02.07.2024

Unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände i.S.v. § 651h Abs. 3 BGB während des Pandemieverlaufs

Eine nach Abschluss des Reisevertrags eingetretene neue Situation fällt nicht unter den Begriff der unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände i.S.v. § 651h Abs. 3 BGB, wenn sie sich im Rahmen dessen hält, womit schon im Zeitpunkt der Buchung zu rechnen war. Der Kausalverlauf, der zum Eintritt dieser Situation geführt hat, ist grundsätzlich unerheblich.

BGH v. 23.4.2024 - X ZR 58/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger beansprucht die Rückzahlung des für eine Pauschalreise gezahlten Reisepreises. Er buchte am 20.1.2021 bei der Beklagten eine Flugreise mit Hotelaufenthalt für zwei Personen nach Thailand, die vom 25.11. bis zum 9.12.2021 stattfinden und rd. 3.800 € kosten sollte. Der Kläger leistete eine Anzahlung auf den Reisepreis i.H.v. rd. 950 €. Am 8.8.2021 stufte das Robert-Koch-Institut Thailand als Hochrisikogebiet ein. Am 24.10.2021 stornierte der Kläger die Reise. Die Beklagte behielt die Anzahlung (25 % des Reisepreises) als Stornierungsgebühr ein.

Das AG gab der Klage statt und verurteilte die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 950 € nebst Zinsen und vorgerichtlicher Anwaltskosten. Das LG wies die Klage ab. Die Revision des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die Beklagte hat gem. § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren, weil der Kläger nach § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam von dem Pauschalreisevertrag zurückgetreten ist. Rechtsfehlerfrei ist das LG zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte dem Klagebegehren einen Entschädigungsanspruch aus § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB entgegenhalten kann.

Zu Recht ist das LG davon ausgegangen, dass die Covid-19-Pandemie vorliegend einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand i.S.v. § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB darstellt. Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, ist es in der Regel nicht zu beanstanden, dass ein Tatrichter die Covid-19-Pandemie als Umstand bewertet, der grundsätzlich geeignet ist, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen. Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH. Dieser Grundsatz gilt auch für den im Streitfall maßgeblichen Reisezeitraum im November/Dezember 2021.

Rechtsfehlerfrei hat das LG entschieden, dass die Durchführung der Reise vorliegend nicht erheblich beeinträchtigt war. Zu Recht ist es davon ausgegangen, dass für die Frage, ob eine erhebliche Beeinträchtigung besteht, von Bedeutung sein kann, ob die mit der Durchführung verbundenen Risiken bei Buchung der Reise bereits bestanden oder zumindest absehbar waren. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, kann eine erhebliche Beeinträchtigung jedenfalls dann zu verneinen sein, wenn bei Vertragsschluss Umstände vorliegen oder absehbar sind, die der Durchführung der Reise zwar nicht zwingend entgegenstehen, aber doch so gravierend sind, dass nicht jeder Reisende die damit verbundenen Risiken auf sich nehmen möchte. Einem Reisenden, der in einer solchen Situation eine Reise bucht, ist es in der Regel zumutbar, die Reise auch dann anzutreten, wenn die im Zeitpunkt der Buchung bestehenden oder absehbaren Risiken zum Zeitpunkt des Reisebeginns fortbestehen (BGH v. 19.9.2023 - X ZR 103/22 und BGH v. 12.3.2024 - X ZR 31/23).

Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH, nach der Risiken, die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für den Reisenden bestanden haben oder vorhersehbar waren, grundsätzlich nicht als außergewöhnliche und unvermeidbare Umstände geltend gemacht werden können (EuGH v. 29.2.2024 - C-299/22). Wie der Senat ebenfalls bereits entschieden hat, ist ein Risiko in diesem Sinn nicht nur dann vorhersehbar, wenn es im Zeitpunkt der Buchung nahezu unausweichlich erscheint, dass sich das Risiko bis zum geplanten Beginn der Reise verwirklichen wird. Ausreichend ist vielmehr, wenn im Zeitpunkt der Buchung ungewiss ist, wie sich die Situation weiterentwickeln wird, und eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass es innerhalb kurzer Zeit zu gravierenden Veränderungen kommt (BGH v. 14.11. X ZR 115/22, MDR 2024, 152).

Dem Vortrag des Klägers, der erhebliche Anstieg der Infektionszahlungen nach der Buchung sei durch neu aufgetretene Virusvarianten und Rekombinate verursacht worden, kommt keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Wie der EuGH aufgezeigt hat, ist entscheidend, ob sich die Situation nach Vertragsschluss erheblich verändert hat. Hierzu kann ein Vergleich angestellt werden zwischen den Umständen und der Kenntnis, die der Reisende davon und von den Folgen für die Durchführung der Reise zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses hatte (Punkt A), und den Umständen und der Kenntnis, die der Reisende von diesen Umständen und ihren Folgen zum Zeitpunkt des Rücktritts vom Vertrag hatte (Punkt B). Maßgeblich ist dabei, ob sich die tatsächlichen Umstände und die Kenntnis des Reisenden erheblich geändert haben. Vorliegend ist daher lediglich von Bedeutung, dass ein erheblicher Anstieg der Infektionszahlen und eine Einstufung als Hochrisikogebiet sich im Rahmen dessen hält, womit aufgrund der ungewissen Ausgangslage schon im Zeitpunkt der Buchung zu rechnen war. Der Kausalverlauf, der zum Eintritt dieser Situation geführt hat, ist demgegenüber grundsätzlich unerheblich.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung
Pauschalreisebuchung trotz absehbarer Covid-19-Pandemie
BGH vom 14.11.2023 - X ZR 115/22
MDR 2024, 152
MDR0063502

Rechtsprechung
Pauschalreise-Rücktritt wegen außergewöhnlicher Umstände
BGH vom 19.09.2023 - X ZR 103/22
MDR 2023, 1506
MDR0061589

Kommentierung | BGB
§ 651h Rücktritt vor Reisebeginn
Blankenburg in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023

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