Versorgungsausgleich und Besitzschutz: Errechnung des Ehezeitanteils aus tatsächlich gezahlter höherer Rente
BGH v. 26.1.2022 - XII ZB 175/21
Der Sachverhalt:
Die Beteiligte zu 1), die Deutsche Rentenversicherung Bund, wendet sich gegen den durchgeführten Versorgungsausgleich hinsichtlich des bei ihr bestehenden Anrechts der Antragsgegnerin. Der im März 1954 geborene Antragsteller (Ehemann) und die im Juli 1955 geborene Antragsgegnerin (Ehefrau) heirateten im Mai 1987. Aus der Ehe ging ein im Jahr 1991 geborenes Kind hervor. Die Ehefrau bezog seit September 2008 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung und bezieht im unmittelbaren Anschluss hieran seit September 2018 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Auf den im Oktober 2017 zugestellten Antrag hat das AG die Ehe im März 2019 geschieden und den Versorgungsausgleich geregelt.
Während der gesetzlichen Ehezeit erwarb der Ehemann Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung und in der Beamtenversorgung. Die Ehefrau erwarb ein Anrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung, dessen Ehezeitanteil die Beteiligte zu 1) in ihrer Versorgungsauskunft von Juni 2018 mit 26,8480 Entgeltpunkten bei einem vorgeschlagenen Ausgleichswert von 13,4240 Entgeltpunkten angegeben hat; darin berücksichtigt war ein Entgeltpunkt für Kindererziehungszeiten.
Das AG - Familiengericht - teilte die Anrechte mit den jeweils vorgeschlagenen Ausgleichswerten intern. Hiergegen legte die Beteiligte zu 1) Beschwerde ein und erteilte über das Anrecht der Ehefrau eine neue Versorgungsauskunft mit einem Ehezeitanteil von 28,4952 Entgeltpunkten bei einem vorgeschlagenen Ausgleichswert von 14,2476 Entgeltpunkten. Die Veränderung sei zum einen dadurch begründet, dass aufgrund des zum 1.1.2019 in Kraft getretenen Gesetzes über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung von November 2018 die Zeiten der Kindererziehung für Geburten vor dem Jahr 1992 rentenrechtlich stärker berücksichtigt würden (sog. "Mütterrente II"). Zum anderen habe die Ehefrau eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezogen und es bestehe gem. § 88 Abs. 1 Satz 2 SGB VI ein Besitzschutz für die sich hieran unmittelbar anschließende Altersrente als Folgerente. Der ausgezahlten Altersrente lägen die höheren persönlichen Entgeltpunkte der vorangegangenen Rente wegen Erwerbsminderung zugrunde. Bei der Berechnung des Ehezeitanteils aus den Entgeltpunkten der gezahlten Rente sei deshalb von dem Bescheid der vorangegangenen Rente auszugehen.
Das OLG teilte unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde das Anrecht der Ehefrau mit einem Ausgleichswert von 13,6740 Entgeltpunkten intern, wobei es (nur) eine Erhöhung des Ehezeitanteils durch die "Mütterrente II" berücksichtigte. Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligte zu 1) hob der BGH den Beschluss des OLG auf und entschied, dass im Wege der internen Teilung zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund zugunsten des Antragstellers auf das vorhandene Konto bei der Deutschen Rentenversicherung Bund ein Anrecht in Höhe von 14,2476 Entgeltpunkten, bezogen auf den 30.9.2017, übertragen wird.
Die Gründe:
Im Ausgangspunkt zutreffend ist das OLG von einer Erhöhung des Ausgleichswerts durch die rentenrechtliche Höherbewertung von Kindererziehungszeiten durch das RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz von November 2018 ausgegangen, welche auf den Ehezeitanteil zurückwirkt. Zu Unrecht hat es jedoch die gem. § 88 Abs. 1 Satz 2 SGB VI besitzgeschützten Entgeltpunkte der Ehefrau aus ihrer Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht ausgeglichen.
Wie der Senat bereits in Bezug auf die Gesamtleistungsbewertung und auf die Mindestbewertung von Pflichtbeiträgen entschieden hat, ist nach dem Beginn des Bezugs einer Vollrente wegen Alters der Ausgleichswert in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht auf der Grundlage einer fiktiven Rente, sondern allein aus der tatsächlich bezogenen Rente mit ihren Wertverhältnissen zu ermitteln. Damit hat der Senat seine frühere Rechtsprechung fortgeschrieben, wonach in dem Fall, dass ein Ehegatte am Ende der Ehezeit eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezog, mit deren Entziehung nicht mehr zu rechnen war, und die das fiktiv errechnete Altersruhegeld besitzgeschützt überstieg, für die Berechnung des Versorgungsausgleichs von dem tatsächlichen Rentenzahlbetrag auszugehen war.
Der früher als Zahlbetragsgarantie ausgestaltete Besitzschutz (§§ 1254 Abs. 2 Satz 2, 1253 Abs. 2 Satz 5 RVO) richtet sich seit der Neuregelung durch § 88 Abs. 1 Satz 2 SGB VI auf einen Besitzschutz an persönlichen Entgeltpunk-ten. Danach werden, wenn ein Versicherter eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder eine Erziehungsrente bezogen hat und spätestens innerhalb von 24 Kalendermonaten nach Ende des Bezugs dieser Rente erneut eine Rente beginnt, für diese Rente mindestens die bisherigen persönlichen Entgeltpunkte zugrunde gelegt. Auch dieser Vorschrift hat der Senat für den Versorgungsausgleich die Wirkung beigemessen, dass der Ehezeitanteil in solchen Fällen aus der tatsächlich gezahlten höheren Rente zu errechnen ist.
An diesen Bewertungsgrundsätzen ändert die am 1.9.2009 in Kraft getretene Neuregelung des Versorgungsausgleichs nichts. Bereits nach der Gesetzesbegründung sollte die bisherige Rechtsprechung zu den Auswirkungen des Besitzschutzes in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 88 SGB VI auf den Versorgungsausgleich unberührt bleiben. Das entspricht auch der ganz überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur.
Die Berechnung des Ehezeitanteils anhand des Bescheids der vorangegangenen Erwerbsminderungsrente steht insbesondere nicht im Widerspruch zu § 109 Abs. 6 SGB VI, wonach der Versorgungsauskunft die nach § 39 VersAusglG zu ermittelnden Entgeltpunkte aus der Berechnung einer Vollrente wegen Erreichens der Regelaltersgrenze zugrunde zu legen sind. Denn auch bei einer Folgerente gem. § 88 Abs. 1 Satz 2 SGB VI, deren Höhe sich nach dem Besitzschutz der vorangegangenen Erwerbsminderungsrente errechnet, handelt es sich um eine Vollrente wegen Alters.
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Die Beteiligte zu 1), die Deutsche Rentenversicherung Bund, wendet sich gegen den durchgeführten Versorgungsausgleich hinsichtlich des bei ihr bestehenden Anrechts der Antragsgegnerin. Der im März 1954 geborene Antragsteller (Ehemann) und die im Juli 1955 geborene Antragsgegnerin (Ehefrau) heirateten im Mai 1987. Aus der Ehe ging ein im Jahr 1991 geborenes Kind hervor. Die Ehefrau bezog seit September 2008 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung und bezieht im unmittelbaren Anschluss hieran seit September 2018 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Auf den im Oktober 2017 zugestellten Antrag hat das AG die Ehe im März 2019 geschieden und den Versorgungsausgleich geregelt.
Während der gesetzlichen Ehezeit erwarb der Ehemann Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung und in der Beamtenversorgung. Die Ehefrau erwarb ein Anrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung, dessen Ehezeitanteil die Beteiligte zu 1) in ihrer Versorgungsauskunft von Juni 2018 mit 26,8480 Entgeltpunkten bei einem vorgeschlagenen Ausgleichswert von 13,4240 Entgeltpunkten angegeben hat; darin berücksichtigt war ein Entgeltpunkt für Kindererziehungszeiten.
Das AG - Familiengericht - teilte die Anrechte mit den jeweils vorgeschlagenen Ausgleichswerten intern. Hiergegen legte die Beteiligte zu 1) Beschwerde ein und erteilte über das Anrecht der Ehefrau eine neue Versorgungsauskunft mit einem Ehezeitanteil von 28,4952 Entgeltpunkten bei einem vorgeschlagenen Ausgleichswert von 14,2476 Entgeltpunkten. Die Veränderung sei zum einen dadurch begründet, dass aufgrund des zum 1.1.2019 in Kraft getretenen Gesetzes über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung von November 2018 die Zeiten der Kindererziehung für Geburten vor dem Jahr 1992 rentenrechtlich stärker berücksichtigt würden (sog. "Mütterrente II"). Zum anderen habe die Ehefrau eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezogen und es bestehe gem. § 88 Abs. 1 Satz 2 SGB VI ein Besitzschutz für die sich hieran unmittelbar anschließende Altersrente als Folgerente. Der ausgezahlten Altersrente lägen die höheren persönlichen Entgeltpunkte der vorangegangenen Rente wegen Erwerbsminderung zugrunde. Bei der Berechnung des Ehezeitanteils aus den Entgeltpunkten der gezahlten Rente sei deshalb von dem Bescheid der vorangegangenen Rente auszugehen.
Das OLG teilte unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde das Anrecht der Ehefrau mit einem Ausgleichswert von 13,6740 Entgeltpunkten intern, wobei es (nur) eine Erhöhung des Ehezeitanteils durch die "Mütterrente II" berücksichtigte. Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligte zu 1) hob der BGH den Beschluss des OLG auf und entschied, dass im Wege der internen Teilung zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund zugunsten des Antragstellers auf das vorhandene Konto bei der Deutschen Rentenversicherung Bund ein Anrecht in Höhe von 14,2476 Entgeltpunkten, bezogen auf den 30.9.2017, übertragen wird.
Die Gründe:
Im Ausgangspunkt zutreffend ist das OLG von einer Erhöhung des Ausgleichswerts durch die rentenrechtliche Höherbewertung von Kindererziehungszeiten durch das RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz von November 2018 ausgegangen, welche auf den Ehezeitanteil zurückwirkt. Zu Unrecht hat es jedoch die gem. § 88 Abs. 1 Satz 2 SGB VI besitzgeschützten Entgeltpunkte der Ehefrau aus ihrer Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht ausgeglichen.
Wie der Senat bereits in Bezug auf die Gesamtleistungsbewertung und auf die Mindestbewertung von Pflichtbeiträgen entschieden hat, ist nach dem Beginn des Bezugs einer Vollrente wegen Alters der Ausgleichswert in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht auf der Grundlage einer fiktiven Rente, sondern allein aus der tatsächlich bezogenen Rente mit ihren Wertverhältnissen zu ermitteln. Damit hat der Senat seine frühere Rechtsprechung fortgeschrieben, wonach in dem Fall, dass ein Ehegatte am Ende der Ehezeit eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezog, mit deren Entziehung nicht mehr zu rechnen war, und die das fiktiv errechnete Altersruhegeld besitzgeschützt überstieg, für die Berechnung des Versorgungsausgleichs von dem tatsächlichen Rentenzahlbetrag auszugehen war.
Der früher als Zahlbetragsgarantie ausgestaltete Besitzschutz (§§ 1254 Abs. 2 Satz 2, 1253 Abs. 2 Satz 5 RVO) richtet sich seit der Neuregelung durch § 88 Abs. 1 Satz 2 SGB VI auf einen Besitzschutz an persönlichen Entgeltpunk-ten. Danach werden, wenn ein Versicherter eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder eine Erziehungsrente bezogen hat und spätestens innerhalb von 24 Kalendermonaten nach Ende des Bezugs dieser Rente erneut eine Rente beginnt, für diese Rente mindestens die bisherigen persönlichen Entgeltpunkte zugrunde gelegt. Auch dieser Vorschrift hat der Senat für den Versorgungsausgleich die Wirkung beigemessen, dass der Ehezeitanteil in solchen Fällen aus der tatsächlich gezahlten höheren Rente zu errechnen ist.
An diesen Bewertungsgrundsätzen ändert die am 1.9.2009 in Kraft getretene Neuregelung des Versorgungsausgleichs nichts. Bereits nach der Gesetzesbegründung sollte die bisherige Rechtsprechung zu den Auswirkungen des Besitzschutzes in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 88 SGB VI auf den Versorgungsausgleich unberührt bleiben. Das entspricht auch der ganz überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur.
Die Berechnung des Ehezeitanteils anhand des Bescheids der vorangegangenen Erwerbsminderungsrente steht insbesondere nicht im Widerspruch zu § 109 Abs. 6 SGB VI, wonach der Versorgungsauskunft die nach § 39 VersAusglG zu ermittelnden Entgeltpunkte aus der Berechnung einer Vollrente wegen Erreichens der Regelaltersgrenze zugrunde zu legen sind. Denn auch bei einer Folgerente gem. § 88 Abs. 1 Satz 2 SGB VI, deren Höhe sich nach dem Besitzschutz der vorangegangenen Erwerbsminderungsrente errechnet, handelt es sich um eine Vollrente wegen Alters.
- Aufsatz: Siede - Empfehlungen zur externen Teilung von Anrechten der betrieblichen Altersversorgung (FamRB 2022, 116)
- Kurzbeitrag: Verordnung über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 2022 (Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2022) (FamRZ 2022, 164)
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