07.07.2021

Unwirksamkeit einer Widerrufsbelehrung in einem Online-Partnervermittlungsvertrag

Ein Unternehmer, der die Muster-Widerrufsbelehrung nach Anlage 1 zum EGBGB verwendet, kann sich auf die Schutzwirkung des Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 2 EGBGB nicht berufen, wenn der Verbraucher durch eine weitere - formal oder inhaltlich nicht ordnungsgemäße - Belehrung irregeführt oder von einer rechtzeitigen Ausübung seines Rechts abgehalten wird.

BGH v. 20.5.2021 - III ZR 126/19
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über einen Wertersatzanspruch nach dem Widerruf eines Online-Partnervermittlungsvertrags. Die Klägerin erwarb am 1.1.2018 über die Website der Beklagten eine Premium-Mitgliedschaft mit einer Laufzeit von 12 Monaten zum Preis von 269,40 € und forderte die Beklagte auf, vor Ende der Widerrufsfrist mit der Ausführung der Leistungen zu beginnen, nachdem sie über eine Wertersatzpflicht für den Fall des Widerrufs unterrichtet worden war.

Unter Nummer 11.2 ihrer AGB belehrte die Beklagte die Klägerin nach der Musterwiderrufsbelehrung gemäß Art. 246a § 1 Abs. 2 Nr. 1 und 3 EGBGB. Unter einem Link "Hinweise zum Wertersatz" war ausgeführt, die Beklagte berechne den Wertersatz nach dem Verhältnis der von dem Kunden realisierten Kontakte zu den von der Beklagten garantierten Kontakten (sieben Kontakte bei einer Laufzeit von zwölf Monaten); der Wertersatz sei begrenzt auf maximal drei Viertel des gesamten Mitgliedsbeitrags. Außerdem ist dort ausgeführt:

"Als Kontakt werten wir jede von Ihnen gelesene Freitextnachricht auf eine von Ihnen verschickte Nachricht sowie eine von Ihnen erhaltene Nachricht, in dessen weiteren Verlauf Sie mindestens zwei Freitextnachrichten mit einem anderen Mitglied ausgetauscht und gelesen haben. Als Nachricht zählt jede Kommunikation, z.B. Freitextnachricht, Lächeln, Spaßfragen, Fotofreigaben und Kompliment."

Am selben Tag erhielt die Klägerin das Persönlichkeitsgutachten sowie Partnervorschläge und konnte die Plattform vollumfänglich nutzen.

Am 5.1.2018 erklärte die Klägerin den Widerruf. Mit E-Mail vom selben Tag bestätigte die Beklagte diesen und machte zugleich einen Anspruch auf Wertersatz für bis zur Erklärung des Widerrufs erbrachte Leistungen in Höhe von 202,05 € geltend; sie zahlte daher an die Klägerin 67,35 € zurück. Die Klägerin forderte die Beklagte erfolglos zur Erstattung des Gesamtbetrags auf.

Die Klägerin begehrt Rückzahlung der restlichen an die Beklagte gezahlten Vergütung in Höhe von 202,05 € nebst Zinsen sowie Freistellung von Anwaltskosten. Das AG hat der Klage insoweit stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das LG den an die Klägerin zu zahlenden Betrag auf 51,40 € reduziert.

Der BGH hat die erstinstanzliche Entscheidung wiederhergestellt.

Die Gründe:
Der Beklagten steht kein Anspruch auf Wertersatz für die bis zum Widerruf erbrachten Leistungen nach § 357 Abs. 8 Satz 1 BGB zu. Dieser Anspruch setzt gemäß § 357 Abs. 8 Satz 2 BGB insbesondere voraus, dass der Unternehmer den Verbraucher ordnungsgemäß nach Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 3 EGBGB über das Widerrufsrecht informiert hat.

Zwar hat die Beklagte die Muster-Widerrufsbelehrung nach Anlage 1 zum EGBGB nach Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 2 EGBGB verwendet. Jedoch kann sich der Unternehmer auf die Schutzwirkung dieser Vorschrift nicht berufen, wenn der Verbraucher durch eine weitere - formal oder inhaltlich nicht ordnungsgemäße - Belehrung irregeführt oder von einer rechtzeitigen Ausübung seines Rechts abgehalten wird.

So liegt es hier. Die von der Beklagten verwendete Klausel zur Berechnung des Wertersatzes weicht erheblich zum Nachteil des Verbrauchers von der in dem Muster der Widerrufsbelehrung zutreffend dargestellten gesetzlichen Regelung ab. Die Klausel ist daher unwirksam. Dadurch wird der Verbraucher in die Irre geführt, so dass die Widerrufsbelehrung insgesamt nicht als ordnungsgemäß gewertet werden kann.

Die von der Beklagten verwendete Klausel kann zu einem Wertersatzanspruch führen, der nahezu das Zwanzigfache des gesetzlich höchstens geschuldeten Betrags erreichen kann. Nach der gesetzlichen Regelung beträgt der Wertersatzanspruch höchstens 10,33 €.

Ein Ausnahmefall, der eine Abweichung von einer zeitanteiligen Berechnung des Werts der Leistungen der Beklagten rechtfertigen könnte, liegt nicht vor. Eine Leistungspflicht der Beklagten, die vollständig und gesondert zu einem getrennt zu zahlenden Preis erbracht werden soll, ist nicht vorgesehen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf das Persönlichkeitsgutachten. Dass dieses von anderen Kunden zu einem Preis von 149 € erworben werden kann, ist unerheblich.

Dagegen kann sich der nach der von der Beklagten verwendeten Klausel berechnete Wertersatzanspruch - wie hier - auf bis zu 202,05 € (= drei Viertel des Gesamtpreises) belaufen. Schon bei lediglich einem "Kontakt" ergibt sich nach dieser Berechnungsformel angesichts der Garantie von lediglich sieben Kontakten eine anteilige Vergütung von 38,49 €.

Die von der Beklagten verwendete Wertersatzklausel ist unwirksam, denn von den Regelungen zum Widerrufsrecht kann gemäß § 361 Abs. 2 BGB nicht zum Nachteil des Verbrauchers abgewichen werden. Dabei ist es unerheblich, dass - wie das Berufungsgericht meint - die Klausel sich auch zugunsten des Verbrauchers auswirken könnte. Maßgeblich ist, ob sie abstrakt eine Schlechterstellung des Verbrauchers ermöglicht bzw. ob sie sich im konkreten Fall nachteilig für den Verbraucher auswirkt.

Beides ist hier der Fall.

Durch die von der Beklagten verwendeten "Hinweise zum Wertersatz" wird der Verbraucher in die Irre geführt und kann von einem rechtzeitigen Widerruf abgehalten werden. Dies hat zur Folge, dass die Widerrufsbelehrung insgesamt nicht ordnungsgemäß ist, so dass die Voraussetzungen für einen Wertersatzanspruch der Beklagten gemäß § 357 Abs. 8 Satz 1 i.V.m. Satz 2 BGB nicht erfüllt sind.
BGH online
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