen aus Inhalt und Wirkung des Erstbeschlusses hinreichend zu beachten; dies ist eine Frage des Einzelfalls.
Nach den Umständen des Einzelfalls ist dem Gebot der Rücksichtnahme auf schutzwürdiges Vertrauen im vorliegenden Fall nicht hinreichend Rechnung getragen worden. Die Beschlüsse vom 17.11.2019 sind bestandskräftig. In ihnen war die Frage der Durchführung der Maßnahme untrennbar mit dem Modus der Finanzierung verbunden; hierüber wurde jeweils einheitlich abgestimmt. Gerade in Fällen, wie dem hiesigen, in denen mit einer Sanierungsmaßnahme nicht unerhebliche Kosten verknüpft sind, hängt die Zustimmung zur Durchführung der Maßnahme ganz entscheidend von der Verteilung der Kosten ab. Das Ausmaß der eigenen finanziellen Belastung wird auch regelmäßig ein Beweggrund sein, die Anfechtbarkeit eines Sanierungsbeschlusses zu prüfen. Insoweit war die Sachlage in der hier zu entscheidenden Konstellation auch anders, als bei der nachträglichen Änderung eines Verteilerschlüssels für laufende, ohnehin anfallende Kosten (etwa Müllkosten), bei denen das "ob" des Anfallens nicht in Frage steht und daher das Vertrauen auf den Verteilungsschlüssel vor einem Beschluss über die Jahresabrechnung ggf. weniger schutzwürdig ist.
Da die Beschlüsse hier bestandskräftig wurden und die ihnen zu Grunde liegende Kostenverteilung auch nicht grob unbillig war, durfte die Klägerin berechtigtes Vertrauen in eine Kostenverteilung nach MEA fassen. Da nach alledem jedenfalls eine Position, nämlich die Verteilung der Sanierungskosten in der Jahresabrechnung fehlerhaft war, war der Beschluss über die Jahresabrechnung insgesamt für ungültig zu erklären, denn die Beschlussfassung erfasste nur noch das Ergebnis - also die Anpassung der Vorschüsse. Dies entsprach auch der BGH-Rechtsprechung zum alten Recht, wonach auch schon die bisher möglich teilweise Ungültigerklärung des Beschlusses über die Jahresabrechnung in jedem Fall vollständig zur Ungültigkeit der Abrechnungsspitzen führte. Da nur noch die Abrechnungsspitzen Gegenstand der Beschlussfassung waren, gab es keinen Grund, nun zu einem anderen Ergebnis zu gelangen. Anders als früher können die Beträge bezüglich der Einzelpositionen nicht mehr in Bestandskraft erwachsen, da sie - ebenso wie die Gesamtabrechnung - nicht mehr Beschlussgegenstand sind.
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