Verfahrensfehler bei Entscheidung über Eigenbedarfskündigung
BGH v. 8.8.2023 - VIII ZR 20/23
Der Sachverhalt:
Die Klägerin hatte im November 2018 ein Hausgrundstück an die Beklagten vermietet. Bei dem Mietobjekt handelt es sich um ein Haupt- und ein Nebenhaus, die beide miteinander verbunden sind und eine Gesamtwohnfläche von 410 m² aufweisen.
Die Klägerin beabsichtigte zunächst einen Verkauf des Hausgrundstücks. Eine Besichtigung des Objekts durch den Makler wurde ihr im Frühjahr 2021 von den Beklagten, denen die Klägerin ebenfalls ein Verkaufsangebot unterbreitet hatte, verwehrt. Am 31.8.2021 erklärte die Klägerin, die zwei erwachsene und mit ihren Familien in München lebende Söhne hat, die Kündigung des Mietverhältnisses zum 30.11.2021 wegen Eigenbedarfs. In der Kündigungserklärung hieß es, dass die Klägerin nunmehr das Haus selbst mit einem Sohn und dessen Familie bewohnen und ihr zweiter Sohn einen Bereich des Hauses als Zweitwohnsitz nutzen wolle. Die Beklagten widersprachen der Kündigung gem. § 574 BGB.
Das AG hat der auf Räumung und Herausgabe des Hausgrundstücks gerichteten Klage nach zeugenschaftlicher Vernehmung der beiden Söhne zum Vorliegen des behaupteten Eigenbedarfs stattgegeben. Das LG hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des LG zurückverwiesen.
Gründe:
Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Denn es hat - ausgehend von einem zu engen rechtlichen Überprüfungsmaßstab gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO - die Ausführungen der Beklagten in der Berufungsbegründung zur Beweiswürdigung des AG nicht in dem gebotenen Maße in seine Erwägungen zur Nachprüfung des angefochtenen Urteils gem. § 513 ZPO einbezogen.
Die Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts hinsichtlich der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung ist nicht auf den Umfang beschränkt, in dem eine zweitinstanzliche Tatsachenfeststellung der Kontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt. Daher hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen. Vielmehr können sich Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen i.S.v. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Bewertungen der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ergeben.
Diesen Prüfungsmaßstab hat das Berufungsgericht grundlegend verkannt, denn es hat die mit der Berufungsbegründung vorgebrachten Einwendungen der Beklagten gegen die Beweiswürdigung des AG nur unter dem Ansatz geprüft, ob dem AG hierbei Rechtsfehler unterlaufen sind. Bereits die im Abschnitt des Berufungsurteils zum allgemeinen rechtlichen Maßstab enthaltene Aufzählung von Umständen, die das Berufungsgericht als Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung ansieht, legte die Anwendung eines nur eingeschränkten - auf Rechtsfehler beschränkten - Prüfungsmaßstabs nahe. Anhand dieses - unzutreffenden - Maßstabs hat das Berufungsgericht sodann die in der Berufungsbegründung vorgebrachten Einwände der Beklagten gegen die Beweiswürdigung des AG auch beurteilt, wie sich aus der Formulierung ergab, dass die Berufungsbegründung "derartige" konkrete Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit nicht aufzeigen könne.
Die Gehörsverletzung war auch entscheidungserheblich (§ 544 Abs. 9 ZPO). Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Anwendung des zutreffenden Prüfungsmaßstabs i.S.d. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO und bei Vornahme einer eigenen Beweiswürdigung unter Einbeziehung der Argumente der Berufungsbegründung zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
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Die Klägerin hatte im November 2018 ein Hausgrundstück an die Beklagten vermietet. Bei dem Mietobjekt handelt es sich um ein Haupt- und ein Nebenhaus, die beide miteinander verbunden sind und eine Gesamtwohnfläche von 410 m² aufweisen.
Die Klägerin beabsichtigte zunächst einen Verkauf des Hausgrundstücks. Eine Besichtigung des Objekts durch den Makler wurde ihr im Frühjahr 2021 von den Beklagten, denen die Klägerin ebenfalls ein Verkaufsangebot unterbreitet hatte, verwehrt. Am 31.8.2021 erklärte die Klägerin, die zwei erwachsene und mit ihren Familien in München lebende Söhne hat, die Kündigung des Mietverhältnisses zum 30.11.2021 wegen Eigenbedarfs. In der Kündigungserklärung hieß es, dass die Klägerin nunmehr das Haus selbst mit einem Sohn und dessen Familie bewohnen und ihr zweiter Sohn einen Bereich des Hauses als Zweitwohnsitz nutzen wolle. Die Beklagten widersprachen der Kündigung gem. § 574 BGB.
Das AG hat der auf Räumung und Herausgabe des Hausgrundstücks gerichteten Klage nach zeugenschaftlicher Vernehmung der beiden Söhne zum Vorliegen des behaupteten Eigenbedarfs stattgegeben. Das LG hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des LG zurückverwiesen.
Gründe:
Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Denn es hat - ausgehend von einem zu engen rechtlichen Überprüfungsmaßstab gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO - die Ausführungen der Beklagten in der Berufungsbegründung zur Beweiswürdigung des AG nicht in dem gebotenen Maße in seine Erwägungen zur Nachprüfung des angefochtenen Urteils gem. § 513 ZPO einbezogen.
Die Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts hinsichtlich der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung ist nicht auf den Umfang beschränkt, in dem eine zweitinstanzliche Tatsachenfeststellung der Kontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt. Daher hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen. Vielmehr können sich Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen i.S.v. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Bewertungen der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ergeben.
Diesen Prüfungsmaßstab hat das Berufungsgericht grundlegend verkannt, denn es hat die mit der Berufungsbegründung vorgebrachten Einwendungen der Beklagten gegen die Beweiswürdigung des AG nur unter dem Ansatz geprüft, ob dem AG hierbei Rechtsfehler unterlaufen sind. Bereits die im Abschnitt des Berufungsurteils zum allgemeinen rechtlichen Maßstab enthaltene Aufzählung von Umständen, die das Berufungsgericht als Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung ansieht, legte die Anwendung eines nur eingeschränkten - auf Rechtsfehler beschränkten - Prüfungsmaßstabs nahe. Anhand dieses - unzutreffenden - Maßstabs hat das Berufungsgericht sodann die in der Berufungsbegründung vorgebrachten Einwände der Beklagten gegen die Beweiswürdigung des AG auch beurteilt, wie sich aus der Formulierung ergab, dass die Berufungsbegründung "derartige" konkrete Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit nicht aufzeigen könne.
Die Gehörsverletzung war auch entscheidungserheblich (§ 544 Abs. 9 ZPO). Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Anwendung des zutreffenden Prüfungsmaßstabs i.S.d. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO und bei Vornahme einer eigenen Beweiswürdigung unter Einbeziehung der Argumente der Berufungsbegründung zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
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