27.11.2020

Unterlassung hinsichtlich der Nutzung eines baurechtswidrigen Offenstalls für Pferde

Ein Grundstücksnachbar kann von dem anderen verlangen, die Pferdehaltung in einem Offenstall zu unterlassen, den dieser ohne Baugenehmigung und unter Verstoß gegen das öffentlich-rechtliche Gebot der Rücksichtnahme errichtet hat.

BGH v. 27.11.2020 - V ZR 121/19
Der Sachverhalt:
Die Parteien sind Nachbarn. Die Beklagte zu 1) ist Inhaberin eines Pferdehofs. Sie errichtete ohne Baugenehmigung auf ihrem im Außenbereich gelegenen Grundstück in einer Entfernung von etwa 12 m vom Einfamilienhaus der Klägerin einen Offenstall für Pferde und stellte darin Pferde ein. Die Beklagte zu 2), deren Geschäftsführerin die Beklagte zu 1) ist, betreibt auf dem Grundstück eine Reitschule.

Die Bauaufsichtsbehörde lehnte im September 2013 die Erteilung einer Baugenehmigung ab. Die von der Beklagten zu 1) erhobene Klage wies das VG 2016 mit der Begründung ab, der Offenstall lasse die gebotene Rücksichtnahme auf das Wohnhaus der - dort beigeladenen - hiesigen Klägerin vermissen. Hierbei falle insbesondere ins Gewicht, dass sich der Stall unmittelbar an der Grenze zum Grundstück der Klägerin in einer Entfernung von etwa 12,5 m zu deren Ruheräumen befinde und die Boxen mit dem Auslauf zum Wohnhaus ausgerichtet seien. Das verwaltungsgerichtliche Urteil ist rechtskräftig.

Das LG gab der Klage statt und verurteilte die Beklagten, die Haltung von Pferden in dem Offenstall zu unterlassen. Das OLG wies die Klage ab, soweit sie sich gegen die Beklagte zu 2) richtet. Hinsichtlich der Beklagten zu 1) hat es die Verurteilung darauf beschränkt, dass bei der Haltung von Pferden in dem Offenstall die Immissionsrichtwerte nach der jeweils geltenden TA Lärm nicht überschritten werden dürften. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und stellte das Urteil des LG im Verhältnis zur Beklagten zu 1) in der Sache wieder her. Hinsichtlich der Beklagten zu 2) verwies der BGH die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Die Klägerin hat aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 analog i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB und dem öffentlich-rechtlichen Gebot der Rücksichtnahme einen Anspruch darauf, dass die Beklagte zu 1) die Haltung von Pferden in dem Offenstall auf ihrem Grundstück unterlässt.

Die Verletzung nachbarschützender Vorschriften des öffentlichen Baurechts kann einen solchen verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch des Nachbarn begründen. Zu solchen Normen zählt das Gebot der Rücksichtnahme. Dass die Errichtung und die zweckgemäße Nutzung des Offenstalls im Verhältnis zu der Klägerin gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßen, steht aufgrund des rechtskräftigen Urteils des VG mit Bindungswirkung für den Zivilprozess fest.

Damit stellt die Pferdehaltung in dem Stall zivilrechtlich im Verhältnis zur Klägerin einen Verstoß gegen ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB dar, sodass diese einen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog auf Unterlassung dieser Nutzung des Stalls hat. Für das Vorliegen der für den Unterlassungsanspruch erforderlichen Wiederholungsgefahr spricht aufgrund der bereits erfolgten rechtswidrigen Nutzung des Stalls eine tatsächliche Vermutung, die nach rechtsfehlerfreier Würdigung des OLG selbst dann nicht widerlegt wäre, wenn die Beklagte zu 1) seit 2016 keine Pferde mehr in den Stall eingestellt haben sollte.

Hinsichtlich der Beklagten zu 2) konnte das Urteil ebenfalls keinen Bestand haben, da die Klägerin gegen diese aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 906 BGB einen Anspruch darauf haben kann, keine Pferde in den Offenstall einzustellen. Im Hinblick darauf, dass die Klägerin weder anhand des Aussehens der Pferde noch - aufgrund der Personenidentität auf Beklagtenseite - anhand der äußeren Abläufe beurteilen und darlegen oder gar beweisen kann, welche Pferde jeweils im Eigentum der Beklagten zu 1) oder der Beklagten zu 2) stehen bzw. standen, trifft die Beklagte zu 2) eine sog. sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Behauptung der Klägerin, sie (die Beklagte zu 2) habe Pferde in den Offenstall eingestellt. Dieser hat sie bislang nicht genügt.

Die Beklagte zu 2) wird daher in dem erneuten Verfahren vor dem OLG zunächst vorzutragen haben, welche Pferde in dem von der Klägerin behaupteten Zeitraum der Nutzung des Offenstalls in ihrem Eigentum standen und wo diese untergestellt waren.
BGH PM Nr. 148 vom 27.11.2020
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