Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist: Berichtigung einer Verfügung mit Schreibfehler
BGH v. 20.9.2022 - VI ZB 48/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Anspruch. Das LG gab der Klage mit den Beklagten am 8.9.2020 zugestelltem Urteil überwiegend statt. Nach rechtzeitiger Einlegung der Berufung verlängerte der Vorsitzende des OLG auf einen entsprechenden Antrag der Beklagten die Frist zur Begründung der Berufung zunächst bis zum 8.12.2020. Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 7.12.2020 beantragten die Beklagten die erneute Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis einschließlich 29.12.2020. Zur Begründung führten sie u.a. aus, die Gegenseite habe sich mit der weiteren Fristverlängerung einverstanden erklärt. In der daraufhin unter dem 8.12.2020 erlassenen Verfügung verlängerte der Vorsitzende des OLG die Frist aufgrund eines Schreibversehens nur bis zum 28.12.2020. Die Verfügung wurde unter dem 8.12.2020 formlos an die Prozessbevollmächtigte der Beklagten gesandt, wobei die Beklagten in Abrede stellen, dass sie dort eingegangen ist.
Am 29.12.2020 ging die Berufungsbegründung beim OLG ein. Mit Verfügung vom 29.12.2020 wies der Vorsitzende des OLG die Parteien darauf hin, dass es sich bei der Angabe "28.12.2020" in der Verfügung vom 8.12.2020 um ein Schreibversehen handle und aus Gründen des Vertrauensschutzes die am 29.12.2020 eingegangene Berufungsbegründung für fristgerecht erachtet werde. Nach Widerspruch des Klägers, der die Berufungsbegründung für verspätet hält, wies das OLG die Parteien mit den Beklagten am 12.3.2021 zugestelltem Beschluss darauf hin, eine Änderung der Fristsetzung in der Verfügung vom 8.12.2020 vom 28.12.2020 auf den 29.12.2020 gem. § 319 ZPO sei nicht möglich, weil das Schreibversehen des Vorsitzenden nicht für jedermann offenbar sei. Mangels Änderungsmöglichkeit sei die Fristsetzung auf den 28.12.2020 verbindlich und die am 29.12.2020 eingegangene Berufungsbegründung mithin verspätet. Die Beklagten hätten den Fristablauf prüfen und ggf. rückfragen müssen.
Daraufhin beantragten die Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und wiesen u.a. darauf hin, die Verfügung vom 8.12.2020 mit einer Verlängerung der Frist auf den 28.12.2020 nicht erhalten zu haben. Hierzu legten sie eine eidesstattliche Versicherung einer Angestellten ihrer Prozessbevollmächtigten vor. Das OLG wies den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurück und verwarf ihre Berufung als unzulässig. Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Die getroffenen Feststellungen rechtfertigen bereits nicht die Annahme, die Berufungsbegründung der Beklagten sei verspätet.
Das OLG hat offengelassen, ob die an die Prozessbevollmächtigte der Beklagten am 8.12.2020 versandte Verfügung des Vorsitzenden vom selben Tag, nach deren Wortlaut dieser die Berufungsbegründungsfrist bis zum 28.12.2020 verlängert hatte, dieser zugegangen ist. Für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist deshalb zugunsten der Beklagten zu unterstellen, dass dies nicht der Fall ist. Da eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist erst wirksam wird, wenn sie dem Berufungskläger formlos mitgeteilt wird, konnte sie auf dieser Grundlage erst durch die Mitteilung des Vorsitzenden des OLG vom 29.12.2021, aufgrund eines Schreibversehens sei die Frist lediglich bis 28.12.2021 verlängert worden, aus Gründen des Vertrauensschutzes halte der (Berufungs-) Senat die am 29.12.2020 eingegangene Begründungsschrift aber für fristgemäß, wirksam werden.
Ob die Verlängerung nach dem dann maßgeblichen objektiven Inhalt dieser Mitteilung noch auf den 28.12.2020 beschränkt oder angesichts des sich aus der Mitteilung ergebenden abweichenden Willens des Vorsitzenden, die Frist bis zum 29.12.2020 zu verlängern, bereits den 29.12.2020 umfasste, kann dahinstehen. Denn jedenfalls war das Versehen des Vorsitzenden im Zeitpunkt, in dem die Verfügung wirksam wurde, angesichts des mit der Mitteilung verbundenen Eingeständnisses des Vorsitzenden, sich verschrieben zu haben, "offenbar" i.S.v. § 319 ZPO, so dass das Schreibversehen entgegen der Auffassung des OLG ohne Weiteres hätte berichtigt werden können.
Ist die Berufungsbegründung aber schon nicht verspätet eingegangen, kommt es auf die Frage, ob den Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren gewesen wäre, nicht mehr an. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass im Falle, den Beklagten wäre die Verfügung vom 8.12.2020 schon vor der Mitteilung vom 29.12.2020 zugegangen, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf der Grundlage des vorliegenden Antrags nicht in Betracht käme. Denn die Beklagten machen bereits nicht geltend, es sei ihnen ohne eigenes oder ihnen zurechenbares Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten auch in diesem Fall nicht möglich gewesen, die sich aus der Verfügung vom 8.12.in ihrer ursprünglichen Form ergebende Frist (28.12.2020) einzuhalten.
Kann nicht festgestellt werden, ob die der Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 8.12.2020 zugesandte Verfügung bei dieser auch einging, wird freilich davon auszugehen sein, dass dies nicht der Fall ist. Denn eine Beweislast des Berufungsklägers für die Rechtzeitigkeit des Eingangs der Berufungsbegründung kann nur für solche Ungewissheiten bejaht werden, die in seinen Sorgfalts- und Nachweisbereich fallen. Die Ungewissheit, ob ein formlos abgesandtes Schriftstück beim Empfänger angekommen ist, gehört nicht zum Sorgfalts- und Nachweisbereich des Empfängers.
Mehr zum Thema:
Aufsatz:
Rechtsprechungsübersicht zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Norbert Vossler, MDR 2022, 612
Auch nachzulesen im Aktionsmodul Zivilrecht:
Sie können Tage nicht länger machen, aber effizienter. 6 Module vereint mit führenden Kommentaren, Handbüchern und Zeitschriften für die zivilrechtliche Praxis. Neu: Online-Unterhaltsrechner. Jetzt zahlreiche, bewährte Formulare mit LAWLIFT bearbeiten! Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO. 4 Wochen gratis nutzen!
BGH online
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Anspruch. Das LG gab der Klage mit den Beklagten am 8.9.2020 zugestelltem Urteil überwiegend statt. Nach rechtzeitiger Einlegung der Berufung verlängerte der Vorsitzende des OLG auf einen entsprechenden Antrag der Beklagten die Frist zur Begründung der Berufung zunächst bis zum 8.12.2020. Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 7.12.2020 beantragten die Beklagten die erneute Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis einschließlich 29.12.2020. Zur Begründung führten sie u.a. aus, die Gegenseite habe sich mit der weiteren Fristverlängerung einverstanden erklärt. In der daraufhin unter dem 8.12.2020 erlassenen Verfügung verlängerte der Vorsitzende des OLG die Frist aufgrund eines Schreibversehens nur bis zum 28.12.2020. Die Verfügung wurde unter dem 8.12.2020 formlos an die Prozessbevollmächtigte der Beklagten gesandt, wobei die Beklagten in Abrede stellen, dass sie dort eingegangen ist.
Am 29.12.2020 ging die Berufungsbegründung beim OLG ein. Mit Verfügung vom 29.12.2020 wies der Vorsitzende des OLG die Parteien darauf hin, dass es sich bei der Angabe "28.12.2020" in der Verfügung vom 8.12.2020 um ein Schreibversehen handle und aus Gründen des Vertrauensschutzes die am 29.12.2020 eingegangene Berufungsbegründung für fristgerecht erachtet werde. Nach Widerspruch des Klägers, der die Berufungsbegründung für verspätet hält, wies das OLG die Parteien mit den Beklagten am 12.3.2021 zugestelltem Beschluss darauf hin, eine Änderung der Fristsetzung in der Verfügung vom 8.12.2020 vom 28.12.2020 auf den 29.12.2020 gem. § 319 ZPO sei nicht möglich, weil das Schreibversehen des Vorsitzenden nicht für jedermann offenbar sei. Mangels Änderungsmöglichkeit sei die Fristsetzung auf den 28.12.2020 verbindlich und die am 29.12.2020 eingegangene Berufungsbegründung mithin verspätet. Die Beklagten hätten den Fristablauf prüfen und ggf. rückfragen müssen.
Daraufhin beantragten die Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und wiesen u.a. darauf hin, die Verfügung vom 8.12.2020 mit einer Verlängerung der Frist auf den 28.12.2020 nicht erhalten zu haben. Hierzu legten sie eine eidesstattliche Versicherung einer Angestellten ihrer Prozessbevollmächtigten vor. Das OLG wies den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurück und verwarf ihre Berufung als unzulässig. Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Die getroffenen Feststellungen rechtfertigen bereits nicht die Annahme, die Berufungsbegründung der Beklagten sei verspätet.
Das OLG hat offengelassen, ob die an die Prozessbevollmächtigte der Beklagten am 8.12.2020 versandte Verfügung des Vorsitzenden vom selben Tag, nach deren Wortlaut dieser die Berufungsbegründungsfrist bis zum 28.12.2020 verlängert hatte, dieser zugegangen ist. Für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist deshalb zugunsten der Beklagten zu unterstellen, dass dies nicht der Fall ist. Da eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist erst wirksam wird, wenn sie dem Berufungskläger formlos mitgeteilt wird, konnte sie auf dieser Grundlage erst durch die Mitteilung des Vorsitzenden des OLG vom 29.12.2021, aufgrund eines Schreibversehens sei die Frist lediglich bis 28.12.2021 verlängert worden, aus Gründen des Vertrauensschutzes halte der (Berufungs-) Senat die am 29.12.2020 eingegangene Begründungsschrift aber für fristgemäß, wirksam werden.
Ob die Verlängerung nach dem dann maßgeblichen objektiven Inhalt dieser Mitteilung noch auf den 28.12.2020 beschränkt oder angesichts des sich aus der Mitteilung ergebenden abweichenden Willens des Vorsitzenden, die Frist bis zum 29.12.2020 zu verlängern, bereits den 29.12.2020 umfasste, kann dahinstehen. Denn jedenfalls war das Versehen des Vorsitzenden im Zeitpunkt, in dem die Verfügung wirksam wurde, angesichts des mit der Mitteilung verbundenen Eingeständnisses des Vorsitzenden, sich verschrieben zu haben, "offenbar" i.S.v. § 319 ZPO, so dass das Schreibversehen entgegen der Auffassung des OLG ohne Weiteres hätte berichtigt werden können.
Ist die Berufungsbegründung aber schon nicht verspätet eingegangen, kommt es auf die Frage, ob den Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren gewesen wäre, nicht mehr an. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass im Falle, den Beklagten wäre die Verfügung vom 8.12.2020 schon vor der Mitteilung vom 29.12.2020 zugegangen, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf der Grundlage des vorliegenden Antrags nicht in Betracht käme. Denn die Beklagten machen bereits nicht geltend, es sei ihnen ohne eigenes oder ihnen zurechenbares Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten auch in diesem Fall nicht möglich gewesen, die sich aus der Verfügung vom 8.12.in ihrer ursprünglichen Form ergebende Frist (28.12.2020) einzuhalten.
Kann nicht festgestellt werden, ob die der Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 8.12.2020 zugesandte Verfügung bei dieser auch einging, wird freilich davon auszugehen sein, dass dies nicht der Fall ist. Denn eine Beweislast des Berufungsklägers für die Rechtzeitigkeit des Eingangs der Berufungsbegründung kann nur für solche Ungewissheiten bejaht werden, die in seinen Sorgfalts- und Nachweisbereich fallen. Die Ungewissheit, ob ein formlos abgesandtes Schriftstück beim Empfänger angekommen ist, gehört nicht zum Sorgfalts- und Nachweisbereich des Empfängers.
Aufsatz:
Rechtsprechungsübersicht zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Norbert Vossler, MDR 2022, 612
Auch nachzulesen im Aktionsmodul Zivilrecht:
Sie können Tage nicht länger machen, aber effizienter. 6 Module vereint mit führenden Kommentaren, Handbüchern und Zeitschriften für die zivilrechtliche Praxis. Neu: Online-Unterhaltsrechner. Jetzt zahlreiche, bewährte Formulare mit LAWLIFT bearbeiten! Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO. 4 Wochen gratis nutzen!