30.08.2023

Treu und Glauben und treuwidrige Abrechnung nach Mindestsätzen der HOAI

Erweist sich eine Abrechnung nach den Mindestsätzen der HOAI ausnahmsweise als treuwidrig, weil das Vertrauen des Auftraggebers auf das vereinbarte niedrigere Honorar schutzwürdig ist, liegen nicht zugleich die Voraussetzungen vor, unter denen der Architekt nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert ist, sich auf das Fehlen einer schriftlichen und damit formwirksamen Vereinbarung bei Auftragserteilung (§ 7 Abs. 1 HOAI) zu berufen. Hierzu bedarf es Feststellungen dazu, dass dies zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führen würde und es daher gem. § 242 BGB rechtsmissbräuchlich ist, sich auf die Formunwirksamkeit zu berufen.

BGH v. 3.8.2023 - VII ZR 102/22
Der Sachverhalt:
Die Klägerin fordert von der Beklagten die Zahlung restlichen Architektenhonorars. Die Beklagte wurde von der Landesstraßenbaubehörde S. am 28.5.2013 mit Planungsleistungen für eine Flutbrücke und deren Errichtung beauftragt. Sie beauftragte ihrerseits die Klägerin mit den Planungsleistungen. Vor Beginn ihrer Arbeiten unterbreitete die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 4.6.2013 ein Angebot über die Planungsleistungen für ein Honorar i.H.v. rd. 310.000 € netto, welches die Beklagte nicht annahm. Die Klägerin begann dennoch mit den Planungen. In der Folge unterbreitete sie der Beklagten ein weiteres Angebot über ein Pauschalhonorar i.H.v. 400.000 €, in dem die letztlich beauftragten Leistungen mit einem Betrag i.H.v. 170.000 € bewertet wurden. Die Beklagte unterzeichnete diesen Vertrag nicht, sondern übersandte ihrerseits unter dem 18.7.2014 der Klägerin einen Vertragsentwurf, in dem das Honorar mit rd. 160.000 € angegeben wurde. Dieser Entwurf wurde von der Klägerin nicht unterzeichnet.

Die Klägerin stellte während der Leistungserbringung mehrere Abschlagsrechnungen, die von der Beklagten bezahlt wurden. Darin wurde jeweils auf "bestehende Vereinbarungen" Bezug genommen. Mit Schreiben vom 18.6.2015 übersandte die Klägerin der Beklagten eine 6. Abschlagsrechnung, mit der sie ihre Leistungen bis auf eine Bestandsunterlage als vollständig erbracht mit 170.000 € netto abzgl. eines Betrags i.H.v. 1.000 € für die fehlende Unterlage in Rechnung stellte. Die Beklagte kürzte den Betrag auf rd. 160.000 €. Dieser Kürzung widersprach die Klägerin unter Hinweis auf die getroffenen Vereinbarungen. Nachdem die Beklagte eine Zahlung i.H.v. rd. 160.000 € geleistet und die Bezahlung eines weiteren Honorars auf der Grundlage eines Nettohonorars i.H.v. 170.000 € verweigert hatte, rechnete die Klägerin ihre Leistungen auf der Basis der Mindestsätze der HOAI (2013) ab. Mit der Klage machte sie ein über die erfolgte Zahlung der Beklagten hinausgehendes weiteres Honorar i.H.v. rd. 110.000 € geltend.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, der Klägerin sei es nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, ihren Honoraranspruch auf der Basis der Mindestsätze der HOAI zu berechnen. Insoweit kann für die Beurteilung, ob der Einwand der Treuwidrigkeit durchgreift, dahinstehen, ob sich die Honorarberechnung nach der HOAI (2009) richtet, wie die Beklagte geltend macht, oder ob die HOAI (2013) Anwendung findet, wovon das OLG in Übereinstimmung mit der Klägerin ausgeht, da die maßgeblichen Vorschriften in § 7 Abs. 1, 3 HOAI in beiden Fassungen wortgleich sind.

Das OLG geht rechtsfehlerhaft davon aus, dass für den Fall, dass sich unter Berücksichtigung der vom BGH aufgestellten Grundsätze eine Abrechnung nach den Mindestsätzen der HOAI ausnahmsweise als treuwidrig darstellt, weil das Vertrauen des Auftraggebers auf das vereinbarte niedrigere Honorar schutzwürdig ist, zugleich die Voraussetzungen vorliegen, unter denen der Architekt nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert ist, sich auf das Fehlen einer schriftlichen und damit formwirksamen Vereinbarung bei Auftragserteilung (§ 7 Abs. 1 HOAI 2009/2013) zu berufen. Hierzu bedarf es Feststellungen dazu, dass dies zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führen würde und es daher gem. § 242 BGB rechtsmissbräuchlich ist, sich auf die Formunwirksamkeit zu berufen.

Es kann offenbleiben, ob nach den getroffenen Feststellungen die Annahme des OLG gerechtfertigt ist, die Abrechnung der Klägerin nach den Mindestsätzen der HOAI (2013) stelle sich unter den strengen Voraussetzungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausnahmsweise als treuwidrig dar, weil das Vertrauen der Beklagten auf das vereinbarte niedrigere Honorar schutzwürdig sei. Denn es fehlt jedenfalls an Feststellungen dazu, dass die Klägerin nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) im vorliegenden Fall auch gehindert war, sich auf die Formunwirksamkeit der konkludent geschlossenen Pauschalhonorarvereinbarung zu berufen. Ob der Vertragspartner darauf vertrauen darf, der andere Vertragsteil werde sich nicht auf die Formunwirksamkeit berufen, richtet sich nach anderen Kriterien als denen, unter denen ausnahmsweise eine Unterschreitung der Mindestsätze nach Treu und Glauben gerechtfertigt sein kann. Nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung darf sich grundsätzlich jede Partei darauf berufen, die für einen Vertrag vorgeschriebene Schriftform sei nicht eingehalten.

Nur ausnahmsweise, wenn dies zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führen würde, kann es gem. § 242 BGB rechtsmissbräuchlich sein, sich auf die Formunwirksamkeit zu berufen. Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der eine Vertragspartner den anderen schuldhaft von der Einhaltung der Schriftform abgehalten oder sich sonst einer besonders schweren Treuepflichtverletzung schuldig gemacht hat oder wenn als Folge der Formwidrigkeit die Existenz der anderen Vertragspartei bedroht wäre. Diese Rechtsprechung findet auch Anwendung, soweit es um die gem. § 7 Abs. 1 HOAI (2009/2013) für eine wirksame Honorarvereinbarung erforderliche Schriftform bei Auftragserteilung geht. Dass diese Voraussetzungen vorliegen, hat das OLG nicht hinreichend festgestellt.

Für die Annahme der Treuwidrigkeit der Berufung auf die Formunwirksamkeit genügt es nicht, dass die Klägerin der Beklagten überhaupt im Rahmen der Vertragsverhandlungen einen Pauschalpreis angeboten hat, den die Beklagte letztlich jedoch nicht akzeptiert hat. Ein widersprüchliches Verhalten der Klägerin in Bezug auf den Abschluss einer formwirksamen Honorarvereinbarung liegt nicht vor. Die Klägerin hat der Beklagten vielmehr mehrfach ein schriftliches Angebot über die von ihr für angemessen gehaltene Summe von 170.000 € unterbreitet, welches die Beklagte nicht angenommen hat. Dass der Klägerin bewusst gewesen ist, dass die von ihr angebotene Pauschalvergütung die Mindestsätze der HOAI unterschreiten würde, hat nicht zur Folge, dass die Berufung auf die Formunwirksamkeit treuwidrig wäre. Die auch für die Beklagte als Fachunternehmerin offenkundige Formunwirksamkeit der Vereinbarung hat die Klägerin hierdurch nicht treuwidrig herbeigeführt oder auch nur zu vertreten. Eine Berufung auf die Formunwirksamkeit der Honorarvereinbarung ist daher nicht deswegen ausgeschlossen, weil die Klägerin ein unterhalb der Mindestsätze liegendes Angebot überhaupt abgegeben hatte. Gleiches gilt für die Annahme des OLG, die Klägerin habe der Beklagten von vornherein einen Pauschalpreis in der Absicht angeboten, sich später nicht an eine entsprechende Vereinbarung halten zu wollen. Diese Annahme hat in der im angefochtenen Urteil hierfür als Beleg angeführten Passage des schriftsätzlichen Vortrags der Klägerin bereits keine tragfähige Stütze.

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