Tiergefahr: Instinktgemäßes selbsttätiges Verhalten eines erkrankten Tieres
OLG Bamberg v. 28.4.2021, 3 U 272/20
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist die Tochter des Beklagten, der wiederum Halter einer Hündin ist. Wie schon in früheren Fällen hatte der Beklagte vor einer Urlaubsreise seine Hündin bei den Klägern in Obhut gegeben. Die Klägerin hatte am 8.6.2018 gegen 00:30 Uhr die gemeinsame Wohnung verlassen und wegen einer akuten Erkrankung ihres Ehemannes eine Klinik aufgesucht. Die Hündin war unbeaufsichtigt in der Wohnung zurückgeblieben.
Während der Abwesenheit des erst gegen 04:30 Uhr zurückgekehrten Ehepaares hatte die an einer - bis dahin nicht erkennbaren - schweren Magen-Darmstörung in der Form einer "basophilen Gastroenteritis allergischer Genese" erkrankte Hündin die klägerische Wohnung großflächig mit blutigem Kot verunreinigt; betroffen waren insbesondere die Wände, der Parkettboden und verschiedene Möbelstücke des Wohnzimmers.
Die Klägerin verlangte vom Beklagten auf Grundlage eines Kostenvoranschlags Schadensersatz i.H.v. rund 6.628 € netto In der Nacht des Vorfalls sei die Hündin schlafend im Flur zurückgelassen worden, nachdem die Klägerin zuvor alle vom Flur abgehenden Türen geschlossen hätte. Die Hündin müsse diese "selbständig" geöffnet haben, was zuvor noch nie vorgekommen sei. Ihnen sei bekannt, dass das Tier von dem Beklagten nach einem festen Speiseplan ausschließlich mit hochwertigem Futter ernährt werde; auch sie hätten die Hündin nach diesen Vorgaben ernährt. Die Erkrankung der Hündin sei für sie nicht erkennbar gewesen.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Es bestehe kein Anspruch der Klägerin aus § 833 Satz 1 BGB, weil sich keine typische Tiergefahr realisiert habe. Es fehle ein tierisches, also willens- oder zumindest instinktgesteuertes Verhalten, da die Hündin den Kotabsatz nicht habe kontrollieren können. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG das Urteil aufgehoben und die Sache im Hinblick auf das Betragsverfahren sowie die Prüfung des Mitverschuldeneinwands an die Vorinstanz zurückverwiesen.
Die Gründe:
Entgegen der Ansicht des LG hat die Klägerin einen Sachverhalt dargetan, der die Tatbestandsvoraussetzungen einer Tierhalterhaftung nach § 833 Satz 1 BGB ausfüllt.
Die verschuldensunabhängige Tierhalterhaftung ist gleichsam der Preis dafür, dass andere erlaubtermassen der nur unzulänglich beherrschbaren Tiergefahr ausgesetzt werden. Eine typische Tiergefahr äußert sich in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren oder aber auch instinktgemäßen selbsttätigen Verhalten des Tieres. An der Verwirklichung der spezifischen Tiergefahr fehlt es daher von vornherein nur dann, wenn keinerlei eigene Energie des Tieres an dem Geschehen beteiligt ist oder wenn das Tier lediglich der Leitung und dem Willen eines Menschen folg.
Demnach hat sich im Streitfall auch nach der Vorgabe eines selbstgesteuerten Verhaltens des Tieres in der schadensträchtigen Vorgehensweise der Hündin eine typische Tiergefahr i.S.d. § 833 Satz 1 BGB verwirklicht. An einem selbsttätigen Verhalten des Tieres fehlt es nicht bereits deshalb, weil das Tier infolge einer schweren Magen-Darm-Erkrankung zu einem kontrollierten Kotabsatz nicht mehr in der Lage gewesen war. Denn auch eine in einem hohen Grad zwangshafte Reaktion auf eine schwere organische Störung kann ein (instinktmäßiges) selbsttätiges Verhalten des erkrankten Tieres darstellen.
Der Umstand, dass die auf ein Mitverschulden der Klägerseite hinweisenden Vorgänge zugleich Elemente des haftungsbegründenden Sachverhalts sind, steht einem Grundurteil - ausnahmsweise - dann nicht entgegen, wenn der im Raum stehende Sorgfaltsverstoß nach Lage der Dinge nach "lediglich" dazu geführt haben kann, dass sich der Schadenseintritt in einen anderen - noch schadensanfälligeren - Bereich verlagert hat, ohne dass sich daran der weitergehende Vorwurf knüpfen lässt, dass andernfalls ein substantieller Schaden von vornherein ausgeblieben wäre. Eine abschließende Entscheidung durch den Senat kommt jedoch nicht in Betracht, da das LG aufgrund seiner unzutreffenden Rechtsauffassung noch keinerlei Feststellungen zur Anspruchshöhe getroffen hat und der Rechtsstreit daher hinsichtlich der Höhe des den Kläger zustehenden Anspruchs noch nicht zur Entscheidung reif ist.
Bayern.Recht
Die Klägerin ist die Tochter des Beklagten, der wiederum Halter einer Hündin ist. Wie schon in früheren Fällen hatte der Beklagte vor einer Urlaubsreise seine Hündin bei den Klägern in Obhut gegeben. Die Klägerin hatte am 8.6.2018 gegen 00:30 Uhr die gemeinsame Wohnung verlassen und wegen einer akuten Erkrankung ihres Ehemannes eine Klinik aufgesucht. Die Hündin war unbeaufsichtigt in der Wohnung zurückgeblieben.
Während der Abwesenheit des erst gegen 04:30 Uhr zurückgekehrten Ehepaares hatte die an einer - bis dahin nicht erkennbaren - schweren Magen-Darmstörung in der Form einer "basophilen Gastroenteritis allergischer Genese" erkrankte Hündin die klägerische Wohnung großflächig mit blutigem Kot verunreinigt; betroffen waren insbesondere die Wände, der Parkettboden und verschiedene Möbelstücke des Wohnzimmers.
Die Klägerin verlangte vom Beklagten auf Grundlage eines Kostenvoranschlags Schadensersatz i.H.v. rund 6.628 € netto In der Nacht des Vorfalls sei die Hündin schlafend im Flur zurückgelassen worden, nachdem die Klägerin zuvor alle vom Flur abgehenden Türen geschlossen hätte. Die Hündin müsse diese "selbständig" geöffnet haben, was zuvor noch nie vorgekommen sei. Ihnen sei bekannt, dass das Tier von dem Beklagten nach einem festen Speiseplan ausschließlich mit hochwertigem Futter ernährt werde; auch sie hätten die Hündin nach diesen Vorgaben ernährt. Die Erkrankung der Hündin sei für sie nicht erkennbar gewesen.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Es bestehe kein Anspruch der Klägerin aus § 833 Satz 1 BGB, weil sich keine typische Tiergefahr realisiert habe. Es fehle ein tierisches, also willens- oder zumindest instinktgesteuertes Verhalten, da die Hündin den Kotabsatz nicht habe kontrollieren können. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG das Urteil aufgehoben und die Sache im Hinblick auf das Betragsverfahren sowie die Prüfung des Mitverschuldeneinwands an die Vorinstanz zurückverwiesen.
Die Gründe:
Entgegen der Ansicht des LG hat die Klägerin einen Sachverhalt dargetan, der die Tatbestandsvoraussetzungen einer Tierhalterhaftung nach § 833 Satz 1 BGB ausfüllt.
Die verschuldensunabhängige Tierhalterhaftung ist gleichsam der Preis dafür, dass andere erlaubtermassen der nur unzulänglich beherrschbaren Tiergefahr ausgesetzt werden. Eine typische Tiergefahr äußert sich in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren oder aber auch instinktgemäßen selbsttätigen Verhalten des Tieres. An der Verwirklichung der spezifischen Tiergefahr fehlt es daher von vornherein nur dann, wenn keinerlei eigene Energie des Tieres an dem Geschehen beteiligt ist oder wenn das Tier lediglich der Leitung und dem Willen eines Menschen folg.
Demnach hat sich im Streitfall auch nach der Vorgabe eines selbstgesteuerten Verhaltens des Tieres in der schadensträchtigen Vorgehensweise der Hündin eine typische Tiergefahr i.S.d. § 833 Satz 1 BGB verwirklicht. An einem selbsttätigen Verhalten des Tieres fehlt es nicht bereits deshalb, weil das Tier infolge einer schweren Magen-Darm-Erkrankung zu einem kontrollierten Kotabsatz nicht mehr in der Lage gewesen war. Denn auch eine in einem hohen Grad zwangshafte Reaktion auf eine schwere organische Störung kann ein (instinktmäßiges) selbsttätiges Verhalten des erkrankten Tieres darstellen.
Der Umstand, dass die auf ein Mitverschulden der Klägerseite hinweisenden Vorgänge zugleich Elemente des haftungsbegründenden Sachverhalts sind, steht einem Grundurteil - ausnahmsweise - dann nicht entgegen, wenn der im Raum stehende Sorgfaltsverstoß nach Lage der Dinge nach "lediglich" dazu geführt haben kann, dass sich der Schadenseintritt in einen anderen - noch schadensanfälligeren - Bereich verlagert hat, ohne dass sich daran der weitergehende Vorwurf knüpfen lässt, dass andernfalls ein substantieller Schaden von vornherein ausgeblieben wäre. Eine abschließende Entscheidung durch den Senat kommt jedoch nicht in Betracht, da das LG aufgrund seiner unzutreffenden Rechtsauffassung noch keinerlei Feststellungen zur Anspruchshöhe getroffen hat und der Rechtsstreit daher hinsichtlich der Höhe des den Kläger zustehenden Anspruchs noch nicht zur Entscheidung reif ist.