01.04.2025

Versäumte Frist zur Berufungsbegründung: Zu den an eine wirksame Ausgangskontrolle zu stellenden Anforderungen

Begehrt eine Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, hat sie einen Verfahrensablauf vorzutragen und glaubhaft zu machen, der ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei ausschließt. Der Vortrag, in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten werde vor Büroschluss noch einmal kontrolliert, "ob alle Fristsachen erledigt sind", impliziert nicht, dass die spezifischen, nach der Rechtsprechung des BGH an eine wirksame Ausgangskontrolle gestellten Anforderungen erfüllt worden sind; er ist damit nicht geeignet, ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Partei an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei auszuschließen.

BGH v. 25.2.2025 - VI ZB 36/24
Der Sachverhalt:
Die Klägerin legte gegen ein Urteil des LG vom 5.4.2024 fristgerecht Berufung ein. Mit Schriftsatz vom 12.6.2024 begründete sie ihre Berufung und beantragte zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Hierzu ließ sie durch ihre Prozessbevollmächtigten ausführen und anwaltlich versichern, wie die Fristenkontrolle in der Kanzlei organisiert sei und dass die bis dahin stets zuverlässige Kanzleiangestellte G. am 17.5.2024 versehentlich die am 7.6.2024 ablaufende Berufungsbegründungsfrist als erledigt vermerkt habe, obwohl die Berufungsbegründung nicht der zuständigen Rechtsanwältin zur abschließenden Prüfung vorgelegt und versendet worden sei. Dem Wiedereinsetzungsantrag war eine eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten G. beigefügt.

Mit Beschluss vom 29.7.2024 wies das OLG den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück und verwarf die Berufung mangels rechtzeitiger Berufungsbegründung als unzulässig. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin hätten die Berufungsbegründungsfrist schuldhaft versäumt, weil ihre Büroorganisation hinsichtlich der Ausgangskontrolle der Post unzureichend sei. Es sei nicht dargelegt oder sonst ersichtlich, dass in der Kanzlei eine hinreichende allgemeine Anweisung hinsichtlich einer ordnungsgemäßen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze existiere. Dem Vortrag im Wiedereinsetzungsgesuch, vor Büroschluss werde von Frau G. noch einmal kontrolliert, ob alle Fristsachen erledigt seien, erst dann werde die Frist gelöscht, lasse sich nicht entnehmen, dass anhand der Ausgangspost und ggf. der Akten am Ende eines jeden Arbeitstages von einer dafür verantwortlichen Bürokraft geprüft werde, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze auch abgesandt worden seien. Die eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten G. verhalte sich dazu nicht.

Es sei auch nicht vorgetragen, ob eine Anweisung bestehe, wie die Überprüfung einer Übermittlung genau zu erfolgen habe, insbesondere, ob sie den Erhalt und den Inhalt der elektronischen Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO umfasse, und dass erst nach einer solchen Überprüfung der Eingangsbestätigung eine Frist im Fristenkalender als erledigt vermerkt werden dürfe. Da die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Ausgangskontrolle stelle, einem Rechtsanwalt bekannt sein müssten, erlaube der Umstand, dass sich der Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin zu diesem Punkt nicht verhalte, ohne weiteres den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen fehlten. Die fehlende Anordnung einer hinreichenden Ausgangskontrolle sei für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ursächlich gewesen.

Gegen den Beschluss wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde. Dieser ist eine anwaltliche Versicherung ihres Prozessbevollmächtigten beigefügt, die Angaben zur Organisation der Ausgangskontrolle in der Rechtsanwaltskanzlei enthält. Die Rechtsbeschwerde blieb vor dem BGH ohne Erfolg.

Die Gründe:
Hat eine Partei die Berufungsbegründungsfrist versäumt, ist ihr nach § 233 Satz 1 ZPO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten wird der Partei zugerechnet (§ 85 Abs. 2 ZPO). Die Partei hat einen Verfahrensablauf vorzutragen und glaubhaft zu machen (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO), der ein Verschulden an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei ausschließt; verbleibt die Möglichkeit, dass die Einhaltung der Frist durch ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Partei versäumt worden ist, ist der Antrag auf Wiedereinsetzung unbegründet. So liegt es hier. Nach den vorgetragenen Umständen ist nicht ausgeschlossen, dass das Fristversäumnis auf einem Verschulden der klägerischen Prozessbevollmächtigten beruht. Die Klägerin hat in ihrem Wiedereinsetzungsantrag nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass die Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten über eine Ausgangskontrolle verfügt, die den diesbezüglichen Anforderungen der ständigen Rechtsprechung des BGH genügt.

Der Vortrag der Klägerin zur allabendlichen Kontrolle hat sich auf folgenden - anwaltlich versicherten - Satz beschränkt: "Vor Büroschluss wird von Frau G. noch einmal kontrolliert, ob alle Fristsachen erledigt sind; erst dann wird die Frist gelöscht." Es fehlen jegliche Angaben dazu, wie die Kontrolle, "ob alle Fristsachen erledigt" sind, nach den kanzleiinternen Anweisungen zu erfolgen hat. Insbesondere wird nicht mitgeteilt, ob und wie organisatorisch sichergestellt wird, dass im Fristenkalender als erledigt gekennzeichnete fristgebundene Schriftsätze tatsächlich abgesandt worden und bei Gericht eingegangen sind. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde bedurfte es hierzu eines ausdrücklichen Vortrags. Die Erklärung, es werde noch einmal kontrolliert, ob "alle Fristsachen erledigt" sind, impliziert nicht, dass die spezifischen, nach der Rechtsprechung des BGH an eine wirksame Ausgangskontrolle gestellten Anforderungen erfüllt worden sind. Der Vortrag im Wiedereinsetzungsantrag war damit nicht geeignet, ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Klägerin an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei auszuschließen.

Mehr zum Thema:

Aufsatz
Rechtsprechungsübersicht zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Norbert Vossler, MDR 2024, 474
MDR0065968

Kommentierung | ZPO
§ 236 Wiedereinsetzungsantrag
Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024
10/2023

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