06.12.2023

Unwahre Behauptungen des Mieters vs. Vorangegangenes vertragswidriges Verhalten des Vermieters

Ob das Aufstellen bewusst unwahrer Tatsachenbehauptungen durch den Mieter innerhalb eines Rechtsstreits mit seinem Vermieter eine die ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB rechtfertigende Pflichtverletzung darstellt, ist anhand einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Dabei ist zum einen die Bedeutung und Tragweite der unwahren Behauptung des Mieters unter Berücksichtigung des gegebenen Sinnzusammenhangs zu bewerten. In die gebotene Würdigung ist zum anderen in der Regel ein vorangegangenes vertragswidriges Verhalten des Vermieters einzubeziehen.

BGH v. 25.10.2023 - VIII ZR 147/22
Der Sachverhalt:
Die Beklagten sind seit 2000 Mieter einer Wohnung der Klägerin in einem Berliner Mehrfamilienhaus. Die Klägerin hatte das Mietverhältnis erstmals ordentlich - wegen einer aus ihrer Sicht vertragswidrigen Hundehaltung - am 24.7.2019 gekündigt. Anlässlich der hiesigen, ursprünglich ausschließlich auf diese Kündigung gestützten Räumungsklage hat das AG die Beklagten am 25.9.2020 persönlich angehört. Hierbei hat der Beklagte u.a. angegeben:

"Aus unserer Perspektive geht es gar nicht um den Hund. Wir haben vielmehr das Gefühl, dass wir aus dem Haus herausgemobbt werden sollen. Wir werden auch von dem Hausverwalter beleidigt mit Worten wie "Scheiß Ausländer" und "Assis". Ich habe ein Gespräch der Eigentümerin zufällig mitbekommen, aus dem sich ergibt, dass das Haus verkauft werden soll. Der Käufer hat jedoch gesagt, dass ein Verkauf des Hauses nur dann in Betracht kommt, wenn alle Mieter aus dem Haus ausgezogen sind."

Gestützt auf diese - ihrer Meinung nach unwahren und ehrverletzenden - Äußerungen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 9.10.2020 (erneut) eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung ausgesprochen. Nach dem Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung hat die Klägerin mit Schreiben vom 8.10.2021 und vom 20.1.2022 weitere Kündigungen erklärt.

Das AG hat die Räumungsklage abgewiesen. Das LG hat ihr stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.

Gründe:
Die Annahme des Berufungsgerichts, die Kündigung der Klägerin vom 9.10.2020 habe das Mietverhältnis gem. § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB beendet, beruhte auf revisionsrechtlich beachtlichen Rechtsfehlern. Danach kann der Vermieter nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat.

Zwar war das LG zutreffend davon ausgegangen, dass bewusst unrichtiges Vorbringen eines Mieters innerhalb eines Mietrechtsstreits eine die ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB begründende Pflichtverletzung darstellen kann; einen solchen Fall hat es hier jedoch unter Außerachtlassung wesentlichen Streitstoffs und damit gemäß dem aufgezeigten Prüfungsmaßstab rechtsfehlerhaft bejaht. Bei der Beurteilung, ob ehrenrührige oder gar beleidigende Äußerungen, die zur Rechtsverteidigung in einem Mietrechtsstreit gemacht werden, die Kündigung des Mietverhältnisses - sei es nach § 543 Abs. 1 BGB oder nach § 573 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB - rechtfertigen, ist deshalb in den Blick zu nehmen, ob diese Äußerungen im Hinblick auf die konkrete Prozesssituation zur Rechtswahrung geeignet und unter Berücksichtigung der Bedeutung des Mietverhältnisses angemessen sind.

Dabei ist zum einen die Bedeutung und Tragweite der unwahren Behauptung des Mieters unter Berücksichtigung des gegebenen Sinnzusammenhangs zu bewerten. In die gebotene Würdigung ist zum anderen in der Regel ein vorangegangenes vertragswidriges Verhalten des Vermieters einzubeziehen. So ist etwa zu berücksichtigen, ob das unredliche Prozessverhalten des Mieters der Abwehr einer unberechtigten Kündigung des Vermieters dienen sollte. Gemessen daran rechtfertigten die bisher vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen die Kündigung des Mietverhältnisses nach § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht. Bei der Beurteilung, ob die festgestellte schuldhafte Pflichtverletzung des Beklagten nicht unerheblich ist und daher eine Kündigung rechtfertigt, sind dem LG beachtliche Rechtsfehler unterlaufen.

Die Vorschrift des § 573 Abs. 3 Satz 2 BGB, wonach Kündigungsgründe, die in dem Kündigungsschreiben nicht angegeben wurden, (ausnahmsweise) dann berücksichtigt werden können, wenn sie nachträglich entstanden sind, findet ausschließlich dann Anwendung, wenn die ursprüngliche Kündigungserklärung zum Zeitpunkt ihres Ausspruchs wirksam war. Es liefe dem schutzwürdigen Interesse des Mieters an frühzeitiger Klarheit über die Aussichten einer Verteidigung gegen die Kündigung zuwider, wenn nach dem Ausspruch der Kündigung neu entstandene Kündigungsgründe zur Heilung einer anfänglich - aus formellen oder materiell-rechtlichen Gründen - unwirksamen Kündigung führten. Da der Vermieter wegen nachträglich entstandener Gründe jederzeit eine neue Kündigung aussprechen kann, werden seine Interessen durch ein solches Gesetzesverständnis auch nicht in unbilliger Weise beeinträchtigt.

Für den Streitfall bedeutete dies, dass die von der Revisionserwiderung angeführten nachträglich eingetretenen Umstände entgegen ihrer Auffassung bei der Prüfung der (anfänglichen) Berechtigung der Kündigung durch die Klägerin vom 9.10.2020 nach § 573 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB anhand der in dem betreffenden Kündigungsschreiben angegebenen Gründe nicht herangezogen werden können. Aufgrund der aufgezeigten, dem Berufungsgericht bei der Beurteilung der Erheblichkeit der festgestellten Pflichtverletzung des Beklagten unterlaufenen Rechtsfehler konnten auch die Voraussetzungen einer - in dem Kündigungsschreiben der Klägerin vom 9.10.2020 vorrangig ausgesprochenen - fristlosen Kündigung nach § 543 Abs. 1 BGB wegen dieser Pflichtwidrigkeit nicht bejaht werden.

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