Verbrauchern steht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen ein Widerrufsrecht zu
LG Münster v. 23.3.2022 - 210 O 59/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger errichtete eine Doppelhaushälfte. Für den Neubau beauftragte er die Firma A-GmbH mit der Bauplanung und -leitung. Die Geschäftsführerin der Firma Frau P. erstellte für diverse Gewerke Ausschreibungen, auf die - bezogen auf das Gewerk Sanitärarbeiten - die Beklagte am 25.4.2020 ein Angebot abgab. In der Folge lud die P. den Geschäftsführer der Beklagten zum 6.5.2020 in ihre Geschäftsräume ein, um das Angebot zu erörtern. Der Kläger nahm ebenfalls daran teil. Der Vertrag wurde vom Geschäftsführer der Beklagten und dem Kläger selbst unterzeichnet. Die Parteien einigten sich auf einen Festpreis von 16.268 € netto bei Skontoabrede von zwei Prozent. Der Kläger wurde nicht hinsichtlich eines Widerrufsrechts belehrt.
In der Folge erbrachte die Beklagte Leistungen, die sie jeweils gegenüber dem Kläger fakturierte. Auf die ersten beiden Rechnungen zahlte der Kläger 4.900 € sowie 2.273 €; auf die dritte Rechnung über 8.132 € erfolgte keine Zahlung. Mit Schreiben vom 17.11.2020 erklärte der Kläger, dass er den Vertrag widerrufe und forderte die Beklagte zur Rückzahlung der vom Kläger erbrachten Zahlungen auf. Er behauptete, die Leistungen der Beklagten seien teilweise nicht ordnungsgemäß erbracht worden. Es sei ein Fertigstellungstermin nicht eingehalten worden. Daher habe er die dritte Rechnung nicht beglichen. Zu diesem Zeitpunkt seien die vereinbarten Arbeiten noch nicht vollständig und in Teilen mangelbehaftet ausgeführt gewesen.
Das LG gab der Klage auf Rückzahlung Zug-um-Zug gegen Rück- und Übergabe von bereits erbrachten Leistungen statt.
Die Gründe:
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung der von ihm geleisteten Beträge gem. §§ 355 Abs. 3 Satz 1, 357 Abs. 1 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie vom 13.6.2014. Danach sind im Falle eines Widerrufs die empfangenen Leistungen unverzüglich zurück zu gewähren.
Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Der Kläger hatte wirksam den Widerruf des am 6.5.2020 geschlossenen Vertrages über die Erbringung von Sanitärleistungen erklärt. Das Widerrufsrecht des Klägers folgte aus § 312g Abs. 1 BGB. Die Anwendung der Vorschrift ist auf das vorliegende Vertragsverhältnis nicht gem. § 312 Abs. 2 Nr. 3 BGB ausgeschlossen, da es sich bei dem Vertrag nicht um einen Bauvertrag i.S.d. § 650i BGB handelte. Denn es handelte sich offensichtlich nicht um den Bau eines neuen Gebäudes; auch stellten die geschuldeten Sanitärarbeiten keine Umbaumaßnahmen an einem bestehenden Gebäude dar.
Der wortlautgetreuen Anwendung von § 312b BGB steht auch nicht der Sinn und Zweck der Vorschrift entgegen. Wenngleich grundsätzlich maßgeblich für das Bestehen eines Widerrufsrechts sein soll, dass die Gefahr einer Überrumpelung des Verbrauchers besteht, was nicht der Fall ist, wenn er in der konkreten Situation mit entsprechenden Angeboten rechnen musste und jegliches Überraschungsmoment fehlt, wenn der Verbraucher die Infrastruktur klar als Geschäftsraum erkennt und sich auch in Erwartung einer Verhandlungssituation dorthin begeben hat, hat der Gesetzgeber wohl bewusst insoweit keine Ausnahme vom Bestehen des Widerrufsrechts vorgesehen. Vielmehr ist der Gesetzgeber auf zahlreiche Sonderkonstellationen eingegangen und hat diesbezüglich Regelungen getroffen, so dass nicht unterstellt werden kann, dass für Konstellationen wie die vorliegende eine vom Wortlaut abweichende (bzw. sogar widersprechende) Anwendung des Gesetzes angezeigt wäre.
So hat der Gesetzgeber erkannt, dass Unternehmer regelmäßig auch außerhalb ihrer eigenen Geschäftsräume Verträge abzuschließen pflegen, und daher (z.B.) in § 312b Abs. 2 Satz 2 BGB Gewerberäume, in denen die Person, die im Namen oder Auftrag des Unternehmers handelt, ihre Tätigkeit dauerhaft oder für gewöhnlich ausübt, den Räumen des Unternehmers gleichgestellt. Diese Gleichstellung bezieht sich aber gerade nur auf Personen, die im Namen oder Auftrag des Unternehmers handeln, und nicht - wie hier - im Namen oder Auftrag des Verbrauchers. Eine Analogie dahingehend, dass auch Geschäftsräume von Personen, die im Namen oder Auftrag des Verbrauchers handeln, den Geschäftsräumen des Unternehmers gleichgestellt werden, verbietet sich somit, da nicht von einer planwidrigen Regelungslücke ausgegangen werden kann, sondern der Wille des Gesetzgebers vielmehr eindeutig ist. Wenn der Unternehmer Geschäftsräume eines anderen Unternehmers nutzt, handelt es daher sich nicht um Geschäftsräume des handelnden Unternehmers.
Das Widerrufsrecht besteht auch ungeachtet der Beteiligung der Geschäftsführerin der A-GmbH an den Verhandlungen, da diese vorliegend nicht als bevollmächtigte Vertreterin (vgl. § 164 BGB) des Klägers gehandelt hatte, sondern dieser vielmehr den Vertrag selbst geschlossen hat. Die Geschäftsführerin hat den Kläger während der Verhandlungen lediglich unterstützt, so dass - möglicherweise anders, wenn sie Vertreterin wäre - nur auf den Kläger selbst abzustellen ist.
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Justiz NRW
Der Kläger errichtete eine Doppelhaushälfte. Für den Neubau beauftragte er die Firma A-GmbH mit der Bauplanung und -leitung. Die Geschäftsführerin der Firma Frau P. erstellte für diverse Gewerke Ausschreibungen, auf die - bezogen auf das Gewerk Sanitärarbeiten - die Beklagte am 25.4.2020 ein Angebot abgab. In der Folge lud die P. den Geschäftsführer der Beklagten zum 6.5.2020 in ihre Geschäftsräume ein, um das Angebot zu erörtern. Der Kläger nahm ebenfalls daran teil. Der Vertrag wurde vom Geschäftsführer der Beklagten und dem Kläger selbst unterzeichnet. Die Parteien einigten sich auf einen Festpreis von 16.268 € netto bei Skontoabrede von zwei Prozent. Der Kläger wurde nicht hinsichtlich eines Widerrufsrechts belehrt.
In der Folge erbrachte die Beklagte Leistungen, die sie jeweils gegenüber dem Kläger fakturierte. Auf die ersten beiden Rechnungen zahlte der Kläger 4.900 € sowie 2.273 €; auf die dritte Rechnung über 8.132 € erfolgte keine Zahlung. Mit Schreiben vom 17.11.2020 erklärte der Kläger, dass er den Vertrag widerrufe und forderte die Beklagte zur Rückzahlung der vom Kläger erbrachten Zahlungen auf. Er behauptete, die Leistungen der Beklagten seien teilweise nicht ordnungsgemäß erbracht worden. Es sei ein Fertigstellungstermin nicht eingehalten worden. Daher habe er die dritte Rechnung nicht beglichen. Zu diesem Zeitpunkt seien die vereinbarten Arbeiten noch nicht vollständig und in Teilen mangelbehaftet ausgeführt gewesen.
Das LG gab der Klage auf Rückzahlung Zug-um-Zug gegen Rück- und Übergabe von bereits erbrachten Leistungen statt.
Die Gründe:
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung der von ihm geleisteten Beträge gem. §§ 355 Abs. 3 Satz 1, 357 Abs. 1 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie vom 13.6.2014. Danach sind im Falle eines Widerrufs die empfangenen Leistungen unverzüglich zurück zu gewähren.
Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Der Kläger hatte wirksam den Widerruf des am 6.5.2020 geschlossenen Vertrages über die Erbringung von Sanitärleistungen erklärt. Das Widerrufsrecht des Klägers folgte aus § 312g Abs. 1 BGB. Die Anwendung der Vorschrift ist auf das vorliegende Vertragsverhältnis nicht gem. § 312 Abs. 2 Nr. 3 BGB ausgeschlossen, da es sich bei dem Vertrag nicht um einen Bauvertrag i.S.d. § 650i BGB handelte. Denn es handelte sich offensichtlich nicht um den Bau eines neuen Gebäudes; auch stellten die geschuldeten Sanitärarbeiten keine Umbaumaßnahmen an einem bestehenden Gebäude dar.
Der wortlautgetreuen Anwendung von § 312b BGB steht auch nicht der Sinn und Zweck der Vorschrift entgegen. Wenngleich grundsätzlich maßgeblich für das Bestehen eines Widerrufsrechts sein soll, dass die Gefahr einer Überrumpelung des Verbrauchers besteht, was nicht der Fall ist, wenn er in der konkreten Situation mit entsprechenden Angeboten rechnen musste und jegliches Überraschungsmoment fehlt, wenn der Verbraucher die Infrastruktur klar als Geschäftsraum erkennt und sich auch in Erwartung einer Verhandlungssituation dorthin begeben hat, hat der Gesetzgeber wohl bewusst insoweit keine Ausnahme vom Bestehen des Widerrufsrechts vorgesehen. Vielmehr ist der Gesetzgeber auf zahlreiche Sonderkonstellationen eingegangen und hat diesbezüglich Regelungen getroffen, so dass nicht unterstellt werden kann, dass für Konstellationen wie die vorliegende eine vom Wortlaut abweichende (bzw. sogar widersprechende) Anwendung des Gesetzes angezeigt wäre.
So hat der Gesetzgeber erkannt, dass Unternehmer regelmäßig auch außerhalb ihrer eigenen Geschäftsräume Verträge abzuschließen pflegen, und daher (z.B.) in § 312b Abs. 2 Satz 2 BGB Gewerberäume, in denen die Person, die im Namen oder Auftrag des Unternehmers handelt, ihre Tätigkeit dauerhaft oder für gewöhnlich ausübt, den Räumen des Unternehmers gleichgestellt. Diese Gleichstellung bezieht sich aber gerade nur auf Personen, die im Namen oder Auftrag des Unternehmers handeln, und nicht - wie hier - im Namen oder Auftrag des Verbrauchers. Eine Analogie dahingehend, dass auch Geschäftsräume von Personen, die im Namen oder Auftrag des Verbrauchers handeln, den Geschäftsräumen des Unternehmers gleichgestellt werden, verbietet sich somit, da nicht von einer planwidrigen Regelungslücke ausgegangen werden kann, sondern der Wille des Gesetzgebers vielmehr eindeutig ist. Wenn der Unternehmer Geschäftsräume eines anderen Unternehmers nutzt, handelt es daher sich nicht um Geschäftsräume des handelnden Unternehmers.
Das Widerrufsrecht besteht auch ungeachtet der Beteiligung der Geschäftsführerin der A-GmbH an den Verhandlungen, da diese vorliegend nicht als bevollmächtigte Vertreterin (vgl. § 164 BGB) des Klägers gehandelt hatte, sondern dieser vielmehr den Vertrag selbst geschlossen hat. Die Geschäftsführerin hat den Kläger während der Verhandlungen lediglich unterstützt, so dass - möglicherweise anders, wenn sie Vertreterin wäre - nur auf den Kläger selbst abzustellen ist.
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