29.04.2021

Unterlassung von Berichterstattung über Plagiatsvorwürfe unter Namensnennung

Eine vorweggenommene Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und der Meinungs- und Medienfreiheit bei einem auf Erstbegehungsgefahr gestützten Anspruch auf Unterlassung einer angekündigten, aber nicht näher konkretisierten Berichterstattung (hier: Berichterstattung über wissenschaftliches Plagiat), die sich mehr oder weniger nur auf Wahrscheinlichkeitsurteile und Vermutungen stützen könnte und die im konkreten Verletzungsfall im Vollstreckungsverfahren nachgeholt werden müsste, verbietet sich schon im Hinblick auf die Bedeutung der betroffenen Grundrechte.

BGH v. 9.3.2021 - VI ZR 73/20
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Juristin und war seit 2009 als außerplanmäßige Professorin Leiterin eines Studienganges an einer Universität. Seit 2013 übte sie das Amt einer Vizepräsidentin aus, auf das sie im Jahr 2015 verzichtete. Nach zunächst nur interner Dokumentation ohne Namensnennung im Jahr 2015 wurden in den Jahren 2016 und 2017 auf der Internetseite "VroniPlag Wiki" unter Nennung des vollen Namens der Klägerin Plagiatsvorwürfe in Bezug auf deren Habilitations- und Promotionsschrift erhoben.

Im Januar 2017 verzichtete die Klägerin gegenüber der Universität auf die ihr von dieser verliehene akademische Bezeichnung "Privatdozentin" und wurde auf ihr Verlangen aus dem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit entlassen. Außerdem wurden hinsichtlich der Plagiatsvorwürfe hochschulrechtliche Verfahren eingeleitet, die u.a. mit der Aberkennung der Habilitation endeten. In einem sich anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren unterlag die Klägerin erstinstanzlich; das Berufungsverfahren ist anhängig.

Der Beklagte ist ebenfalls Jurist und u.a. als freier Journalist tätig. Am 10.5.2017 veröffentlichte die "F.A.Z." einen von ihm verfassten Artikel, der unter Nennung des vollen Namens der Klägerin sowie der beteiligten Universitäten und des betroffenen Verlagshauses den gegen die Klägerin erhobenen Vorwurf eines Doppelplagiats zum Gegenstand hatte. Darin heißt es in der Überschrift "Trauriges Novum - Erstmals zwei Doppelplagiate gefunden".

In einem weiteren, ebenfalls den vollständigen Namen der Klägerin nennenden Bericht des Beklagten vom 9.11.2017 im Magazin "Cicero" heißt es: "Einspruch gegen Schavan [...] Annette Schavan soll Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung werden, obwohl der früheren Bildungsministerin nach einem nachgewiesenen Plagiat der Doktortitel aberkannt wurde".

Die Klägerin stellte sich nicht gegen die Rechtmäßigkeit der bisherigen Berichterstattung des Beklagten, verfolgte jedoch einen in die Zukunft gerichteten vorbeugenden Unterlassungsanspruch gegen eine weitere Berichterstattung unter voller Nennung ihres Namens. Sie habe sich vollständig aus der Öffentlichkeit und ihrem früheren beruflichen Wirken zurückgezogen. Die namentliche Berichterstattung in Zusammenhang mit den Plagiatsvorwürfen habe bei ihr eine schwere psychische Belastung in Form einer Depression ausgelöst.

Das LG hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das OLG die Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin blieb vor dem BGH ohne Erfolg.

Gründe:
Der Klägerin steht der geltend gemachte vorbeugende Anspruch auf Unterlassung jeglicher namentlichen Berichterstattung über ihren Plagiatsfall nicht zu (§ 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG).

In der Rechtsprechung sind verschiedene Gesichtspunkte entwickelt worden, die Kriterien für die konkrete Abwägung in einem solchen Fall vorgeben. Danach darf die Presse zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden. Verfehlungen - auch konkreter Personen - aufzuzeigen, gehört nämlich zu den legitimen Aufgaben der Medien. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht vermittelt kein Recht, in der Öffentlichkeit so dargestellt zu werden, wie es dem eigenen Selbstbild und der beabsichtigten öffentlichen Wirkung entspricht. Bei Würdigung des den Persönlichkeitsinteressen gegenüberstehenden Interesses an einer freien Presseberichterstattung ist in Rechnung zu stellen, dass die öffentliche Vermittlung und Kommunikation wahrer Tatsachen von all-gemeinem Interesse zu den elementaren Aufgaben einer freien Presse gehört.

Allerdings kann auch eine wahre Darstellung das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzen, wenn sie einen Persönlichkeitsschaden anzurichten droht, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Aussagen geeignet sind, eine erhebliche Breitenwirkung zu entfalten und eine besondere Stigmatisierung des Betroffenen nach sich zu ziehen, so dass sie zum Anknüpfungspunkt für eine soziale Ausgrenzung und Isolierung zu werden drohen. Jenseits dieser besonderen Fälle ist im Rahmen der Abwägung auch allgemein zu berücksichtigen, dass das öffentliche Berichterstattungsinteresse durch Zeitablauf weniger akut werden kann. Das Abflauen des Berichterstattungsinteresses in der Zeit lässt sich jedoch nicht aus dem zeitlichen Abstand des zu berichtenden Ereignisses als solchem ableiten, sondern ist bei einer neuerlichen Berichterstattung anhand des Anlasses der jeweiligen Berichterstattung zu bemessen, der neu entstehen und aktualisiert werden kann.

Für die Frage, wie sich der Faktor Zeit auf das fortdauernde Bestehen eines Berichterstattungsinteresses auswirkt, ist außerdem das Verhalten der betroffenen Person von maßgeblicher Bedeutung. Eine aktiv in die Öffentlichkeit tretende und dort kontinuierlich präsente Person kann nicht in derselben Weise verlangen, dass ihr Verhalten nicht mehr Gegenstand öffentlicher Erörterung wird, wie eine Privatperson, deren zwischenzeitliches Verhalten von einem "Vergessenwerdenwollen" getragen war. Ebenfalls erheblich für die Abwägung können - auch jenseits des engen Kreises grundsätzlich der öffentlichen Erörterung entzogener Gegenstände - Gegenstand und Herkunft der mitgeteilten Information sein. War eine Information ohne Weiteres zugänglich, darf sie eher öffentlich berichtet werden, als wenn sie über aufwendige Recherchen oder sogar rechtswidrige Handlungen erlangt wurde.

Nach diesen Grundsätzen, die den individuellen Umständen einer konkreten Berichterstattung und der hiervon betroffenen Personen letztlich entscheidende Bedeutung beimessen und einer schematischen Anwendung nicht zugänglich sind, kann die Klägerin vom Beklagten nicht vorbeugend verlangen, schlechterdings jede weitere namentliche Berichterstattung über die gegen sie erhobenen Plagiatsvorwürfe zu unterlassen. Der Klageantrag ist darauf gerichtet, der Beklagte möge es unterlassen, über die Klägerin namentlich im Zusammenhang mit der Berichterstattung über gegen sie gerichtete Plagiatsvorwürfe zu berichten und/oder berichten zu lassen. Eine Konkretisierung der zu unterlassenden Verletzungsform ist im Klageantrag nicht enthalten. Doch eine vorweggenommene Abwägung, die sich mehr oder weniger nur auf Wahrscheinlichkeitsurteile und Vermutungen stützen könnte und die im konkreten Verletzungsfall im Vollstreckungsverfahren nachgeholt werden müsste, verbietet sich schon im Hinblick auf die Bedeutung der betroffenen Grundrechte.
BGH online
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