Umgangsrecht: Polnisches Gericht für unzuständig erklärt
OLG Stuttgart v. 8.4.2024 - 15 WF 16/24
Der Sachverhalt:
Die beteiligten Eltern sind polnische Staatsangehörige. Sie hatten 2022 in Polen geheiratet und leben seit Juni 2023 getrennt. Die Kindesmutter lebt bereits seit drei Jahren in Deutschland, der Kindesvater seit zehn Jahren. Sie haben zwei Kinder, das eine wurde 2020 in Polen und das andere 2021 in Deutschland geboren. Im Juni 2023 hat der Kindesvater in Polen einen Scheidungsantrag eingereicht. Beide Elternteile werden im dortigen Verfahren unter einer polnischen Adresse geführt. Am 5.7.2023 hat das Bezirksgericht in Polen eine Sicherungsverfügung erlassen, wonach sich der Aufenthaltsort der gemeinsamen Kinder am jeweiligen Wohnsitz des Vaters befindet, bis das Scheidungs-, Sorge-, Umgangs- und Kindesunterhaltsverfahren rechtskräftig beendet wird. Dieser Beschluss ist rechtskräftig und vollstreckbar.
Im Oktober 2023 hat die Mutter beim AG einen Antrag auf Regelung des Umgangs gestellt und hierfür Verfahrenskostenhilfe beantragt. Der Vater ist dem Antrag wegen der vorrangigen Rechtshängigkeit in Polen entgegengetreten. Das AG sei unzuständig. Das Familiengericht hat den Antrag der Kindesmutter auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe abgelehnt. Zur Regelung des Umgangs in der Hauptsache sei es nicht zuständig, da bereits bei dem Gericht in Polen das Umgangsverfahren rechtshängig sei.
Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde der Kindesmutter hat das OLG die Entscheidung der Vorinstanz abgeändert ratenfrei Verfahrenskostenhilfe für den ersten Rechtszug bewilligt.
Die Gründe:
Die deutschen Gerichte sind international zuständig. Ein Gericht gilt nach Art. 17 lit. a Brüssel IIb-VO zu dem Zeitpunkt als angerufen, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück bei Gericht eingereicht worden ist. Zwar lässt die Vorschrift dabei offen, was mit einem "gleichwertigen Schriftstück" gemeint ist. Hierzu gibt es auch verschiedene Ansichten. Doch konnte der Senat offenlassen, welcher Ansicht zu folgen ist. Denn die Kindesmutter hatte ihren Antrag auf Gewährung eines Umgangsrechts unbedingt eingereicht und nicht ausdrücklich von der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe abhängig gemacht. Eine Verfahrenseinleitung i.S.v. Art 17 Brüssel IIb-VO lag daher vor.
Die Kinder haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Zwar ist eines 2020 in Polen geboren worden. Nach den Angaben der Kindesmutter lebt die Familie aber seit wenigstens drei Jahren in Deutschland. Angesichts der jeweiligen Kriterien des EuGH ist daher bislang davon auszugehen, dass eine weitgehende soziale und familiäre Integration der sich in Deutschland aufhaltenden Kinder in Deutschland erfolgt ist. Dem Kriterium der polnischen Staatsangehörigkeit der Kinder bzw. der Geburt in Polen ist dabei keine auf Kosten objektiver geografischer Überlegungen vorrangige Bedeutung beizumessen (EuGH FamRZ 2018, 1426 Rn. 60). Zwar hatte der Kindesvater bei Einreichung des Scheidungsantrags in Polen bei beiden Eltern eine polnische Adresse angegeben. Dem stand aber der übereinstimmende Vortrag beider Eltern entgegen, wonach sie im Juni 2023 noch eine gemeinsame Wohnung in Deutschland besessen haben, in der sich der Kindesvater jetzt noch gewöhnlich aufhält.
Das Verfahren war auch nicht nach Art. 20 Abs. 2 Brüssel IIb-VO auszusetzen. Danach ist ein Verfahren bezüglich der elterlichen Verantwortung, worunter auch ein Umgangsverfahren fällt (Art. 2 Nr. 7 Brüssel IIb-VO), auszusetzen, sofern in einem anderen Mitgliedstaat der EU - mit Ausnahme von Dänemark - zeitlich früher ein Verfahren bezüglich der elterlichen Verantwortung für ein Kind wegen desselben Anspruchs anhängig gemacht worden ist. Zwar ist der Senat der Ansicht, dass es im Rahmen des Umgangsverfahrens nicht darauf ankommen kann, ob es sich um Umgangsverfahren vor und nach Rechtskraft der Scheidung handelt, da der Verordnung ein weiter Begriff "desselben Anspruchs" zugrunde liegt. Allerdings besteht eine vorrangige Zuständigkeit polnischer Gerichte weder aus den nationalen polnischen Zuständigkeitsvorschriften noch aus der erlassenen Sicherungsverfügung. Das polnische Gericht ist vielmehr international nicht zuständig. Soweit sich das polnische Gericht wegen der Regelung des Umgangs auf seine nationalen Zuständigkeitsvorschriften berufen sollte, ist dies unerheblich.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung:
Scheidung trotz trennungsbedingter schwerer Depression
OLG Brandenburg vom 6.11.2008 - 9 UF 50/08
Handbuch:
Härteklauseln, § 1568 BGB
Hauß in Krenzler/Borth, Anwalts-Handbuch Familienrecht, 2. Aufl. 2012
Aktionsmodul Familienrecht:
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Landesrechtsprechung Baden-Württemberg
Die beteiligten Eltern sind polnische Staatsangehörige. Sie hatten 2022 in Polen geheiratet und leben seit Juni 2023 getrennt. Die Kindesmutter lebt bereits seit drei Jahren in Deutschland, der Kindesvater seit zehn Jahren. Sie haben zwei Kinder, das eine wurde 2020 in Polen und das andere 2021 in Deutschland geboren. Im Juni 2023 hat der Kindesvater in Polen einen Scheidungsantrag eingereicht. Beide Elternteile werden im dortigen Verfahren unter einer polnischen Adresse geführt. Am 5.7.2023 hat das Bezirksgericht in Polen eine Sicherungsverfügung erlassen, wonach sich der Aufenthaltsort der gemeinsamen Kinder am jeweiligen Wohnsitz des Vaters befindet, bis das Scheidungs-, Sorge-, Umgangs- und Kindesunterhaltsverfahren rechtskräftig beendet wird. Dieser Beschluss ist rechtskräftig und vollstreckbar.
Im Oktober 2023 hat die Mutter beim AG einen Antrag auf Regelung des Umgangs gestellt und hierfür Verfahrenskostenhilfe beantragt. Der Vater ist dem Antrag wegen der vorrangigen Rechtshängigkeit in Polen entgegengetreten. Das AG sei unzuständig. Das Familiengericht hat den Antrag der Kindesmutter auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe abgelehnt. Zur Regelung des Umgangs in der Hauptsache sei es nicht zuständig, da bereits bei dem Gericht in Polen das Umgangsverfahren rechtshängig sei.
Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde der Kindesmutter hat das OLG die Entscheidung der Vorinstanz abgeändert ratenfrei Verfahrenskostenhilfe für den ersten Rechtszug bewilligt.
Die Gründe:
Die deutschen Gerichte sind international zuständig. Ein Gericht gilt nach Art. 17 lit. a Brüssel IIb-VO zu dem Zeitpunkt als angerufen, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück bei Gericht eingereicht worden ist. Zwar lässt die Vorschrift dabei offen, was mit einem "gleichwertigen Schriftstück" gemeint ist. Hierzu gibt es auch verschiedene Ansichten. Doch konnte der Senat offenlassen, welcher Ansicht zu folgen ist. Denn die Kindesmutter hatte ihren Antrag auf Gewährung eines Umgangsrechts unbedingt eingereicht und nicht ausdrücklich von der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe abhängig gemacht. Eine Verfahrenseinleitung i.S.v. Art 17 Brüssel IIb-VO lag daher vor.
Die Kinder haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Zwar ist eines 2020 in Polen geboren worden. Nach den Angaben der Kindesmutter lebt die Familie aber seit wenigstens drei Jahren in Deutschland. Angesichts der jeweiligen Kriterien des EuGH ist daher bislang davon auszugehen, dass eine weitgehende soziale und familiäre Integration der sich in Deutschland aufhaltenden Kinder in Deutschland erfolgt ist. Dem Kriterium der polnischen Staatsangehörigkeit der Kinder bzw. der Geburt in Polen ist dabei keine auf Kosten objektiver geografischer Überlegungen vorrangige Bedeutung beizumessen (EuGH FamRZ 2018, 1426 Rn. 60). Zwar hatte der Kindesvater bei Einreichung des Scheidungsantrags in Polen bei beiden Eltern eine polnische Adresse angegeben. Dem stand aber der übereinstimmende Vortrag beider Eltern entgegen, wonach sie im Juni 2023 noch eine gemeinsame Wohnung in Deutschland besessen haben, in der sich der Kindesvater jetzt noch gewöhnlich aufhält.
Das Verfahren war auch nicht nach Art. 20 Abs. 2 Brüssel IIb-VO auszusetzen. Danach ist ein Verfahren bezüglich der elterlichen Verantwortung, worunter auch ein Umgangsverfahren fällt (Art. 2 Nr. 7 Brüssel IIb-VO), auszusetzen, sofern in einem anderen Mitgliedstaat der EU - mit Ausnahme von Dänemark - zeitlich früher ein Verfahren bezüglich der elterlichen Verantwortung für ein Kind wegen desselben Anspruchs anhängig gemacht worden ist. Zwar ist der Senat der Ansicht, dass es im Rahmen des Umgangsverfahrens nicht darauf ankommen kann, ob es sich um Umgangsverfahren vor und nach Rechtskraft der Scheidung handelt, da der Verordnung ein weiter Begriff "desselben Anspruchs" zugrunde liegt. Allerdings besteht eine vorrangige Zuständigkeit polnischer Gerichte weder aus den nationalen polnischen Zuständigkeitsvorschriften noch aus der erlassenen Sicherungsverfügung. Das polnische Gericht ist vielmehr international nicht zuständig. Soweit sich das polnische Gericht wegen der Regelung des Umgangs auf seine nationalen Zuständigkeitsvorschriften berufen sollte, ist dies unerheblich.
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