Voraussetzungen des nachbarlichen Notwegrechts nach § 917 Abs. 1 BGB
BGH v. 6.5.2022 - V ZR 50/21
Der Sachverhalt:
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke. Das Grundstück der Kläger ist mit einem bis 1995 landwirtschaftlich genutzten Vierseithof, bei dem der Innenhof von allen vier Seiten von Gebäuden umschlossen ist, bebaut. Das Wohnhaus der Kläger, das Teil des Bauensembles ist, wurde nach Abriss einer Scheune in den Jahren 1961/1962 neu errichtet, die übrige Bebauung auf dem klägerischen Grundstück ist älter. Eine öffentliche Straße endet unmittelbar an dem Grundstück der Kläger. Das Anwesen ist im Übrigen von anderen Grundstücken und einem Bachverlauf eingefasst.
Die Zufahrt auf das Grundstück erfolgte vormals durch eine etwa drei Meter breite Bebauungslücke zwischen dem Wohnhaus des Vierseithofs und einem Wirtschaftsgebäude. Das Grundstück des Beklagten, das dieser im Jahr 2004 erwarb, ragt so in die Zufahrt hinein, dass nur 1,66 Meter verbleiben. Die genaue Abmarkung des Grenzverlaufs in dem Bereich der Hofzufahrt erfolgte 1995. Jedenfalls seit Neuerrichtung des Wohnhauses auf dem Grundstück der Kläger ist die Zufahrt mit mehrspurigen Fahrzeugen nur noch unter Inanspruchnahme des Grundstücks des Beklagten möglich. Im Jahr 2019 errichtete der Beklagte auf seinem Grundstück in dem Bereich der Hofzufahrt eine Betonmauer mit Einzäunung und verringerte so die Breite der Durchfahrt zum Grundstück der Kläger auf 1,66 Meter. Eine Zufahrt auf das Grundstück der Kläger ist mit mehrspurigen Fahrzeugen nicht mehr möglich. Die Kläger, die den Vierseithof vorwiegend zu Wohnzwecken nutzen, betreiben seit 2020 als Nebenerwerb eine Hasen- und Wachtelzucht mit elf Hasen und dreißig Wachteln.
Die Kläger verlangen von dem Beklagten den Rückbau der Mauer auf eine Durchfahrtsbreite von 2,60 Metern. Das AG gab der Klage statt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten wies das LG zurück. Auf die Revision des Beklagten hat der BGH das Urteil des LG aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Gründe:
Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung lässt sich das Bestehen eines Notwegrechts gemäß § 917 Abs. 1 BGB nicht bejahen. Fehlt einem Grundstück die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg, so kann der Eigentümer dieser Vorschrift zufolge von den Nachbarn verlangen, dass sie bis zur Hebung des Mangels die Benutzung ihrer Grundstücke zur Herstellung der erforderlichen Verbindung dulden.
Nicht zu beanstanden ist insofern die Würdigung des Berufungsgerichts, dass eine andere zumutbare Zufahrtsmöglichkeit nicht geschaffen werden könnte. Auch die weitere Annahme, dass ein die Zufahrt auf den Hof begründendes Notwegrecht im Bereich der streitgegenständlichen Mauer nicht gemäß § 918 Abs. 1 BGB ausgeschlossen wäre, ist nicht zu beanstanden.
Rechtsfehlerhaft sind jedoch die Ausführungen des Berufungsgerichts zu der Frage, ob zur ordnungsmäßigen Nutzung des Grundstücks eine Auffahrt auf den Hof erforderlich ist.
Im Ausgangspunkt noch zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass sich die Frage, welche Art der Benutzung eines Grundstücks i.S.v. § 917 Abs. 1 BGB ordnungsmäßig ist, nicht nach den persönlichen Bedürfnissen des Eigentümers des verbindungslosen Grundstücks, sondern danach bestimmt, was nach objektiven Gesichtspunkten diesem Grundstück angemessen ist und den wirtschaftlichen Verhältnissen entspricht. Die erforderliche Verbindung eines zu Wohnzwecken genutzten Grundstücks zu einem öffentlichen Weg ist grundsätzlich schon dann gegeben, wenn ein Kraftfahrzeug unmittelbar an das Wohngrundstück heranfahren und der Eingangsbereich von dieser Stelle aus in zumutbarer Weise - auch mit sperrigen Gegenständen - erreicht werden kann.
Nach diesen Grundsätzen tragen die Feststellungen nicht die Annahme, die bestehende Anbindung an eine öffentliche Straße reiche für die ordnungsmäßige Benutzung des klägerischen Grundstücks nicht aus. Im Rahmen der Revision ist von der - für den Beklagten günstigen - Annahme des Berufungsgerichts auszugehen, dass der landwirtschaftliche Nebenerwerb ein Auffahren nicht erfordert. Warum die konkreten Umstände des Einzelfalls ein Auffahren zum Zwecke der Wohnnutzung ausnahmsweise erforderlich machen, untermauert das Berufungsgericht nicht durch Tatsachenfeststellungen. Die besonderen baulichen Verhältnisse (Vierseithof) und die Lage im Ortskern einer fränkischen Gemeinde vermögen als solche die Notwendigkeit einer Zufahrt nicht zu begründen.
Anders als das Berufungsgericht meint, kann der Beseitigungsanspruch auch nicht mit der Begründung bejaht werden, die Errichtung der Mauer verstoße gegen das in § 226 BGB geregelte Schikaneverbot. Im Ausgangspunkt kann sich ein Notwegrecht weder aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis noch aus dem Schikaneverbot des § 226 BGB, sondern nur unter den Voraussetzungen von § 917 Abs. 1 BGB ergeben; danach richtet sich auch, ob der Nachbar Hindernisse - wie eine Mauer - beseitigen muss, die er auf seinem Grundstück errichtet hat, um die Nutzung des Wegs zu unterbinden.
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Die Zufahrt auf das Grundstück erfolgte vormals durch eine etwa drei Meter breite Bebauungslücke zwischen dem Wohnhaus des Vierseithofs und einem Wirtschaftsgebäude. Das Grundstück des Beklagten, das dieser im Jahr 2004 erwarb, ragt so in die Zufahrt hinein, dass nur 1,66 Meter verbleiben. Die genaue Abmarkung des Grenzverlaufs in dem Bereich der Hofzufahrt erfolgte 1995. Jedenfalls seit Neuerrichtung des Wohnhauses auf dem Grundstück der Kläger ist die Zufahrt mit mehrspurigen Fahrzeugen nur noch unter Inanspruchnahme des Grundstücks des Beklagten möglich. Im Jahr 2019 errichtete der Beklagte auf seinem Grundstück in dem Bereich der Hofzufahrt eine Betonmauer mit Einzäunung und verringerte so die Breite der Durchfahrt zum Grundstück der Kläger auf 1,66 Meter. Eine Zufahrt auf das Grundstück der Kläger ist mit mehrspurigen Fahrzeugen nicht mehr möglich. Die Kläger, die den Vierseithof vorwiegend zu Wohnzwecken nutzen, betreiben seit 2020 als Nebenerwerb eine Hasen- und Wachtelzucht mit elf Hasen und dreißig Wachteln.
Die Kläger verlangen von dem Beklagten den Rückbau der Mauer auf eine Durchfahrtsbreite von 2,60 Metern. Das AG gab der Klage statt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten wies das LG zurück. Auf die Revision des Beklagten hat der BGH das Urteil des LG aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
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Nicht zu beanstanden ist insofern die Würdigung des Berufungsgerichts, dass eine andere zumutbare Zufahrtsmöglichkeit nicht geschaffen werden könnte. Auch die weitere Annahme, dass ein die Zufahrt auf den Hof begründendes Notwegrecht im Bereich der streitgegenständlichen Mauer nicht gemäß § 918 Abs. 1 BGB ausgeschlossen wäre, ist nicht zu beanstanden.
Rechtsfehlerhaft sind jedoch die Ausführungen des Berufungsgerichts zu der Frage, ob zur ordnungsmäßigen Nutzung des Grundstücks eine Auffahrt auf den Hof erforderlich ist.
Im Ausgangspunkt noch zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass sich die Frage, welche Art der Benutzung eines Grundstücks i.S.v. § 917 Abs. 1 BGB ordnungsmäßig ist, nicht nach den persönlichen Bedürfnissen des Eigentümers des verbindungslosen Grundstücks, sondern danach bestimmt, was nach objektiven Gesichtspunkten diesem Grundstück angemessen ist und den wirtschaftlichen Verhältnissen entspricht. Die erforderliche Verbindung eines zu Wohnzwecken genutzten Grundstücks zu einem öffentlichen Weg ist grundsätzlich schon dann gegeben, wenn ein Kraftfahrzeug unmittelbar an das Wohngrundstück heranfahren und der Eingangsbereich von dieser Stelle aus in zumutbarer Weise - auch mit sperrigen Gegenständen - erreicht werden kann.
Nach diesen Grundsätzen tragen die Feststellungen nicht die Annahme, die bestehende Anbindung an eine öffentliche Straße reiche für die ordnungsmäßige Benutzung des klägerischen Grundstücks nicht aus. Im Rahmen der Revision ist von der - für den Beklagten günstigen - Annahme des Berufungsgerichts auszugehen, dass der landwirtschaftliche Nebenerwerb ein Auffahren nicht erfordert. Warum die konkreten Umstände des Einzelfalls ein Auffahren zum Zwecke der Wohnnutzung ausnahmsweise erforderlich machen, untermauert das Berufungsgericht nicht durch Tatsachenfeststellungen. Die besonderen baulichen Verhältnisse (Vierseithof) und die Lage im Ortskern einer fränkischen Gemeinde vermögen als solche die Notwendigkeit einer Zufahrt nicht zu begründen.
Anders als das Berufungsgericht meint, kann der Beseitigungsanspruch auch nicht mit der Begründung bejaht werden, die Errichtung der Mauer verstoße gegen das in § 226 BGB geregelte Schikaneverbot. Im Ausgangspunkt kann sich ein Notwegrecht weder aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis noch aus dem Schikaneverbot des § 226 BGB, sondern nur unter den Voraussetzungen von § 917 Abs. 1 BGB ergeben; danach richtet sich auch, ob der Nachbar Hindernisse - wie eine Mauer - beseitigen muss, die er auf seinem Grundstück errichtet hat, um die Nutzung des Wegs zu unterbinden.
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